Höhentraining vs. Blutdoping Wo liegen die Grenzen des Dopings?

06. Juli 2019, 05:00 Uhr

Heute, am 6. Juli 2019, starten 176 Radprofis zur Tour de France. Das Radrennen gilt als das härteste überhaupt. Körperliche Fitness und die Fähigkeit Sauerstoff in Leistung umzusetzen, wird 22 Tage absolut entscheidend sein. Nicht selten suchen Sportler Unterstützung im Doping - Lance Armstrong, Jan Ulrich und Danilo Hondo gehörten zu prominenten Vertretern. Doch wo fängt Doping an, wo hört es auf? Warum ist Höhentraining eigentlich erlaubt, während Blutdoping nicht akzeptiert wird?

Sportler möchten Erfolg haben. Sportler wollen über sich herauswachsen. Sportler gehen an ihre körperlichen Grenzen. Doch der Körper ist eben keine Maschine, er hat seine eigenen Gesetze, er kann auch erschöpft sein. Dann ist sprichwörtlich die Luft raus.

Dass dies im entscheidenden Moment mitten im Wettkampf passiert, ist die große Angst vieler Sportler. Deswegen trainieren sie noch härter, ernähren sich gut und versuchen Risikofaktoren zu minimieren. Die Grenzen zum "Doping" können dabei manchmal fließend sein. Traubenzucker vor dem Wettkampf gehört dabei sicher zum harmlosesten legalen "Doping". Doch auch Höhentraining für einen höheren Sauerstoffgehalt im Blut ist erlaubt. Blutdoping, bei dem Sportler sauerstoffreiches Blut über Transfusionen erhalten, ist hingegen verboten. Warum eigentlich? Wo liegen die Grenzen des Dopings?

Höhentraining ist natürlicher Anpassungsprozess

Für Dr. Andrea Gotzmann, Vorsitzende der Nationalen Antidoping Agentur ist die Situation ganz klar: "Beim Höhentraining findet eine natürliche physiologische Anpassung des Körpers an die Umgebungsbedingungen statt", erklärt sie MDR WISSEN. Die entscheidende Formulierung sei hier die "natürliche Anpassung". Doch was passiert beim Höhentraining? Ab einer Höhe von etwa 2.500 Metern sinkt der Sauerstoffgehalt, die Luft wird sprichwörtlich dünn. Um das zu kompensieren, bildet der Körper vermehrt rote Blutkörperchen. Das Ziel: den wenigen Sauerstoff schnell im Blut zu transportieren und alle Zellen ausreichend zu versorgen.

Mehr Blutzellen, mehr Sauerstoff, mehr Power

Steigen die Sportler dann ab und bewegen sich wieder unter 2.500 Meter mit einem normalen Sauerstoffgehalt in der Luft kehrt sich das Verhältnis um. Es gibt noch ganz viele rote Blutkörperchen und plötzlich auch ganz viel Sauerstoff. Die Zellen werden überoptimal versorgt, zusätzliche Kräfte entstehen. Die Sportler können ihre Leistung erhöhen.

Dr. Dirk Schwenke
Für Dr. Dirk Schwenke vom Institut für Dopinganalytik in Kreischa ist Höhentraining ein natürlicher Anpassungsprozess. Bildrechte: MDR/Karsten Möbius

Körper liefert nicht unbegrenzt neue Blutzellen

Dr. Dirk Schwenke vom Institut für Dopinganalytik in Kreischa argumentiert ähnlich wie Gotzmann von der Anti-Dopingagentur. Höhentraining sei ein natürlicher Anpassungsprozess des Körpers. "Der Körper sagt zwar: 'Ich produziere so viele rote Blutzellen, damit ich den Sauerstoff ausreichend transportieren kann. Doch der Körper weiß auch, ‚ich kann's nicht übertreiben. Da ist ein Limit, mehr rote Zellen gibt es nicht", erklärt Schwenke. "Selbst wenn ich im Himalaya auf hohe Berge steigen würde, produziert der Körper zwar schnell mehr Blutzellen, doch ein Limit ist schnell erreicht." Nicht umsonst müssten sich Bergsteiger langsam an die Höhe gewöhnen und akklimatisierten sich zwischendurch.

Ein Mann hält eine Urinprobe zwischen Daumen und Zeigefinger.
Beim Blutdoping könne laut Dirk Schwenke das Blut mit zu vielen roten Blutzellen angereichert und somit dick werden. Das berge das Risiko von Herzinfarkten und Hirnschlägen. In den kleinen Gefäßen wird Urin für die Doping-Proben gesammelt. Bildrechte: MDR/Karsten Möbius

Blutdoping: Neue Blutzellen über Transfusionen

Und was ist jetzt der Unterschied zum Blutdoping? Blutdoping funktioniert nach einem ähnlichen Prinzip. Sportler erhalten - im Fall des illegalen Dopings - das mit roten Blutkörperchen angereicherte Eigen- oder Fremdblut direkt über Transfusionen. Damit können sie sich den Ausflug in die Berge sparen oder setzen nach dem Bergtraining noch eine "Extraportion Blutzellen" drauf.

Massiver Eingriff in das Regelsystem des Körpers

"Blutdoping ist ein massiver, unphysiologischer Eingriff in die Regelsysteme des menschlichen Körpers. Die Anwendung des Blutdopings ist mit größten Gesundheitsgefahren verbunden", warnt die Chefin der Anti-Doping-Agentur Gotzmann. Das Verbot des Blutdopings lasse sich schlichtweg mit der Gesundheit der Sportler begründen, erklärt auch Schwenke vom Institut für Doping-Analytik in Kreischa. "Mit der Erhöhung der roten Blutzellen wird auch das Blut dicker. Der natürliche Prozess stoppt, die Bluttransfusion läuft aber weiter" erklärt Dirk Schwenke vom Dopinglabor. "Durch das dicke Blut steigen die Risiken für Herzinfarkt und Hirnschlag."

Institut für Dopinganalytik Kreischa
Institut für Dopinganalytik Kreischa. Bildrechte: MDR/Karsten Möbius

Vergleich mit Ketschup

Schwenke zieht einen Vergleich mit Ketschup heran: "Wenn man Ketchup belastet, also kurz schüttelt, wird der Ketchup ganz dünn. Er lässt sich leicht herausdrücken oder auffüllen. Das ist bei Blut genauso. Wenn ich Blut durch Training oder einen Wettkampf belaste, wird dickes Blut quasi dünner und fließt besser." Werde die Belastung dann zurückgefahren, verdicke sich das Blut wieder schlagartig.

Todesfälle in den 1990er-Jahren vermutet

Welche Leistungssteigerung - vor allem in Ausdauersportarten - durch Blutdoping erreicht werden können, ist umstritten und nicht ganz geklärt. Eine Studie bei Sportstudenten stellte eine verbesserte Leistung von fünf bis zehn Prozent fest. Ob das bei austrainierten Hochleistungsathleten auch so ist, weiß man nicht. Fest steht jedoch: Blutdoping greift tief in die Prozesse der Blutbildung ein und kann zu Herz-Kreislauf-Komplikationen führen. Es werde vermutet, dass in den 1990er-Jahren mehrere Todesfälle junger Athleten darauf zurückzuführen seien, erklärt Schwenke.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 27. Mai 2019 | 06:24 Uhr