
Medienforschung Schlechtere Mathenoten durch Smartphone, Tablet & Co.
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07. September 2020, 15:35 Uhr
Familien wissen: Nichts erhitzt die Wohnstube zuverlässiger, als ein zünftiger Streit um die Mediennutzung. Aber was machen eigentlich Smartphone, Tablet & Co. mit Kindern und Jugendlichen?
Familien wissen: Nichts erhitzt die Wohnstube zuverlässiger als ein zünftiger Streit um die Mediennutzung. Es ist ein Sisyphus-Kampf, den Eltern mit ihren Kindern ausfechten - und Kinder mit ihren Eltern -, wenn es um die Mediennutzung geht. Die Technik bringt am laufenden Band neuen "Hot Shit" hervor, eine Smartphone-Generation jagt die nächste, ein Online-Game das nächste. Bis zu fünf Stunden Mediennutzung kommen da bei Jugendlichen schnell zusammen, haben die Leipziger Forscher des LIFE Child Projekts in einer ihrer Querschnittstudien von 2018 herausgefunden.
Fünf Stunden Smartphone, Tablet & Co.: Keine Seltenheit
Dr. Tanja Poulain, die am Projekt LIFE Child der Uni Leipzig forscht, erklärt, wie ein so hoher Medienkonsum entstehen kann: "Dass Kinder viel Zeit mit den Medien verbringen, kommt ja meist nicht von einem Tag auf den anderen. Meistens schlittern da sowohl die Kinder irgendwie rein als auch die Eltern." Zum Beispiel an Wochenenden, an denen die Familie nichts geplant hat. Da können Eltern zwar Regeln für die Mediennutzung aufgestellt haben - aber es kostet Kraft, sie auch konsequent umzusetzen.
Der Leipziger Musikpädagoge Steffen G., Vater von drei Kindern, kennt das bestens. Er hat seinem 13-jährigen Sohn eine App aufs Handy gespielt, die nach 1,5 Stunden nur noch Telefonieren zulässt, was der Sohn aber selten tut. Er spielt hauptsächlich auf dem Gerät oder schaut Youtube-Videos. Die App findet der Sohn eher "mittelmäßig", weiß der Vater. Er wertet die von vielen Eltern wie Kindern verhassten Diskussionen um Nutzungszeiten ganz pragmatisch um:
Die App führt zu Diskussionen. Also zu direkter Kommunikation am Abendbrottisch, ganz ohne Telefon. Das ist ja mal gut. Wir Eltern werden da immer wieder getestet in Sachen Gutmütigkeit oder Widerstandskraft.
Schlechte Mathenoten als Folge
Weiteren Diskussionsstoff garantieren schlechtere Noten in Mathematik. Dr. Poulain erläutert einen überraschenden Befund aus der Life Child Studie von 2018:
"Kinder, die häufig vorm Computer sitzen, haben häufig schlechtere Mathenoten als diejenigen, die weniger vorm Computer sitzen. Das erklären wir uns damit, dass das Matheverständnis auch mit der Koordinationsfähigkeit auch mit dem abstrakten Denken im dreidimensionalen Raum zusammenhängt. Wer viel Zeit vorm Bildschirm verbringt, ist viel im zweidimensionalen Raum unterwegs. Das könnte ein Grund dafür sein, dass man sich in abstrakten Räumen nicht mehr so gut zurechtfindet und deshalb womöglich auch das Matheverständnis darunter leidet."
Generell wirkt sich Medienkonsum auf Vorschulkinder anders aus als auf Jugendliche: Die Jüngeren zeigten verstärkt Symptome für Hyperaktivität im Zusammenhang mit der Nutzung von Computer und Smartphone. Bei den Älteren stellten die Forscher Zusammenhänge zwischen intensivem Mediengebrauch und emotionalen und sozialen Problemen fest: Große Kinder haben weniger Freunde, sind eher traurig, fühlen sich einsam, ziehen sich zurück.
Gefangen von Smartphone und Tablet, bis der Akku alle ist
Musiklehrer Steffen beobachtet den steigenden Medienkonsum seit Jahren auch bei seinen Schülern: "Die Kinder kommen inzwischen sehr zeitig mit den Medien in Berührung und oft in einem Alter, indem sie noch keinerlei Maßnahmen haben, um sich davon zu lösen. Die sind dann gefangen, bis der Akku alle ist," sagt er. Wenn sie dann sichtlich übermüdet, mit Augenringen zum Unterricht aufkreuzen, nicht mehr üben, fragt er zwar nach.
Trotzdem sind mir die Hände gebunden, die Medienerziehung liegt schlussendlich in der Hand der Eltern.
Und bei denen herrscht offenbar eine große Unsicherheit, sagt Dr. Tanja Poulain: Keinem sei so richtig klar, wie lange man denn nun mit dem Smartphone was machen oder vor dem Fernseher sitzen soll: "Und keiner will, dass das Kind am nächsten Tag der Außenseiter ist, weil es nicht auf dem gleichen Stand ist, wie die anderen Kinder, die den Nachmittag vorher stundenlang am Smartphone gesessen haben."
Ein zweischneidiges Schwert: Der Preis der elterlichen Freiheit
Selbst wenn die Kinder zeitlich kontrolliert abtauchen in ihre virtuellen Spielwelten oder in ihre Klassenchats, stellt das die Eltern unverhofft vor kuriose Situationen, die Musiklehrer Steffen so beschreibt: "Manchmal sitzt man dann allein im Wohnzimmer und hat plötzlich seine große Ruhe und so eine neu gewonnene Freiheit. Und dann weiß man gar nicht, ob man die wirklich genießen soll, weil man das ja doch mit einem lachenden und einem weinenden Auge sehen muss."
Aber vielleicht ist genau das richtig: Der Vater, der in Ruhe liest. Zeitung, nicht auf dem Smartphone oder Tablet. Denn Eltern sind gerade in Sachen Medienkonsum als Vorbilder gefragt, sagt Dr. Poulain. Das können ganz simple Maßnahmen sein: Handys raus aus den Schlafzimmern, Wecker rein. Keine Smartphones am Abendbrottisch. Klare Zeitvorgaben für die Nutzung absprechen und sie konsequent durchsetzen. Am Abend selbst ein Buch lesen statt im Netz zu surfen. Dafür sorgen, dass Kinder Alternativen haben zu Handy, Tablet & Co: Ein Musikinstrument spielen lassen, die Kinder zum Sport treiben bewegen und Freunde besuchen oder zusammen ein Spiel spielen.
Haben kleine Kinder eigentlich automatisch schlechte Karten, weil sie früher mit Medien in Berührung kommen als ihre großen Geschwister? Das hat auch sein Gutes, denkt die Forscherin Poulain: Weil nämlich die Eltern dann doch wieder stärker beobachten, was die großen Kinder machen - denn schließlich lernen die jüngeren von den älteren Geschwistern.
Dieses Thema im Programm: MDR Aktuell | Radio | 03. März 2019 | 10:20 Uhr