"Geld-Philosoph" Eske Bockelmann Wie Geld, Corona, Migration und Klimakrise zusammenhängen

01. Juli 2020, 17:26 Uhr

Über Geld spricht man nicht, heißt es im Volksmund. Dabei wollen wir doch immer wissen, wie viel der Nachbar verdient, dass er sich so ein teures Auto leisten kann. Aber Neid beiseite. Geld bestimmt unser Leben, es gibt uns den Takt vor, sagt Eske Bockelmann, Philologe, Germanist und Geld-Philosoph, für den es "das Schönste wäre, wenn die Herrschaft des Geldes friedlich beendet werden würde". Ehrlich, Herr Bockelmann?

Dr. Eske Bockelmann
Eske Bockelmann ist Germanist, Latein- und Altgriechisch-Lehrer, Privatdozent an der TU Chemnitz. Bildrechte: Eske Bockelmann/ privat

Herr Bockelmann, was ist denn überhaupt Geld?

Bockelmann: Geld ist ein besonderes Tauschmittel, nämlich ein reines Tauschmittel. Dieses kleine Wörtchen ist das Entscheidende, dass es ein reines Tauschmittel ist. Geld ist nicht irgendein Ding, das man unter anderem eben auch tauschen kann, sondern es ist etwas, das nur getauscht werden kann. Ob in bar im Geldbeutel oder digital macht eigentlich nur psychologisch einen Unterschied. Aber darüber hinaus gibt es keinen Unterschied, denn auch die Münzen und die Geldscheine vertreten nur eine Summe an Geld, also an Wert, der als solches nicht besteht. Der Schein hat schließlich nicht diesen Wert, sondern er bescheinigt mir sozusagen nur den Wert.

Könnte auch Gold diese Funktion übernehmen?

Bockelmann: Geld als reines Tauschmittel ist zugleich das universale Tauschmittel und das kann Gold nicht sein. Dafür gibt es viel zu wenig Gold und Gold könnte sich nicht in der Weise vermehren, wie Geld sich vermehren muss. Also wenn wir jetzt heute die Staaten dabei beobachten, wie sie Unmengen an neuem Geld in die Wirtschaft reinwerfen müssen, um Corona auszugleichen, dann wäre es mit Gold gar nicht zu machen. Strenggenommen gäbe es eine Alternative zum Geld nur, wenn wir insgesamt ein anderes System finden, wie wir die Güter verteilen und wie wir verteilen, wer davon welche Arbeit übernimmt, damit sie produziert werden. Das ist alles etwas, was heute über Geld vermittelt ist. Dieser Versorgungszusammenhang der Menschen müsste insgesamt anders organisiert werden, wenn man ernsthaft von einer Alternative zum Geld sprechen wollte.

Brauchen wir denn überhaupt eine Alternative zu Geld? Die hohe Flexibilität in Krisenzeiten, aber auch Universalität des Tauschmittels sprechen doch für sich.

Bockelmann: Diese Unsummen an Geld sind nur deswegen nötig, weil es dieses System Geld verlangt. Aber wenn wir jetzt bedenken: Diese paar Wochen, in denen wegen der Corona-Einschränkungen weniger produziert und gereist wurde, reißen nicht deswegen Lücken in der Versorgung, weil zu wenig Dinge oder Lebensmittel hergestellt wurden, sondern weil zu wenig Geld gemacht wird. Der Vermehrungszwang des Geldes erfordert es, dass dann solche Unsummen reingesteckt werden müssen, damit auch die normale Versorgung läuft. Das Geld ist natürlich das Schmiermittel, aber nur seines eigenen Systems. Ohne Geld würden wir jetzt nach Corona einfach weitermachen wie bisher, es hätten sich keine Schulden aufgehäuft, niemand wäre in irgendeinen Mangel geraten.

Also verändert uns das Geld Ihrer Ansicht nach? Bitte beschreiben Sie das.

Bockelmann: Geld ist insgesamt ein System und dieses System entsteht überhaupt erst dort, wo Menschen nicht mehr persönlich voneinander abhängen. Persönliche Abhängigkeiten heißt dort, wo die Versorgung nicht über Tausch läuft, also auch nicht über Geld. Lösen sich diese persönlichen Abhängigkeiten der Menschen auf, müssen sie ihre Lebensnotwendigkeiten, also Lebensmittel, über Tausch und Verkauf bekommen. Natürlich kennen wir unsere Familie, unsere Freunde, aber es gibt ganz viele Menschen, mit denen wir nur dadurch zusammenhängen, dass wir eben selber Geld verdienen müssen. Das heißt, zwischen die Menschen ist durch das Geld ein völlig unpersönliches, nicht nur Tauschmittel, sondern eben auch Verbindungsmittel eingesetzt und jeder muss, ob er will oder nicht, darauf schauen, dass er zu diesem Mittel kommt. Er muss etwas zu verkaufen haben, und wenn es seine Arbeitskraft ist. So muss er sich der anderen Menschen wie eines Mittels bedienen, um durch sie zum Geld zu kommen. Das prägt uns am tiefsten. Diese Fremdheit, eigentlich auch diese Konkurrenz ums Geld, in die wir dadurch gegeneinander gestellt werden.

Beobachten Sie dieses Konkurrieren um Geld in Ost und West gleichermaßen oder wirkt in Mitteldeutschland noch der Sozialismus nach?

Bockelmann: Ich habe das Glück gehabt, dass ich als Westler in den Osten kam. Also insofern beides wirklich erlebt habe. Ich bin wenige Jahre nach der Wende nach Chemnitz gekommen und da war der Unterschied sehr, sehr stark zu spüren. Es war ein viel geringerer Druck auf den Menschen. In München in der U-Bahn sah man allen Menschen diesen Druck an.Tatsächlich war in der DDR das Geld eigentlich zu einem Nicht-Geld gemacht. Die Konkurrenz war durch die staatliche Planung aufgehoben. Der Unterschied zwischen Chef und Sekretärin war gering, was das Geld anbelangte. Das wirkt sich unglaublich aus.

Ist das bis heute der Fall?

Bockelmann: Heutzutage sind diese Unterschiede natürlich völlig vergangen. Die Angleichung über das Geld ist vollendet. Am Anfang habe ich das auch viel gehört von den Leuten hier, dass sie viel weniger die Leute treffen. Im Osten war es selbstverständlich, dass man auf dem Weg von der Arbeit nach Hause eventuell zwei Stunden gebraucht hat, weil man hier den einen getroffen hat und dort mal schnell geblieben ist. Die Menschen haben dann gemerkt, dass ihnen mit diesem neuen System, die Zeit plötzlich fehlt.

Regiert also das Geld unsere ganz persönliche Welt?

Bockelmann: Geld regiert unsere Welt schlicht mit der wirklich allumfassenden Tatsache, dass jeder gezwungen ist, Geld zu verdienen, um sich am Leben zu halten. Nicht nur ist jeder Einzelne gezwungen, seine Arbeitskraft zu verkaufen, sondern das ganze System funktioniert nur, indem zugleich das Geld Wachstum findet. Das heißt, dass jeder sich sein Geld erwirtschaften muss, steht noch unter dem Zwang, dass dabei Gewinne erwirtschaftet werden. Ein Unternehmen, das keinen Gewinn erwirtschaftet, das ist im nächsten Moment vom Markt. Dieser Wachstumszwang zwingt unser Wirtschaften mit Geld zu einem Zugriff auf die Böden, auf die Meere, auf die Luft.

Corona entschleunigt das System derzeit, wird das so bleiben?

Bockelmann: Jeder hat nach Corona auch schon wieder im Ohr: 'Jetzt muss die Wirtschaft aber ordentlich angeschoben und wieder hochgefahren werden, damit es wieder Wachstum gibt.' Das ist eben die Herrschaft des Geldes. Solange das Geld da ist, herrscht es in dem Sinne, dass es uns zu diesem Wachstum zwingt und also zu einem entsprechend unnachsichtigen Umgang mit unserer Welt. Wir haben das auch bei der letzten großen Krise 2008 erlebt. Da hieß es 'Die Banken sind systemrelevant.' Vielleicht hat man das nicht gerne gehört, aber das war die volle Wahrheit. Diese Banken sind relevant, dass das ganze System weiter funktioniert. Das heißt, das Geld ist wirklich ein System.

Sie sprechen den Umgang mit unserer Welt schon an. Inwieweit sehen Sie also einen  direkten, kausalen Zusammenhang zwischen "der Herrschaft des Geldes", wie Sie es nennen, und der Klimakrise?

Bockelmann: Der Zusammenhang mit dem Klima, also mit der Aufheizung des Klimas, liegt eigentlich auf der Hand. Insbesondere seit der Zeit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert geht es mit der Erhitzung aufwärts. Ein Phänomen wie die Industrialisierung ist nicht nur dem Wunsch der Menschen geschuldet, mehr Waren zu bekommen, sodass man deswegen hätte mehr produzieren müssen, sondern dem Wachstum der Wirtschaft, also des Geldes. Dass sich dieses Übermaß an Produktion, sogar immer noch steigende Maß an Produktion, entsprechend auf die Luft auswirkt, ist klar. Zumal eben alle Schutzmaßnahmen, damit die Luft nicht belastet wird, kosten. Die Kosten müssen gering sein, damit überhaupt Gewinne erzielt werden können, weil das eine Plus-Minus-Rechnung ist.

Wie verhält es sich mit der Migration?

Bockelmann: Das Problem, dass Menschen sich auf den Weg machen in andere Länder, als die Länder, in denen sie sonst auch gerne weiter leben würden, entsteht dadurch, weil die Geldwirtschaft Krisen hat. Es gehört zum Geld und auch zum Geldsystem, dass das Geld nicht überall in der Welt gleich gut und mit dem gleichen Erfolg funktionieren kann. Ganz einfach, weil es unter einem starken Konkurrenzdruck arbeitet. Ganze Länder konkurrieren bekanntlich gegeneinander und da gibt es dann eben Gewinner und Verlierer. Und es gibt notwendig Staaten, in denen es wirtschaftlich schlechter laufen muss als in anderen, wo mit dem Geld erfolgreicher gemanagt wird.

Was sehen Sie dabei als Ausweg? Plädieren Sie für eine Abschaffung des Geldes oder tritt dann nur ein Äquivalent in das Vakuum, das Geld hinterlassen hat?

Bockelmann: Solange es dieses reine Tauschmittel gibt, haben wir es mit Geld zu tun, egal, wie wir das nennen. Das heißt eine Wirtschaft ohne Geld muss irgendwie dazu finden, dass die Menschen miteinander zusammenhängen, dass sie irgendwie persönlich einander verpflichtet sind. Das ist etwas, was heutzutage über das Internet sehr viel besser ginge: Was jeder braucht? Wie das herzustellen ist? Nur ohne Geld werden diese Zwänge aus der Welt geschafft, die uns unsere Klimaerwärmung einbrocken. Es ist nur die erste Bedingung dafür, dass es insgesamt mit diesem zerstörerischen Umgang mit der Welt anders wird. Was natürlich das Schönste wäre, wenn die Herrschaft des Geldes friedlich beendet werden würde, dann wären die Menschen darauf angewiesen, sich abzusprechen: Wer kann das tun und wer kann jenes tun? Und jeder muss mitmachen, wenn er von den anderen als jemand anerkannt werden will, der mit in diese Versorgung eingeschlossen wird.

Inwiefern stellt Ihrer Ansicht nach die derzeitige Pandemie einen Wendepunkt dar? Befinden wir uns in einer revolutionären Zeit?

Bockelmann: Diese Pandemie war letztlich nur ein paar Wochen oder Monate. Aber es ist absehbar, dass diese Zeit eine Wirtschaftskrise zur Folge hat, in einem Ausmaß, wie wir sie noch nicht gekannt haben. Wir müssen uns klar sein, dass schon die Krise von 2008 nicht überwunden war. Jetzt kommt auf diesen Krisenmodus noch hinaufgesattelt eine Krise des Geldes, die wirklich alle Dimensionen, die es früher da gab, sprengen wird. Im Moment ist da in Deutschland vielleicht noch nicht so viel zu spüren, aber viele Selbständige haben das schon sehr nah an sich erlebt. Aber das wird auf jeden Fall weitergehen.

Gilt das Ihrer Meinung nach auch für die weiter entfernte Zukunft?

Bockelmann: Die Kanzlerin spricht davon, dass die nächsten Generationen noch daran zu knabbern haben werden. Das gehört auch zur Logik des Geldes. Das, was jetzt nicht als Gewinn erwirtschaftet wurde, muss als neues Geld reingeschossen werden, aber das muss natürlich auch wieder erwirtschaftet werden. Insofern könnte es sein, dass wir jetzt mit diesem ohnehin geschichtlich einmaligen Vorgang, mit den Folgen dieser Pandemie, auch ein Ende des Geldes erleben.

Welche Zukunft prophezeien Sie dem Geld?

Bockelmann: Entweder wir wirtschaften weiter mit Geld und damit werden wir uns nicht nur immer wieder den absehbaren Krisen aussetzen, die in Abständen und eventuell stärker aufeinanderfolgen. Wir sind dann gezwungen, mit der Welt genauso zerstörerisch umzugehen, wie wir es in den letzten Jahrhunderten getan haben. Wir machen mit Geld weiter und rocken diese Welt zugrunde. Oder die andere Möglichkeit: Es geht entweder friedlich zu Ende mit der Geldwirtschaft oder erzwungen durch eine Krise. Das würde wenigstens die Möglichkeit eröffnen, mit der Welt gesünder anders umzugehen.

Was wünschen Sie sich ganz persönlich?

Bockelmann: Wenn Sie fragen, welche Zukunft ich mir wünsche, dann ist es ohne Zweifel die letztere, also die Möglichkeit, dass wir mit unserer Welt friedlich und freundlich so umgehen, wie sie es verdient, als dass wir das Geld retten.

Herr Bockelmann, vielen Dank für das Gespräch

Eske Bockelmann wurde 1957 in Friedrichshafen geboren und wuchs in München auf. Er studierte klassische Philologie und Germanistik, wurde an der Universität München promoviert und an der TU Chemnitz habilitiert. Dort arbeitet er seit 1994, außerdem seit 2005 als Lehrer für Altgriechisch und Latein an einem Gymnasium. 2004 erschien das erste Buch zu seinem großen Thema: "Im Takt des Geldes. Zur Genese modernen Denkens.“ 2020 kam als Grundlagenwerk hinzu: „Das Geld. Was es ist, das uns beherrscht“.

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