Medizin Schicksalsschlag Krankheit: Warum ausgerechnet ich?

28. Juni 2020, 11:00 Uhr

Warum ausgerechnet ich? Diese Frage stellen sich wohl die meisten Menschen, wenn sie schwer erkranken. Ich habe doch immer gesund gelebt, Sport gemacht, mich gut ernährt – warum bekomme ich Krebs und andere nicht? Dann ist oft vom Schicksalsschlag die Rede, von Pech und Zufall. Aber was bedeutet Schicksal in der Medizin? Sind wir unserem Schicksal ausgeliefert - abhängig von dem, was unsere Gene nun einmal eingespeichert haben – oder können wir das Schicksal doch selbst in die Hand nehmen?

Es ist ein Moment, der plötzlich alles verändern kann: Die Diagnose einer Erkrankung reißt uns aus dem Alltag und lässt Betroffene hadern – mit ihrem Schicksal, wie man sagt. War das alles vorherbestimmt? Ist es Zufall oder eigenes Verschulden? Diese Fragen stellen sich Menschen, die zu Wolfgang Henn in die Humangenetische Beratungsstelle kommen.

Henn ist nicht nur Humangenetiker, sondern auch Medizinethiker und Mitglied im Deutschen Ethikrat und erklärt: "Wenn Kinder an einer genetischen Erkrankung leiden, sage ich den Eltern immer: 'Wir haben etwa 22.000 Gene, die wir noch nicht einmal alle kennen. Bei jedem Menschen sind unter diesen tausenden Genen auch eins, zwei, drei, vier oder vielleicht auch noch mehr nicht so perfekte dabei. Das gehört einfach dazu.'" Daraus Schuldgefühle abzuleiten, sei der falsche Weg. "Wir müssen mit Dingen, die uns im Leben treffen, versuchen, im Vorwärtsgang vernünftig umzugehen", sagt Henn.

Wenn Eizelle und Sperma sich vereinen, spielt Zufall eine große Rolle

Der Humangenetiker muss den Betroffenen auch erklären, dass es für solche Erkrankungen keinen Grund geben muss. Sie können ein reines Zufallsprodukt sein, einfach Pech – so hart das auch klingt. Denn die Biologie ist einfach nicht perfekt, meint auch Daniel Ibrahim vom Max-Planck-Institut für molekulare Genetik. Der Molekularbiologe erläutert, dass einer aktuellen Studie zufolge jeder von uns etwa 70 Gen-Mutationen hat, die weder bei Mutter noch Vater vorkommen. Wenn Eizelle und Sperma sich vereinen und ein neuer Mensch entsteht, hat da auch der pure Zufall ein Wörtchen mitzureden.

Je häufiger sich eine Zelle teilt, je häufiger kann ein Fehler auftreten

"Wir haben alle DNA in jedem von unseren Zellkernen. Wenn sich die Zelle teilt, muss die DNA verdoppelt werden und da gibt es ein Enzym. Das heißt DNA-Polymerase und das macht aus einem Strang DNA zwei Stränge DNA und zwar eine identische Kopie. Wie alles in der Biologie funktioniert das nicht zu 100 Prozent, es hat eine Fehlerrate", erklärt Ibrahim. "Je häufiger sich eine Zelle teilt, desto häufiger tritt ein Fehler auf." Da Eizelle und Spermium ganz normale Zellen seien, träten auch hier Fehler auf. Und manche davon führten eben zu einer Krankheit. Unsere Gen-Mutationen sind also gewissermaßen Kopierfehler. Doch das ist nicht nur schlecht, ergänzt Humangenetiker Henn.

Ohne die genetischen Fehler, die in der Zellteilung so passieren, gäb’s keine Evolution. Wenn es keine Mutationen, keine Genveränderungen gäbe, die vom Zufall ausgehen, dann wären wir Menschen letztlich nie aus den Bakterien entstanden.

Wolfram Henn Deutscher Ethikrat

Gene als "diffuses Risiko"

Hängt die Antwort darauf, ob wir eine Krankheit bekommen, oder eben nicht, also vom Zufall ab? Sind wir dem Pech in der Gen-Lotterie hilflos ausgeliefert? Die Antwort der Mediziner lautet: Es kommt darauf an. Es handle sich da eher um ein Spektrum. Auf der einen Seite die Erbkrankheiten. Wenn ein Mensch mit einer Fehlbildung geboren wird, ist das gewissermaßen Schicksal. Am anderen Ende des Spektrums stünden Gene, die ein eher diffuses Risiko seien, erläutert Ibrahim. So habe man zum Beispiel bei Diabetes einige Gene identifiziert, die die Wahrscheinlichkeit für eine Erkrankung leicht erhöhten.

Individuelles Verhalten nimmt auch Einfluss auf Krankheit

In der Mitte des Spektrums liegt den Medizinern zufolge indiviudelles Verhalten. Bei bestimmten genetischen Veranlagungen nehmen wir mit unserem Verhalten und Lebensstil tatsächlich direkt Einfluss, ob wir krank werden.

Kennen wir unsere Gene zu wenig?

Unsere Gene können also durchaus Auskunft darüber geben, ob und mit welcher Wahrscheinlichkeit wir eine Krankheit bekommen. Wissen wir also vielleicht nur noch nicht genug über unsere Gene? Ist das Schicksal also nur die Abwesenheit besseren Wissens? Humangenetik-Professor Johannes Lemke vom Universitätsklinikum Leipzig hält das für möglich.

Johannes Lemke
Johannes Lemke, Humangenetik, Uniklinikum Leipzig Bildrechte: Stephan Labs

Wenn wir mit den nächsten Jahren und Jahrzehnten vielleicht noch mehr und noch besser das Erbgut verstehen, können wir vielleicht auch etwas mehr über die Prognose von Erkrankungen und die Auftretungshäufigkeit von bestimmten Problemen sagen. Und demnach das Schicksal etwas besser vorhersehen und es nicht mehr Schicksal sein lassen.

Johannes Lemke Humangenetik, Unilinikum Leipzig

Schicksal als Vorherbestimmung?

Denn oftmals helfe es Betroffenen schon, überhaupt eine Erklärung für ihre Erkrankung zu bekommen – zu erkennen, dass es nicht oder nicht nur am eigenen Fehlverhalten gelegen hat. Also doch wieder Schicksal. Denn der Begriff bedeute ja, dass alles auf irgendeine Weise vorherbestimmt wäre, und sei es durch Naturgesetze, sagt Florian Aigner. Der Österreicher ist Quantenphysiker und Autor. Er hat ein Buch über den Zufall geschrieben. Und aus seiner Sicht, kann er den Medizinern nur beipflichten: Manchmal regiert einfach der Zufall und manche Dinge passieren einfach – ganz ohne Grund und Ursache:

Das ist ein sehr revolutionärer Gedanke, der auch als er erstmals aufgebracht wurde, vielen Physikern nicht gefallen hat.

Florian Aigner

Aigner führt weiter aus: "Albert Einstein gehörte zu denen, die gesagt haben: 'Das kann nicht sein, da haben wir noch irgendwas übersehen, denn Gott würfelt nicht.' So hat Einstein das ausgedrückt und Nils Bohr hat dann gesagt zu Einstein: 'Schreiben Sie Gott nicht vor, was er zu tun hat!'"

Zufall akzeptieren lernen

Die Existenz von Zufällen ergebe sich aus der Chaostheorie und der Quantentheorie, erläutert Aigner. Seine Existenz müsse man einfach akzeptieren. Und genau so ist es ja auch mit den Mutationen in unseren Genen: Manches müssen wir einfach als Zufall akzeptieren lernen. Anderes dagegen können wir beeinflussen und je mehr wir wissen, desto größer unser Einfluss. Und um so besser können wir unser Schicksal selbst in die Hand nehmen.

2 Kommentare

Kritische am 29.06.2020

Wenn man nur für sich lebt, mag das vielleicht stimmen. Auch wenn man das so pauschal nicht sagen kann. Aber wenn jemand für Kinder verantwortlich ist und eine tödliche Diagnose erhält, ist das ganz anders. Es soll Menschen geben, die gebraucht werden, auch wenn sich das manchen in unserer Spaßgesellschaft nicht vorstellen können.

part am 29.06.2020

Ich möchte irgendwie das hier dargestellte Chaosprinzip nicht akzeptieren, besonders weil die Epigenetik nicht berücksichtigt wurde, kulturell-soziale Verhältnisse, Umweltbelastungen und politische Belastungen, die eben im Verbund zu Krankheitsbildern führen können, die über den physischen Bereich hinaus gehen. Der Mensch ist ein ganzheitliches Wesen und viele Faktoren können darüber bestimmen oder ob der Verwandschaftsgrad in bestimmten Regionen, auch bei uns,, die genetische Fehlerhaftigkeit erhöht oder andere Faktoren bestimmend sind.