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Steigende InfektionszahlenDer Lockdown kommt – nur wie? 

29. Oktober 2020, 12:59 Uhr

Führende Wissenschaftler aus Deutschland fordern einen konsequenten und kurzzeitigen Lockdown. Andernfalls sei die Ausbreitung des Virus nicht mehr kontrollierbar. Dabei stützen sich die Forscher auf neueste Studien.

Die Zahl der täglichen Neuinfektionen mit Covid-19 steigt rasant. Nun stellt sich die Frage, wie können harte und länger anhaltende Maßnahmen vermieden und die Risikogruppen geschützt werden. Denn scharfe Einschränkungen haben starke wirtschaftliche und soziale Folgen. Eine Antwort darauf geben neue wissenschaftliche Erkenntnisse und Studien.

"Vorbeugende Pausen" gegen die Epidemie

Bislang erfolgt die Umsetzung von schärferen Regel zur Eindämmung der Corona-Pandemie in den jeweiligen Ländern meist aufgrund des gerade herrschende epidemiologischen Zustands, schreiben Forscher in einer Studie, die in Großbritannien veröffentlicht wurde. Das bedeutet, je mehr die Zahlen steigen, desto höher die Einschränkungen. Doch "vorbeugende Pausen" könnten bei stark steigenden Infektionszahlen die Bremse sein, um die wirtschaftlichen Folgen deutlich zu verringern, rechnen die Wissenschaftler um Graham Medley von der London School of Hygiene and Tropical Medicine durch.

So würde ein kurzzeitiger und vorbeugender Lockdown das Virus zwar  nicht eliminieren, doch es würde dazu führen, "dass andere Maßnahmen wieder greifen", heißt es in der Studie. Es gehe um Maßnahmen wie die Kontaktverfolgung, die beim momentanen Stand der Infektionszahlen für die Gesundheitsämter fast nicht mehr zu schaffen ist. Diesen Weg befürworten auch Virologe Christian Drosten von der Berliner Charite und Epidemiologe und SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach – beiden haben auf Twitter auf diese Studie aufmerksam gemacht.

Konsequente Reduzierung der Kontakte

"Je früher und konsequenter alle Kontakte, die ohne die aktuell geltenden Hygiene- und Vorsichtsmaßnahmen stattfinden, eingeschränkt würden, desto kürzer könnten diese Beschränkungen sein", schreiben führende deutsche Wissenschaftler in einer Stellungnahme am Dienstag. In der gemeinsamen Erklärung der Präsidentin der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Präsidenten von Fraunhofer-Gesellschaft, Helmholtz-Gemeinschaft, Leibniz-Gemeinschaft, Max-Planck-Gesellschaft und Nationaler Akademie der Wissenschaften Leopoldina heißt es: Wichtig sei, deutlich, schnell und nachhaltig zu reagieren.

Es sei notwendig, Kontakte ohne Vorsichtsmaßnahmen auf ein Viertel zu reduzieren und dies in allen Bundesländern sowie in allen Landkreisen und Städten nach bundesweit einheitlichen Regeln durchzuführen. Andernfalls könnte es passieren, dass die Kapazitäten der Krankenhäuser nicht mehr ausreichten, weil es zu einer unkontrollierbaren Ausbreitung kommen könnte. Dabei sollten Risikogruppen durch gezielte Maßnahmen konsequent geschützt, die Kommunikation der Vorsichtsmaßnahmen verbessert und die Hygienekonzepte geschärft und kontrolliert werden, schreiben die Forscher.

Altersheime schützen durch Tests des Personals

Um das Thema der Risikogruppen kümmert sich eine Preprint-Studie aus Sachsen. Diese hat sich mit geschlossenen Einrichtungen beschäftigt. Die Frage einer Studie  lautet: Wie gut kann man die Menschen etwa in Altersheimen vor Sars-CoV-2 und Covid-19 schützen, wenn etwa die Pflegekräfte regelmäßig getestet werden? Dafür wurden in einer Simulation die Bedingungen für Langzeitpflege-Einrichtungen in Deutschland angepasst und untersucht, welcher potenzielle wirtschaftliche Gewinn sich aus Einsparungen bei den Covid-19-bezogenen Behandlungskosten im Vergleich zu den Test-Kosten ergibt.

Das Ergebnis: Einmal alle 14 Tage getestet wird die Anzahl der Erkrankungen um bis zu 85 Prozent reduziert, schreibt Professor Kristian Schneider von der Hochschule Mittweida. Der Malaria-Forscher und Professor für Angewandte Mathematik hat an der Studie mitgearbeitet und ergänzt: "Das ist eine Menge, da rund die Hälfte aller Todesfälle durch Covid-19 in Altersheimen passieren." Während die Häufigkeit und die Qualität der Tests spürbare Auswirkungen haben, habe die Wartezeit für die Erlangung der Testergebnisse (zwischen 12 und 96 Stunden) kaum Einfluss auf das Ergebnis, schreiben die Autoren der Studie rund um den Mathematiker Henri Christian Tsoungui von der Hochschule Mittweida.

Weitere Facette contra Strategie der Herdenimmunität

Eine weitere Preprint-Studie der Hochschule Mittweida hat untersucht, welche Auswirkungen es hat, wenn Infektionen mit unterschiedlichen Viren-Varianten zu einem schwereren Krankheitsverlauf führen. In einer Simulationen wurde dafür ungefähr die Situation an der Ostküste der USA widergespiegelt, schreiben die Forscher. Dafür wurde der Effekt untersucht, den eine erhöhte Häufigkeit der Erkrankung und mehr Todesfälle durch Mehrfachinfektionen mit Sars-CoV-2 ergeben. Daraus ging hervor, dass Mehrfachinfektionen zu einer leichten Verringerung der Anzahl von Infektionen führten, da diese aufgrund ihrer höheren Morbidität eher isoliert werden. Doch dies erhöhe auch die Zahl der Todesfälle erheblich.

Die Forscher schlussfolgern aus der Simulationen, in der auch die Kontakte reduziert wurden, dass ein zweiter Lockdown den epidemischen Höhepunkt, die Anzahl der Mehrfachinfektionen und Todesfälle, erheblich verringern kann. Mehrfachinfektionen seien also eine Gefahr, da sich dadurch die Morbidität und Mortalität erhöhen könnte, schreiben die Wissenschaftler. Das unterstreiche eine weitere Facette, die die Strategie der Herdenimmunität in Frage stellt.

mpö

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