Internationale Agentur für Krebsforschung Nachtschichten wie Glyphosat: "wahrscheinlich krebserregend"

21. August 2019, 13:55 Uhr

Mediziner und Pflegepersonal in Krankenhäusern, Fabrikarbeiter, Bäcker, Logistik-Mitarbeiter - es fallen einem unendlich viele Menschen ein, bei denen Nachtarbeit zum Alltag gehört. Vielen sind die Nachtschichten unlieb, anstrengend und lästig. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat nach der Prüfung aller entsprechenden Studien jetzt jedoch noch ein weitaus dramatischeres Urteil gefällt: Nachtarbeit ist wahrscheinlich krebserregend.

Gleisbauer verlegen nach Betriebsschluss Gleise einer U-Bahn. 4 min
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Praktisch alle Funktionen des menschlichen Körpers unterliegen einem Rhythmus von Tag und Nacht, hell und dunkel. Diesem Rhythmus sind die einzelnen Stoffwechselfunktionen unterworfen. Der Wechsel von Tageslicht und Dunkelheit entscheidet, ob unser Körper leistungsbereit oder in der Erholungsphase ist. Den Rhythmus gibt unsere "Masterclock" vor - unsere innere Uhr im Hypothalamus.  

Nachtschichten bringen Biorhythmus aus dem Takt

"Nachtarbeit bringt eben diesen Rhythmus aus dem Takt. Das kann zu massiven Veränderungen in unserem Körper führen", erklärt Professor Hajo Zeeb, Leiter der Abteilung Prävention und Evaluation am Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie in Bremen. Es gebe jede Menge Hinweise, dass ein gestörter Biorhythmus bei Tieren zu Krebswachstum führt. "Über hormonelle und  Immunvorgänge können Zellen zu einem Krebswachstum kommen."

Mäuse bekommen mehr Tumore

Das erhöhte Krebsrisiko zeigen laut Forscher Zeeb zahlreiche Tierstudien, die die Internationale Agentur für Krebsforschung - kurz IARC - ausgewertet hat. So waren beispielsweise Mäuse, die einem veränderten Hell-Dunkel-Rhythmus ausgesetzt waren, anfälliger für Tumorwachstum. Anders sieht das bei Studien an Menschen aus: Manche weisen ein erhöhtes Risiko für Brust-, Prostata oder Darmkrebs als Folge von Nachtarbeit nach. Andere sehen keine höhere Gefahr.

Krebszellen
Er sieht unter dem Mikroskop schön aus, kann aber lebensgefährlich sein. Krebs sind mutierte körpereigene Zellen, die bösartige Tumore bilden. Weil sie vom eigenen Körper kommen, werden sie vom Immunsystem nicht erkannt. Bildrechte: colourbox

Nachtarbeit ähnlich wie Glyphosat als "wahrscheinlich krebserregend" eingestuft

Bereits 2007 hatte die IARC einen Zusammenhang zwischen Krebs und Nachtarbeit untersuchen lassen. Durch die neuen Studien stufte die Agentur als Einrichtung der Weltgesundheitsorganisation Nachtarbeit jetzt offiziell als "wahrscheinlich krebserregend" ein. Als "wahrscheinlich krebserregend" gilt beispielsweise rotes Fleisch, aber auch das Pflanzengift Glyphosat.

Die Einschätzung ist ein Warnsignal.

Prof. Hajo Zeeb

Zeeb war als einziger deutscher Vertreter im Gremium der IARC dabei. Der Wissenschaftler vergleicht die Gefahr mir der ionisierenden Strahlung beim Röntgen. "Um die Strahlung gering zu halten, wird viel Schutz gebraucht", erklärt Zeeb. "Genau das ist dann die Frage: Was macht man, wenn ein Stoff nur 'wahrscheinlich krebserregend' ist?" Die Gesellschaft müsse sich darauf verständigen, welche Schutzmaßnahmen ergriffen werden müssen.

Bundesamt für Arbeitsschutz: Nacht- und Schichtdienste bergen gesundheitliche Risiken

Schon jetzt attestiert das Bundesamt für Arbeitsschutz der Arbeit im Nacht- und Schichtdienst gesundheitliche Risiken. Die neuen Erkenntnisse um die erhöhte Krebsgefahr könnten diese Risiken noch verschärfen. Zwar ist nicht abschließend zu hundert Prozent bewiesen, dass Nachtarbeit zu Krebs führen kann. "Doch einige Länder nehmen die Einschätzung der IARC sehr ernst", erklärt  Volker Harth, unter anderem Vorstandsmitglied in der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin. Er verweist auf Dänemark.

Dänemark: Brustkrebs als Berufskrankheit

Dort sei schon allein wegen der Einstufung der IACR 2009 damit begonnen worden, Brustkrebs als Berufskrankheit anzuerkennen. Voraussetzung dafür ist laut Harth, dass Arbeitsnehmerinnen mindestens 25 Jahre lang einmal in der Woche oder 20-25 Jahre mehr als einmal pro Woche in Nachtschichten gearbeitet haben. So wurden in Dänemark bis 2017 insgesamt 140 Fälle von Brustkrebs entschädigt. Darunter befinden sich überhäufig Frauen, die als Krankenschwestern oder Pflegerinnen oder Hebammen und Gesundheitsassistentinnen gearbeitet haben.

Harth: Ausreichend Erholung nach Nachtarbeit wichtig

In Deutschland gilt der Zusammenhang zwischen Schichtarbeit und Krebs als nicht ausreichend belegt, um beispielsweise Brustkrebs als Berufskrankheit anzuerkennen. Doch auch jenseits einer möglichen Krebserkrankung rät Harth zu einem umsichtigen Umgang mit Nachtschichten, mit ausreichenden Erholungstagen, einem gesunden Lebenswandel und im Zweifelsfall der Umstellung auf eine Schicht, die dem eigenem Typ und Alter entspricht. Denn natürlich und gut für den Körper ist die Nachtarbeit sicherlich nicht.

Die Ergebnisse der Untersuchungen der IACR sind im Fachmagazin The Lancet Oncology veröffentlicht worden.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 21. August 2109 | 09:40 Uhr

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