Kleines Mädchen, während des 2. Weltkrieges, im Warschauer Ghetto.
Schreiben sich Traumata aus der Kindheit im Krieg in die Gene und wandern so weiter? Bildrechte: imago/ZUMA/Keystone

Gen-Forschung Erblich: Stress und Trauma

23. August 2017, 18:28 Uhr

Von wegen, lange her! Das, was Eltern und Großeltern im Krieg, in Gefangenschaft, im KZ oder anderen Lagern erlebt haben, geht nicht spurlos an den Folgegenerationen vorüber. Aber leben diese Stresserfahrungen und Traumata nur durch die Erzählungen der Alten weiter – oder haben sie sich vielleicht auch ins genetische Erbe der Nachfolgegeerationen eingeschrieben? Eine Frage, mit der sich inzwischen auch die Wissenschaft beschäftigt.

Färben Stress und Trauma auf das menschliche Erbgut ab? Jeder Mensch reagiert anders auf Stress. Die einen bleiben in stressigen Situationen die "Ruhe in Person" und schalten danach schnell wieder ab. Andere bleiben nach akuter Anspannung extrem lange im Stressmodus. Wie man auf Stress reagiert, kann entscheidend sein bei der Entstehung von Krankheiten wie Depression oder einer posttraumatischen Belastungsstörung. Extremer Stress kann sich sogar ins Erbgut einbrennen und so über Generationen weitergegeben werden.

Genau das untersucht Dr. Elisabeth Binder, Direktorin am Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München. Sie erforscht, wie Stress und traumatische Erlebnisse in die DNA gelangen und welche Rolle sie bei der Entstehung von psychischen Krankheiten spielen.

Wie sich Stress ins Erbgut schreibt

Welche Mechanismen im Körper sind für Stress-Vererbung verantwortlich, obwohl unser Erbgut als stabil gilt? Die Antwort liegt Binder zufolge im sogenannten Epigenom. Schon lange ist bekannt, dass das Epigenom dafür zuständig ist, dass verschiedene DNA-Baupläne und Genabschnitte aktiviert werden, damit sich mit der gleichen genetischen Information verschiedene Körperzellen wie Leber, Herz oder Hautzellen bilden.

Dagegen ist erst seit kurzem bekannt, dass das Epigenom auch auf Umwelteinflüsse wie Stress flexibel antwortet. Alles, was wir erleben, beeinflusst offenbar auch, wie biochemische Prozesse unser Erbgut ablesen, wie stark oder niedrig bestimmte Genbereiche aktiviert werden – nicht nur über kurze Zeiträume wie Stunden oder Wochen. Frauen, die in der Kindheit ein Trauma erleben, geben Stressgene sogar an ihre Kinder und Kindeskinder weiter, sagt Binder. Studien zeigen der zufolge Wissenschaftlerin zufolge, dass sich Kindheitstraumata von Müttern später auf deren eigene Schwangerschaft auswirkt und auch auf die die Entwicklung bestimmter Hirnareale des Kindes bei Geburt. Solche Schwangerschaft seien auch hormonell anders, sagt Binder.

Die Weitergabe beschränkt sich übrigens nicht nur auf Frauen - auch Männer mit traumatischen Erfahrungen geben über ihre Spermien solche epigenetischen Signale an ihre Nachkommen weiter.  

Stress-Gen-Vererbung – endlos oder endlich?

Elisabet Binder geht aber nicht von einer endlosen Vererbungskette aus. Entfallen die stressenden Umwelteinflüsse, müssen sich ihr zufolge irgendwann auch die hyperaktiven Stressgene normalisieren, die mit Depressionen und posttraumatischen Belastungsstörungen in Verbindung gebracht werden. Am Max-Planck-Institut in München erforscht man inzwischen, womit diese Genüberaktivität blockiert werden kann. Außerdem gibt es erste Hinweise darauf, wie Psychotherapie gen-regulierend wirken kann.