Rote und grüne Ampelfrau an der Fußgängerampel in Dresden.
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Geschlecht und Gerechtigkeit Mehr Gleichberechtigung – und es geht allen besser

23. August 2019, 15:03 Uhr

Je mehr Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern einer Gesellschaft herrscht, desto besser geht es Frauen, Männern und allen, die sich nicht der Zweigeschlechtlichkeit zuordnen. Sprache hat ihren Anteil daran.

Who cares?

Frauen leisten deutlich mehr unbezahlte Arbeit als Männer, sei es Angehörigenpflege, Kinderbetreuung oder Hilfe unter Freunden – sogenannte Care Arbeit –, oder Arbeit im Haushalt. Ein Beispiel aus Deutschland: Kümmern sich Männer im Schnitt täglich 50 Minuten um Waschen und Kochen, so wenden Frauen knapp zwei Stunden dafür auf. Eine aktuelle Studie der Internationalen Arbeitsorganisation mit Daten aus 41 Ländern zeigt sogar: Frauen arbeiten im Schnitt täglich mehr als vier Stunden für den Haushalt, die Pflege Angehöriger oder die Vereinsarbeit – Männer hingegen nur knapp zwei. Rechnet man bezahlte Arbeit und unbezahlte Care Arbeit zusammen, kommen Frauen auf 55 Wochenstunden, Männer auf 49. Die Care Arbeit ist wichtig für die Gesellschaft, ohne sie würde das heutige Wirtschaftssystem nicht funktionieren, doch sie wird selten als das anerkannt – und sie wird Frauen als "natürlich" zugeschrieben.

Sorge-Arbeit taucht in der Ökonomie nicht auf, sie wird wie natürliche Ressourcen einfach benutzt, aber nicht abgebildet. Frauen fällt es angeblich leichter sich zu kümmern, sie sind kommunikationsbedürftiger. Das sind Stereotype, die dazu dienen, die Sorgearbeit Frauen natürlicherweise zuzuschreiben.

Frauke Beyer, Care Revolution
Zwei Frauen sitzen nebeneinander, eine hat ein Mikrofon
Frauke Beyer vom Netzwerk Care Revolution im Gespräch mit MDR-Reporterin Daniela Schmidt. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Das Netzwerk Care Revolution will auf diesen Gender Care Gap aufmerksam machen und die Frage, wie wir in unserer Gesellschaft füreinander sorgen, neu verhandeln. Das ist auch eines der Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen: Care Work neu verteilen und Geschlechtergerechtigkeit herstellen.

In der aktuellen Folge unseres Podcasts "Meine Challenge" blickt Reporterin Daniela Schmidt auf die Erwartungen, die aufgrund ihres Geschlechts an sie herangetragen werden, und die Folgen, die das hat.

Die Sorge um Bedürfnisse und um die nachhaltige Sicherung unserer Produktionsbedingungen sollte im Mittelpunkt gesellschaftlichen Handeln stehen.

Hanna Meißner, Soziologin, TU Dresden

Die Care Arbeit ist auch Ausdruck und Beispiel einer allgemeinen Ungleichberechtigung der Geschlechter: Frauen sind deutlich unterrepräsentiert in öffentlichen und wirtschaftlichen Spitzenämtern – die Frauenquote im aktuellen Bundestag etwa beträgt knapp 30 Prozent, im Vorstand der börsennotierten Unternehmen gerade einmal neun Prozent. Ist die Teilhabe von Frauen und Männern an allen gesellschaftlichen Institutionen und Prozessen dagegen gleicher verteilt, geht es auch der Gesellschaft als ganzer besser, legen Studien aus Norwegen nahe.

Männer an den Herd!

Weniger Depressionen, weniger Scheidungen, weniger Gewalt – so wirkt sich eine Gesellschaft aus, in der die Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern hoch ist. Für Frauen, Männer und alle, die sich nicht der Zweigeschlechtlichkeit zuordnen, wohlgemerkt. Das sind die Ergebnisse einer Studie des Norwegischen ‘Männerforschers' Øystein Gullvåg Holter aus dem Jahr 2014. Für die EU und die Bundesstaaten der USA wertete er Daten zu Einkommen, Gesundheit und Teilhabe an der Politik aus, verglich sie mit behördlichen Gesundheitsstatistiken und kam zu diesem Ergebnis: je mehr die Geschlechter gleichberechtigt an Wirtschaft, Politik und Erziehung der Kinder teilhaben, desto besser geht es der Gesellschaft im Ganzen. Wichtig für diese Gerechtigkeit ist vor allem die Frage, wie viel Männer von der Care Arbeit übernehmen.

Welche Rolle spielt die Sprache?

Sprache formt Bewusstsein, formt das Verständnis unserer Welt, sie ist nicht nur ein bloßes Abbild von Realität. In der deutschen Sprache unterteilen wir alle Substantive in weiblich oder männlich: die Ärztin, der Arzt, die Politikerin, der Politiker, usw.. Wenn Sprachen den Unterschied zwischen dem männlichen und weiblichen Geschlecht dauerhaft hervorheben, dann hat das Auswirkungen auf die Art und Weise, wie Menschen denken. "Im Deutschen ist in der Mehrheitsgesellschaft das sogenannte generische Maskulinum üblich, das heißt, dass zumeist maskuline Bezeichnungen benutzt werden, um Männer und Frauen zu bezeichnen: Wenn wir von Schülern oder Wissenschaftlern oder Bürgern reden und damit alle meinen, Männer und Frauen. Die feministische Linguistik geht davon aus, dass eine solche Sprachpraxis weibliche Person weniger sichtbar macht als männliche Personen, dass sich Frauen auch weniger angesprochen fühlen, wenn von Wissenschaftlern die Rede ist oder von Schülern", sagt die Soziologin Hanna Meißner.

Mehr noch: Eine Studie aus dem Jahr 2011 legt nahe, dass es einen Zusammenhang zwischen der Art der Sprache und der Geschlechtergerechtigkeit gibt. Länder, in denen der sprachliche Geschlechterunterschied nicht überall wiederzufinden ist, weisen einen geringeren Gender Gap auf. Die wirtschaftliche und politische Teilhabe von Frauen ist signifikant höher als in anderen Ländern. Dabei konnten die Autoren der Studie sogar zeigen, dass dieser Einfluss der Sprache auf die Geschlechtergerechtigkeit unabhängig von der Region oder dem politischen und religiösen System ist.

Deutschland schnitt beispielsweise nicht so gut ab wie die skandinavischen Länder, die auch schon aktiv begonnen haben, ihre Sprache mit geschlechtsneutralen Wörten und Pronomen zu ergänzen. Schweden beispielsweise hat vor Jahren das geschlechtsneutrale Pronomen "hen" eingeführt, um Personen zu bezeichnen, die sich weder als weiblich noch als männlich verstehen. Eine aktuelle politikwissenschaftliche Studie hat gezeigt, dass es wirkt: Studienteilnehmerinnen und Studienteilnehmer, die mit dem geschlechtsneutralen "hen" konfrontiert wurden, konnten sich eher Personen vorstellen, die entweder weiblich oder divers waren. Laut den Autoren der Studie erhöht das Pronomen die Akzeptanz für weibliche und diverse Positionen in der Gesellschaft.

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Zwei Frauen sitzen nebeneinander, eine hat ein Mikrofon 7 min
Die Politikerin Aminata Touré im Gespräch mit MDR-Reporterin Daniela Schmidt Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

(lfw)