Nachrichten & Themen
Mediathek & TV
Audio & Radio
AntwortenVideosPodcastBildungKontakt
Wand mit Hand-Abbildung in der Maltravieso-Höhle im Westen Spaniens (farblich hervorgehoben). Bildrechte: H. Collado

64.000 Jahre alte HöhlenmalereiNeandertaler waren erste Künstler der Welt

Stand: 22. Februar 2018, 20:00 Uhr

Neandertaler galten bislang als eher einfach gestrickt. Allein dem Homo sapiens wurde die Fähigkeit zugesprochen, Kunst zu schaffen. Doch neuste Forschungen belegen: Neandertaler waren dem modernen Menschen geistig ebenbürtig. Und sie waren die ersten Künstler der Welt.

Es ist eine wissenschaftliche Sensation, die die frühe Geschichte der Menschheit neu schreibt. Nicht, wie bisher angenommen, der moderne Mensch (Homo sapiens), sondern der lange vor ihm in Europa beheimatete Neandertaler (Homo neanderthalensis) hat die ersten nachweisbaren Kunstwerke der Welt erschaffen. Das hat ein internationales Forscherteam unter Federführung des Leipziger Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie herausgefunden.

64.000 Jahre alte Höhlenkunst

Mithilfe der sogenannten Uran-Thorium-Datierung konnten die Wissenschaftler unter der Leitung des Leipziger Geo-Chronologen Dirk Hoffmann nachweisen, dass die von frühen Menschen in drei Höhlen im Nordosten, Westen und Süden Spaniens hinterlassenen Malereien, die Tiergruppen, Punkte, Striche und Handabdrücke umfassen, mehr als 64.000 Jahre alt sind.

"Wenn wir jetzt Höhlenkunst finden, die älter ist als 64.000 Jahre, kann die nur vom Neandertaler gemacht worden sein. Es ist das allererste Mal, dass wir tatsächlich diese Fertigkeiten nachweisen, dass da der moderne Neandertaler am Werk war", sagte Hoffmann MDR WISSEN.

Uran-Thorium-DatierungDie Uran-Thorium-Datierung basiert auf dem radioaktiven Zerfall von Uran-Isotopen in Thorium. Mithilfe dieser sehr genauen Datierungstechnik können Forscher das Alter von Kalkablagerungen bis zu einem Maximalalter von etwa 500.000 Jahren bestimmen. Damit reicht sie erheblich weiter zurück als die Radiokarbonmethode. Für die Untersuchung der Höhlenkunst in Spanien wurden Kalkablagerungen (Kalzit) auf den von Menschen aufgebrachten Farbpigmenten untersucht.

Homo sapiens kam 20.000 Jahre später

Tatsächlich haben bisherige Forschungen ergeben, dass der moderne Mensch zu diesem frühen Zeitpunkt noch gar nicht in Europa lebte. Der erste Vertreter der Gattung Homo sapiens betrat den Kontinent erst viel später. Auch Hoffmanns Teammitglied Alistair Pike von der University of Southampton ist sich sicher: "Mit einem Alter von mehr als 64.000 Jahren sind sie mindestens 20.000 Jahre älter als die frühesten Spuren des modernen Menschen in Europa. Die Höhlenkunst muss also von Neandertalern geschaffen worden sein."

Neandertaler-Kunst in spanischen Höhlen entdeckt

Höhlenmalerei in der Höhle La Pasiega. Das leiterartige Gemälde aus waagrechten und senkrechten Linien (Mitte links) ist über 64.000 Jahre alt und muss daher von Neandertalern stammen. Bildrechte: P. Saura
Forschungsleiter Dirk Hoffmann vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig and Alistair Pike von der University of Southampton nehmen eine Kalzit-Probe zur Altersbestimmung von einer Höhlenzeichnung in der La Pasiega-Höhle. Bildrechte: J. Zilhão
Skizze eines roten Symbols auf eine Höhlenwand in La Pasiega. Bildrechte: Breuil
Handabdruck eines Neandertalers in der Maltravieso-Höhle, vollständig von über 66.000 Jahre altem Kalzit bedeckt. Bildrechte: H. Collado
Farbliche hervorgehobener Handabdruck in der Maltravieso-Höhle. Bildrechte: H. Collado
Detail mit farbverstärktem 66.000 Jahre altem Handabdruck eines Neandertalers. Bildrechte: H. Collado
Wand mit mehreren Handabdrücken in der Maltravieso-Höhle. Bildrechte: H. Collado
Wand mit mehreren Handabdrücken in der Maltravieso-Höhle (farbverstärkt). Bildrechte: H. Collado
"Herr" der Ardales-Höhle mit roten Punkten. Bildrechte: C.D. Standish
Cueva de los Aviones nach der Ausgrabung Bildrechte: J. Zilhão
Cueva de los Aviones von der Mole von Cartagena aus gesehen Bildrechte: J. Zilhão
In der Cueva de los Aviones gefundene durchborte Muscheln, zwischen 115.000 und 120.000 Jahre alt. Bildrechte: J. Zilhão
Muschelschale mit Farbresten aus der Cueva de los Aviones. Sie ist zwischen 115.000 und 120.000 Jahre alt. Bildrechte: J. Zilhão

115.000 Jahre alte Symbolobjekte

115.000 Jahre alte Muschelschale mit Farbresten. Bildrechte: J. Zilhão

Zusätzlich unterfüttert wird die These durch die Datierung archäologischer Funde aus einer weiteren Höhle in Südostspanien. Die dort entdeckten roten und gelben Farbpigmente sowie durchbohrte Muscheln lagen in einer Ablagerungsschicht, die laut der Altersbestimmung mit der Uran-Thorium-Methode in etwa 115.000 Jahre alt ist.

Zum Vergleich: Die ältesten vergleichbaren Funde aus Afrika, die gemeinhin dem Homo Sapiens zugeschrieben werden, haben gerade einmal ein Alter von 70.000 Jahren. Die ältesten Belege für Höhlenmalerei und Schmuck, die dem Homo sapiens in Europa zugeschrieben werden, sind sogar nur 40.000 Jahre alt.

Gleiche kognitive Fähigkeiten

Die neuen Forschungsergebnisse befeuern die seit Jahrzehnten dauernde Debatte, ob auch Neandertaler und andere Menschenarten zu ähnlichen symbolisch-geistig-künstlerischen Leistungen wie der moderne Mensch in der Lage waren. Für Max-Planck-Forscher Hoffmann steht jedenfalls fest: "Wir können jetzt schon sagen, dass der Neandertaler zumindest was die kognitiven Fähigkeiten anbelangt, dem modernen Menschen in nichts nachgestanden hat. Und die Augenhöhe zwischen Neandertaler und modernem Menschen, die muss man jetzt wieder neu bewerten."

Nach Ansicht der Experten, die ihre Befunde nun in zwei getrennten Artikeln in den Fachzeitschriften "Science" und "Science Advances" veröffentlichten, könnten die neuen Erkenntnisse gravierende Folgen für das Verständnis der Evolution haben: Wenn Neandertaler und moderne Menschen dieselben kognitiven Fähigkeiten hatten, müsste auf der Suche nach deren Wurzeln auch der gemeinsame Vorfahr beider Menschenarten in den Fokus genommen werden. Und der lebte bereits vor mindestens 500.000 Jahren.

Neandertaler und moderner Mensch in EuropaDer gemeinsame Vorfahr von Homo sapiens und Homo neanderthalensis lebte vermutlich vor mindestens 500.000 Jahren in Afrika. Neandertaler besiedelten Europa lange bevor der moderne Mensch den Kontinent vor gut 40.000 Jahren erreichte. Neandertaler sind in Europa seit rund 300.000 Jahren nachgewiesen.

Auch interessant:

Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL RADIO | 23. Februar 2018 | 06:20 Uhr