Die Grafik zeigt ein wissenschaftliches genaues Modell der neuen Coronavirus Sars-CoV-2 ein eine hohen Auflösungsstufe, bei der sogar einzelne Atome des Virus erkennbar sind.
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SARS-CoV-2 Können Mutationen das Coronavirus noch gefährlicher machen?

24. Juni 2020, 13:07 Uhr

Über 100 Mutationen des Coronavirus sind bereits gefunden. Vor einer infektiöseren Variante warnen nun US-Forscher. Doch Experten bezweifeln, dass dies Auswirkungen auf die Pandemie hat - denn SARS-CoV-2 sei bereits sehr gut angepasst.

Wenn wir über das Coronavirus reden, muss uns eins klar sein: es verändert sich ständig. "Im Mittel mutiert es alle zwei Wochen", erklärt Professor Richard Neher. Das sei sehr schnell. "Wir sehen Evolution derzeit im Zeitraffer", wertet Professor Andreas Bergthaler diese Entwicklung. Und das bedeutet, "es kann alles passieren," sagt Professor Friedemann Weber. Alle drei sind Virus-Experten und haben sich in dieser Woche gemeinsam der Öffentlichkeit gestellt, um Antwort auf die Frage zu geben: Machen Mutationen Sars-CoV-2 gefährlicher?

Die vielleicht wichtigste Antwort zuerst: Eine höhere Pathogenität – also, dass das Virus aggressiver wird, sich noch stärker ausbreitet und so mehr Menschen an Covid-19 erkranken – ist "unwahrscheinlich", sagt der Biologe Friedemann Weber. Er ist Direktor des Instituts für Virologie an der Justus-Liebig-Universität Gießen und ist an der Entwicklung eines Impfstoffs beteiligt.

Das Virus ist schon so gut angepasst, da ist nicht mehr viel Luft nach oben.

Friedemann Weber Biologe

Was solle da noch kommen?, fragt Weber. Zudem gebe es bereits jetzt bis zu 50 Prozent an asymptomatischen Verläufen bie der Erkrankung.

Haben Mutationen Auswirkungen auf Impfstoff-Entwicklung?

Nur die D614G-Mutation müsste im Blick behalten werden, warnt der Biologe. Dabei führt eine Veränderung im Spike-Protein dazu, dass das Virus infektiöser sein kann. Davor warnen Forscher es amerikanischen Scripps Research Institutes in einer noch nicht begutachteten Preprint-Veröffentlichung. Unter Laborbedingungen könne der Erreger mehr Zellen infizieren, berichtete das Team. Dies könne für die Partikel durchaus ein Vorteil sein, so Weber.

Coronavirus-Modell mit Impfspritze
Ein Coronavirus-Modell mit Impfspritze. Bildrechte: imago images / Christian Ohde

Allerdings befürchtet Weber nicht, dass dies auf die Entwicklung eines Medikamentes oder Impfstoffes Auswirkungen habe, da diese Mutation nur auf ein bestimmtes Enzym wirke. Viele Medikamente und auch Impfstoffkandidaten seien aber auf breiterer Basis aufgestellt.

Ist die D614G-Mutation gefährlicher für die Menschen?

Auch deshalb sei der momentane Weg der Forscherwelt der richtige, findet Richard Neher von der Universität Basel. Die D614G-Mutation sei in Europa und an der Ostküste der USA tatsächlich stark präsent. Doch daraus lasse sich nicht schließen, dass sich das Virus schneller verbreite. Die Dominanz sei nicht zwingend auf eine höhere Übertragungsrate oder Ansteckungsgefahr zurückzuführen. Stattdessen "spielen dabei die Zufälle eine große Rolle".

Um das alles ganz genau beurteilen zu können, brauche es allerdings "noch viel Arbeit", erklärt Andreas Bergthaler vom Forschungsinstitut für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien. Er leitet das Projekt Mutationsdynamik von SARS-CoV-2 in Österreich. Für Rückschlüsse zu den Folgen der bislang erfassten Mutationen sei es nach sechs Monaten Pandemie noch zu früh.

Daten aus aller Welt zu Sars-Cov-2

Generell seien Mutationen bei Viren absolut nicht ungewöhnlich, betont Neher. Der Bioinformatiker hat mit Kollegen bereits 2015 die Webapplikation "Nextstrain" entwickelt, mit der sich fast in Echtzeit verfolgen lässt, wie sich ein Virus verändert. Damals ging es noch um Influenza oder Masern. Die Software analysiert, wie sich ein Erreger verändert, also welche Mutationen er während der Ausbreitung ansammelt – so entsteht eine Art Stammbaum. Für Sars-Cov-2 seien inzwischen 30.000 Sequenzen zusammengekommen. "Es hat uns umgehauen, wie viele Daten da aus aller Welt kommen."

"Die Mutationsrate pro Base ist etwas niedriger als etwa bei Influenza oder HIV. Aufgrund des größeren Genoms von Sars-CoV-2 ist der Wert aber letztlich in etwa gleich", sagt Neher. Anhand der Mutationen könne man darauf schließen, ob zwei Ausbrüche zusammenhängen. So sei etwa beim jüngsten Ausbruch in Peking das Virus ziemlich sicher von außen ins Land eingeschleppt worden. Darauf lassen Genomvergleiche schließen. "Woher lasse sich allerdings nicht sagen", erklärt Professor Neher.  

Eine Grafik zeigt in vielen Farben die Mutationen des Coronavirus weltweit
Der Screenshot von nextstrain.org zeigt anschaulich die vielen Mutationen des neuen Coronavirus Sars-CoV-2. Bildrechte: Nextstrain

Bereits über 100 Mutationen von SARS-CoV-2 gefunden

Doch es lasse sich etwas anderes aus den gesammelten Daten ablesen. So ist Sars-CoV-2 in Ländern wie Deutschland, Österreich oder den USA nicht nur einmal gelandet, "sondern wurde mehrfach eingeschleppt", erläutert Professor Bergthaler. Er hat sich auf genetischer und epidemologischer Ebene angeschaut, auf welchen Wegen das Virus in Österreich gelandet ist und welche Rolle insbesondere Tirol dabei als "Spread" für Europa gespielt hat. Es sei nicht nur ein Virus gewesen, das zirkuliert ist, sagt er. "Das versuchen wir nun genau aufzuschlüsseln."

Eins sei jedoch mit großer Sicherheit klar: "Dass das Virus in China von Tieren auf den Menschen übergesprungen ist", sagt Bioinformatiker Neher. Das lasse sich aus den Daten von "Nextstrain" ableiten. Das sei einmal und in der Region Wuhan geschehen. Auf künftige Anpassungen und Veränderungen hingegen lässt sich aus den Daten nicht schließen. Bergthaler dazu: "Die Zeit wird zeigen, in welche Richtung sich das Virus entwickelt." Bislang sind bereits über 100 Mutationen des Virus gefunden worden. Diese hätten noch keine funktionellen Auswirkungen – doch das könnte sich ändern. Allerdings "wird im Laufe der Zeit die Handhabung des Virus durch die Analyse der Mutation immer besser werden", sagt Neher.  

mpö

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