In dieser Fotoillustration wird der Twitter-Account des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, Donald Trump, auf einem Smartphone angezeigt.
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Meinungsfreiheit Trumps Twitter-Streit: Was dürfen soziale Netzwerke?

05. Juni 2020, 16:14 Uhr

Erst Twitter, jetzt auch noch Snapchat – die sozialen Netzwerke legen sich mit US-Präsident Donald Trump an. Alles begann Ende Mai, da reagierte Twitter auf drei Posts von Donald Trump, unter anderem mit einem Faktencheck. Und auf Snapchat werden den Nutzerinnen und Nutzern seit ein paar Tagen Posts von Trump nicht mehr empfohlen. Der wehrt sich und versucht, die sozialen Netzwerke per Dekret in ihre Schranken zu weisen.

Ein Streit, in dem es wie immer um Macht geht, aber auch um eine ganz grundsätzliche Frage: Was dürfen soziale Netzwerke und welche Verantwortung haben sie?

Protest gegen Twitter ausgerechnet auf Twitter

"Twitter unterdrückt die Meinungsfreiheit und ich, als Präsident, werde das nicht zulassen!" So äußerte sich Donald Trump vor einer Woche, und das ausgerechnet auf der Plattform, um die es hier geht: Twitter.

Tobias Gostomzyk
Tobias Gostomzyk, Medienwissenschaftler. Bildrechte: Judith Wiesrecker/TU Dortmund

Auf der einen Seite sagen die sozialen Netzwerke, sie wollen nicht verantwortlich sein für Inhalte, die dort gepostet werden, auf der anderen Seite aber auch immer wieder auf Inhalte einwirken. Sei es durch Nutzungsbestimmungen, sei es durch Sichtbarkeiten, die durch Algorithmen erzeugt werden, oder sei es eben auch durch die Kennzeichnung über Fake-News…

Tobias Gostomzyk, Medienrechtler an der TU Dortmund

…oder sei es durch einen Faktencheck. Auf zwei Tweets von Trump hat Twitter so reagiert. Darin behauptete Trump, Briefwahl-Stimmzettel würden zu einer manipulierten Wahl führen. Drei Tage später äußerte er sich in einem weiteren Tweet zu den Protesten in Minneapolis. Zitat: "Wenn die Plünderungen beginnen, beginnt das Schießen." Twitter reagierte mit einem Warnhinweis:

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Bildrechte: Twitter/Donald Trump

Netzwerke können ihre eigenen Regeln machen

Grund genug für Donald Trump, seine Meinungsfreiheit eingeschränkt zu sehen. Zu Unrecht, findet Ulrike Klinger, Kommunikationswissenschaftlerin der Freien Universität Berlin.

Es wurde ja gar nichts gelöscht oder in irgendeiner Form zensiert. Und selbst wenn Twitter da etwas gelöscht hätte, muss man einfach sehen: Das sind private, kommerzielle Plattformen, die Hausrecht haben. Die können ihre eigenen Regeln machen und auch durchsetzen.

Ulrike Klinger, Kommunikationswissenschaftlerin an der FU Berlin

Ulrike Klinger
Ulrike Klinger, Kommunikationswissenschaftlerin. Bildrechte: Jan Kopankiewicz

Facebook lässt Trump-Posts umkommentiert

Gleichzeitig ist Twitter aber eben kein privater Raum, sondern eine öffentliche Plattform, die einen erheblichen Einfluss auf unsere Meinungsbildung hat. Und da macht es einen Unterschied, ob ein Tweet unkommentiert bleibt oder mit einem Warnhinweis versehen ist. Darf ein soziales Netzwerk wie Twitter also Inhalte einordnen und kommentieren? Nein, sagt Facebook-Chef Mark Zuckerberg im Interview mit dem amerikanischen Nachrichtensender CNBC.

I dont’t think that Facebook or internet platforms in general should be arbiters of truth. I think that's kind of a dangerous line to get down to in terms of deciding what is true and what isn't.

Mark Zuckerberg, Facebook-Chef

Soziale Netzwerke sollten keine Schiedsrichter der Wahrheit sein, so die Meinung von Zuckerberg. Dementsprechend anders hat sein Unternehmen auf Trump reagiert, nämlich gar nicht. Dieselben Inhalte, die auf Twitter gekennzeichnet wurden, blieben auf Facebook unkommentiert.

Mark Zuckerberg
Facebook-Chef Mark Zuckerberg. Bildrechte: imago/IP3press

3.000 Unwahrheiten von Trump in drei Jahren

Daran gibt es Kritik – und zwar direkt aus dem Hause Facebook selbst: 600 Mitarbeiter haben diese Woche gestreikt. Auch der Medienwissenschaftler Tobias Nanz aus Flensburg ist anderer Meinung als Zuckerberg.

Sobald man als soziales Medium dazu genutzt wird, dass man politische Inhalte transportiert und ein gewichtiger Akteur in der politischen Szene wird, glaube ich, dass man früher oder später solche Faktenchecks einführen muss.

Tobias Nanz, Medienwissenschaftler Uni Flensburg

Tobias Nanz
Tobias Nanz, Medienwissenschaftler. Bildrechte: Tobias Nanz

Die Frage ist aber, nach welchen Kriterien das passiert. Wann, warum und auch wie Twitter auf Inhalte reagiert – das ist bisher nicht klar. Das zeigt das Beispiel Donald Trump ganz deutlich. Schließlich hat es in der Vergangenheit schon zahlreiche Tweets von Trump gegeben, in denen er Unwahrheiten verbreitet hat. 3.000 allein in den letzten drei Jahren – nach Zählung der "Washington Post".

Twitter-Regeln verändern sich kontinuierlich

Warum also reagiert Twitter erst jetzt – mitten im Präsidentschaftswahlkampf? Bestenfalls wirkt das willkürlich, schlimmstenfalls aber wie Meinungsmache gegen Trump. Genauso wie die Tatsache, dass Trumps gewaltverherrlichender Tweet nicht etwa gelöscht wurde, wie es eigentlich üblich ist, sondern mit einem Kommentar versehen wurde. Ulrike Klinger beschwichtigt:

Man hat gesehen, dass im Zuge der Coronavirus-Krise die Regeln der Plattform nochmal überarbeitet worden sind. Diese Regeln sind auch nie fix, die verändern sich kontinuierlich.

Ulrike Klinger

Und sie gelten für alle, nicht nur für Trump, sagt Klinger. Im März löschte Twitter Postings der Präsidenten Brasiliens und Venezuelas, wegen irreführender Informationen über ein Corona-Heilmittel.

Nicht jeder Post kann rechtlich geprüft werden

Trotzdem könnte Twitter seine Regeln transparenter machen, wirft Tobias Nanz ein. Aber das ist es nicht, was Donald Trump fordert. Er will Abschnitt 230 des sogenannten Communication Decency Acts ändern. Demnach dürfen Plattformen wie Twitter nicht zur Rechenschaft gezogen werden für das, was ihre User posten. Sie haben ein Haftungsprivileg. Das soll auch weiterhin so bleiben, vorausgesetzt – und das ist neu - sie nehmen keinen Einfluss auf die Inhalte. Wenn doch, verlieren sie ihr Haftungsprivileg. Und damit wäre das Geschäftsmodell der sozialen Netzwerke kaputt, sagt Tobias Gostomzyk.

Weil dann jeder einzelne Post dort geprüft werden müsste auf rechtliche Relevanz. Und das ist schlichtweg nicht leistbar.

Tobias Gostomzyk

Trump und Twitter brauchen sich gegenseitig

Deshalb glaubt Gostomzyk nicht, dass es zu dieser Gesetzesänderung kommen wird. Und eigentlich dürfte das auch nicht im Interesse Präsident Trumps sein. Auf keiner anderen Plattform erreicht er so viele Menschen – 80,5 Millionen Follower. Trump braucht Twitter. Umgekehrt ist es aber genauso. Dank Trump hat das Netzwerk an Bekanntheit und Relevanz dazugewonnen. Es besteht also eine gegenseitige Abhängigkeit. Tobias Gostomzyk sieht Twitter allerdings in der stärkeren Position.

Weil in dem akuten Wahlkampf eben der Präsident doch auch wesentlich über die Verbreitung über soziale Medien angewiesen ist. Und käme man jetzt zum Beispiel dazu, dass der Account einfach geschlossen wird - was ja auch aufgrund der Community-Standards eine denkbare Sanktionen wäre seitens Twitters - dann wäre doch ein wesentlicher Kommunikationskanal von heute auf morgen gekappt. Die Blamage wäre enorm, und deswegen würde ich sagen, dass hier in dem Moment sogar Twitter ein bisschen die Nase vorn hat.

Tobias Gostomzyk

Es steht viel auf dem Spiel in diesem Streit, und er wird weitergehen, da sind sich die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen einig.