Akustik und Neurologie Wunderwaffe Schall: Hilft gegen Sucht und andere Feinde

21. Mai 2020, 05:00 Uhr

Einem Forschungsteam aus den USA ist es gelungen, durch Ultraschall das Verhalten von Affen zu beeinflussen. Jetzt hoffen sie auf neue Therapieformen. Die Idee ist aber nicht neu.

Gesicht eines kleinen Makake-Äffchens, das fotomontiert zur Seite blickt. Richtung Kopf befinden sich symbolische, weiße, leicht unscharfe Schallwellen.
Bildrechte: imago images/ITAR-TASS (M)

Das böse Teufelchen auf der einen Schulter sagt: Sie wollen diese halbe Tafel Schokolade am besten gleich ganz verspeisen. Das liebe Engelchen auf anderen Schulter erinnert Sie an Ihre guten Vorsätze – und Sie? Sie setzen sich kurz Ihre Schalltherapiehaube auf und der Heißhunger auf die kleine Sünde ist verdampft.

Ultraschalltherapie am Gehirn

Jetzt halten Sie sich fest: Das funktioniert wirklich. Auch wenn entsprechende technische Hilfsmittel noch nicht zu kaufen, oder – z.B. im Bereich Suchtererkrankung und Depression – noch nicht in Kliniken vorzufinden sind. Jan Kubanek von der University of Utah hat den Weg aber frei gemacht, für eine zielgerichtete Therapieform mit – ebenfalls zielgerichteten – Ultraschallwellen. Aber der Reihe nach: Die Idee hinter der Technik ist es, die hochfrequenten Schallwellen direkt auf entsprechende Bereiche im Gehirn zu richten und dort einen gewünschten Effekt auszulösen – einfach von außen, ohne Eingriff und Medizin.

Grafik stellt vereinfacht eine Ton-Schwingung dar  mit langen Wellen für Infraschall, mittellangen für hörbaren Schall und kurzen Wellenabständen für Ultra- und Hyperschall. Dazu die Erklärung: Infraschall bis 16 Hertz, hörbarer Schall 16 Hertz bis 20 Kilohertz, Ultraschall 20 Kilohertz bis 1,6 Gigahertz, Hyperschall über 1 Gigahertz. Im Bereich hörbarer Schall is im Hintergrund ein großes Ohr als Grafik zu sehen.
Schallfrequenzen werden in Hertz angegeben. Nur ein bestimmter Bereich ist für uns hörbar. Bildrechte: MDR/Ohr-Grafik: Pixabay/Clker

Was ist Schall?

Schall bezeichnet, vereinfacht gesagt, Teilchenschwingungen, z.B. in der Luft. Wie hoch oder tief ein Ton ist, wird in Hertz angegeben. Diese Einheit beschreibt die Wellenlänge. Je höher der Wert, desto höher der Ton. Wir Menschen können nur einen kleinen Bereich mit den Ohren wahrnehmen, tiefer Infraschall und hoher Ultraschall sind nicht hörbar.

Das muss man sich wie eine Ultraschalluntersuchung vorstellen, nur dass die Wellen auf Schaltkreise im Gehirn abzielen, Neuronen aktivieren und deren Verhalten beeinflussen. Dass das funktioniert, haben Jan Kubanek und sein Team jetzt anhand von kleinen Makaken-Äffchen gezeigt. In dem Experiment wurde ein vorderer Gehirnteil den Ultraschallwellen ausgesetzt. Dieser Bereich kontrolliert die Bewegung der Augen, wodurch es möglich war, den Affen die Blickrichtung, links oder rechts, vorzuschreiben, entgegen ihrer natürlichen Reflexe.

Zielgerichtete Behandlung durch Schall

"Verhaltensänderungen sind das, was uns letztendlich wichtig ist. Auf diese Weise könnten wir in der Lage sein, schlechte Entscheidungen zu korrigieren oder zumindest das Zittern einer Hand reduzieren", so Jan Kubanek. "Gehirnfehlfunktionen sollten zielgerichtet und personalisiert behandelt werden, anstelle Patienten einen Arzneicocktail zu verabreichen."

Schon das Phänomen der Binauralen Beats zeigt, wozu Schallwellen in der Lage sind. Wenn in ihrer Frequenz minimal abweichende Töne von den Ohren getrennt wahrgenommen werden, können auch Bereiche im Gehirn stimuliert werden, die mit dem Hören erstmal nichts zu tun haben – wodurch sich Konzentration oder Entspannung fördern lässt. Entsprechende Musikalben oder Playlists sind bei Musikstreamingdiensten zu hören und beim nächsten Denksport am Schreibtisch einen Versuch wert.

Richtschall am Getränkeautomaten

Kubankes Idee, mit Schallwellen nicht nur zu stimulieren, sondern das Verhalten zu beeinflussen, ist nicht neu, wie der erst kürzlich ausgestrahlte Göttinger Tatort Krieg im Kopf zeigt. Der Krimi spitzt die militärische Nutzungsmöglichkeit zu, mittels zielgerichtetem Schall das Verhalten von Soldaten (oder Gegnern) zu beeinflussen. Der Drehbuchautor war möglicherweise inspiriert vom Amerikaner Woody Harris, eine Art kommerziell erfolgreicher Daniel Düsentrieb, der mit seinem zielgerichteten Ultraschall-Strahl bereits 2005 für Aufhorchen sorgte. Das System war für den moralisch nicht ganz einwandfreien Einsatz in der Werbeindustrie gedacht, um durch punktgenaue Botschaften mit der Präzision eines Lasers das Kaufverhalten zu beeinflussen – z.B. am Getränkeautomaten mit einem Kronkorken-Öffnungszischen. Eine spezielle Technik kann mit Ultraschalwellen die notwendigen hörbaren Töne erzielen. Angeblich seien aber nicht Coca Cola und Pepsi, sondern das US-Militär besonders interessiert gewesen.

Mit Schall gegen Teenager

Denn immerhin sind Schallwaffen bereits im Einsatz – wohlgemerkt handelt es sich dabei um hörbaren Schall und keinen Ultraschall. Außerdem dienen diese Waffen nicht dazu, das Gehirn zu stimulieren, sondern wirken physisch auf die Ohren oder gar den Körper. Entweder soll der Druck körperlichen Schaden anrichten oder der Ton derart unangenehm sein, dass sich Gegner von sich aus aus dem Staub machen. Interessant und etwas verstörend ist auch der britische Störgeräuschsender The Mosquito. Das Teil sondert einen hochfrequenten, unangenehmen Ton ab, der nur für junge Menschen hörbar ist – und soll das Herumlungern von Teenagern verhindern. (Dieses unangenehme Klangbeispiel könnte Ihnen verraten, wie jung sie wirklich sind – bitte leise hören!)

Gegen einen zielgerichteten Ultraschallstrahl auf große Distanz, der das Gehirn von Soldatinnen und Soldaten sowie Gegnerinnen und Gegnern beeinflussen soll, spricht auch die physische Beschaffenheit dieser Schallwellen: Die hohe Frequenz erschwert es, sie auf größere Entfernungen durch die Luft zu transportieren. Ein entsprechender Helm, der aus kürzester Distanz gewünschte Gehirnbereiche stimuliert und sich auf das Verhalten oder Schmerzempfinden auswirkt, ist hingegen theoretisch denkbar. Und keine allzuschöne Vorstellung. Anders als die Makaken-Äffchen, deren ferngesteuerte Blickrichtung tatsächlich neue, schonende Behandlungsmethoden eröffnen könnte. Oder helfen, endlich den Heißhunger in den Griff bekommen.

Link zur Studie

Die Studie Remote, brain region–specific control of choice behavior with ultrasonic waves erschien am 20. Mai 2020 im Fachblatt Science Advances.

flo

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