Eine Narkose wird eingeleitet
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Studie Gedächtnisverlust nach Vollnarkose

04. Juli 2019, 14:35 Uhr

Fast die Hälfte der Patienten, die eine Vollnarkose bekommen, haben danach Gedächtnisprobleme – das zeigen Studien. Eine Untersuchung aus Münster hat festgestellt: Vor allem bei älteren Menschen gibt es viele Fälle, bei denen das nicht sein müsste. Was muss anders laufen bzw. was läuft in Münster jetzt schon anders?

Der Weg in eine OP ist wie ein Marathon, sagt Dr. Simone Gurlit. Niemand würde da untrainiert reingehen, weder junge, noch ältere Menschen. Aber meist tun sie es doch genau so. Warum? Weil sie es nicht besser wissen, glaubt die Medizinerin. Sie ist Leitende Ärztin der Abteilung für Perioperative Intensivmedizin am St. Franziskus-Hospital in Münster. Sie schildert, was bei einer Vollnarkose geschieht: Zunächst wird ein Beatmungsschlauch in der Luftröhre platziert, eine Maschine beatmet dann den Patienten - und schon dabei kann einiges schief gehen:

Schon bei der Platzierung des Schlauches kann es zu Zahnschäden kommen, weil man den Schlauch durch den Mund platzieren muss.

Dr. Simone Gurlit
Dr. Simone Gurlit
Bildrechte: Dr. Simone Gurlit

In Folge der Operation kann es der Ärztin zufolge zu Übelkeit und Erbrechen kommen, und wenn der Magen nicht leer sei, weil man beispielsweise ein Notfallpatient ist, könne es zur sogenannten Aspiration kommen: "Das heißt, der Mageninhalt gelangt in die Lunge." Das hat schwere Lungenentzündungen zur Folge.

Beruhigungsmedikamente verstärken Gedächtnisverlust

Eine Patientin in einem Krankenbett, neben ihr ein Nachttisch mit einem Wasserglas und einem Medikamentenbecher
Beruhigungspille? Nicht, wenn es sich vermeiden lässt Bildrechte: imago/Jochen Tack

Das ist zwar ein ein Schock für jeden Organismus, aber noch lange kein Grund für Gedächtnisverlust. Studien belegen aber, dass 30 bis 80 Prozent aller Patienten nach einer Vollnarkose Gedächtnisprobleme haben, manche kurzzeitig, manche auch bleibend. Dafür gibt es Gründe: Die extrem hohe körperliche Anstrengung und die Vollnarkose an sich. Die allein wäre gar nicht so dramatisch, wären da nicht noch zusätzliche Medikamente vor der OP, um den Patienten zu beruhigen.

Ein weiterer Einflussfaktor ist das Alter der Patienten und die werden immer älter. Aus Sicht von Gurlit sind Krankenhäuser mit Senioren oft überfordert: "Die Rahmenbedingungen sind für ältere Patienten einfach schlecht", sagt sie. "Für sie ist es eine fremde Umgebung, ein neuer Rhythmus, ein neuer Tagesablauf." Wenn man zusätzlich Schmerzen und Angst habe, sowie unsicher sei, komme es zu weiteren geistigen Einbußen.

Zuwendung vor der Narkose

Doch dazu muss es nicht kommen. Schon einfache Änderungen können helfen, so die Erfahrungen am St. Franziskus Hospital: Zeit und Zuwendung.

Wir arbeiten mit Altenpflegerinnen, die die  Patienten frühestmöglich kennenlernen. Die bleiben am Patienten, auch während und nach der Operation.

Dr. Simone Gurlit

Mit Medikamenten ist man in der Klinik in Münster vorsichtig. Mittel gegen Angst werden nur gegeben, wenn es sein muss, da sich zeigt, dass sie Gedächtnisverlust nach einer Vollnarkose fördern.

Der Patient braucht außerdem vertraute Dinge: Der eigene Wecker auf dem Nachttisch, Bilder und Besuche von Freunden oder Verwandten. Eigentlich nicht viel. Trotzdem scheuen viele Kliniken den Zeitaufwand für die intensivere Betreuung. Gurlit sagt, das sei zu kurz gedacht. Die Folgeschäden nach einer Vollnarkose seien oft viel zeitaufwendiger und teurer als die Zuwendung davor.

Eine Frau überreicht einem Mann im Krankenbett einen Blumenstrauß in einer Vase.
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Dieses Thema im Programm: MDR aktuel | Radio | 03. Juli 2019 | 17:50 Uhr