Neurowissenschaften Wir fühlen Wärme nur dank unserer Kältenerven

26. März 2020, 12:29 Uhr

Wie empfinden wir Wärme? Die Antwort war bisher: Es gibt Nervenzellen, die die Wärme über ihre Rezeptoren spüren und dann unserem Gehirn Bescheid sagen. Falsch, sagen Forscher aus Berlin. Erst wenn die Kälterezeptoren dazu kommen, können wir Wärme spüren. Ein Widerspruch?

Wie fühlen wir Wärme und Kälte? Bisher ging die Neurowissenschaft davon aus, dass spezielle Signalwege oder "Labeled Lines" nur Wärme- oder nur Kältereize von der Haut zum Gehirn weiterleiten. Allerdings gab es dafür keinen Nachweis. Grund genug für die Forscher am Berliner Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC), genauer hinzuschauen. Denn "das Temperaturempfinden gibt uns immer noch Rätsel auf", so Dr. James Poulet, Leiter der Forschungsgruppe Neuronale Schaltkreise und Verhalten am MDC in einer Mitteilung des Instituts. "Insbesondere im Gegensatz zum Seh-, Tast- und Hörsinn ist diese Wahrnehmung noch sehr unerforscht."

Wärmebild Mäuse
Dieses Infrarot (Wärme) zeigt das warme Futter für Mäuse. Bildrechte: MDR/ MDC Berlin (Max-Delbrück-Centrum)

Viele Mäuse und ein Zufall

Aus Verhaltensstudien mit Mäusen wussten die Forscher, wie das Wärme- und Kälteempfinden der Tiere entwickelt ist. Mit weiteren Tests fanden sie heraus, dass die Mäuse "Wärme und Kälte grundsätzlich genauso wahrnehmen wie wir", so Professor Gary Lewin, Leiter der Forschungsgruppe Molekulare Physiologie der somatosensorischen Wahrnehmung am MDC.

Doch dann kam die Überraschung. Ein Zufall, so Dr. Frederick Schwaller, Co-Erstautor und Postdoktorand in der Forschungsgruppe Lewin: "Wir hatten die Mäuse eigentlich auf das Wahrnehmen von Hauterwärmung trainiert, um auf diese Weise Kontrollwerte zu erhalten. Doch dann sind wir damit zufällig auf die wichtigste Erkenntnis der Studie gestoßen."

Ohne Kälterezeptoren kein Wärmegefühl

Wärmebild Hand
Infrarotbild der Wärme, die eine Hand auf einer Oberfläche hinterlässt. Bildrechte: MDR/ MDC Berlin (Max-Delbrück-Centrum)

Und die beschreibt Ricardo Paricio-Montesinos, Co-Erstautor und Neurowissenschaftler am MDC mit einem Vergleich: "Wenn wir eine Tasse Kaffee mit den Händen greifen und augenblicklich deren Wärme spüren, geschieht dies nicht nur unter Beteiligung von Nervenzellen, die durch Wärme aktiviert werden, sondern auch durch solche, die durch Wärme deaktiviert werden." Mit anderen Worten: Ohne die Kälterezeptoren würden wir auch keine Wärme spüren.

Messbar wurde das, weil das Forscherteam bestimmte Signalwege blockierte und so erkennen konnte, wie Wärme und Kälte wahrgenommen werden. Wärme erkennen die Mäuse demnach, weil eine Gruppe von Nervenzellen ihre Aktivität erhöht, während gleichzeitig die Nervenzellen für Kälte ihre Aktivität verringern. Die beiden entgegengesetzten Signale, so die Forschenden, erzeugen ein Muster, das dem Gehirn "Wärme" vermittelt.

Theoretisch wie beim Menschen

Anders dagegen bei Abkühlung: Hier ist die Aktivität bei allen Nervenzellen erhöht, sodass ein gleich gerichtetes Muster entsteht. "Durch den Einsatz zweier Gruppen von Nervenzellen kann die Maus viel leichter eindeutig feststellen, ob die Temperatur steigt oder sinkt", sagte Lewin. Und diese Erfahrungen lassen sich theoretisch auf den Menschen übertragen, da wir dieselben Rezeptoren und Nerven besitzen, die Informationen von der Haut zum Rückenmark und zum Gehirn weiterleiten. Ob es praktisch wirklich so ist, können aber nur weitere Studien zeigen.

Link zur Studie

Die Studie von Ricardo Paricio-Montesinos et al. (2020): "The sensory coding of warm perception" ist in Neuron erschienen.

gp

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