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20 Jahre onlineDie Menschen hinter Wikipedia: Männlich, weiß, westlich

15. Januar 2021, 15:04 Uhr

Für Professor Christian Pentzold ist Wikipedia zwar eine Gemeinschaft, aber das Gegenteil von Social-Media. Das hat er schon während seiner Promotion herausgefunden. Seit vergangenem Jahr forscht er in Leipzig. Das Thema Wikipedia lässt ihn bis heute nicht los. Er war sogar selbst Teil der großen Gemeinde hinter der Online-Enzyklopädie. Und die ist wie er: männlich, weiß, westlich – noch.

Na, heute schon auf Wikipedia gewesen? Die Online-Enzyklopädie ist auf Platz 13 der meistbesuchten Internetseiten der Welt und feiert dieses Jahr ihren 20. Geburtstag. Am 15. Januar 2001 ist sie online gegangen. Sie ist dabei die einzige Website der Top 20, die nicht kommerziell ist. Wikipedia finanziert sich über Spenden und wird getragen von Wikipedianerinnen und Wikipedianern. So nennen sich die Menschen, die ehrenamtlich zu Wikipedia beitragen. Das Prinzip hat sich bis heute nicht geändert. 

Christian Pentzold ist Professor am Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft der Universität Leipzig. 2007 hat er seine Masterarbeit "Wikipedia: Diskussionsraum und Informationsspeicher im neuen Netz" veröffentlicht und 2013 seine Doktorarbeit – auch über Wikipedia. Bis heute beschäftigt ihn das Forschungsthema, er publiziert immer noch dazu. 

Professor Christian Pentzold, Forscher und Wikipedianer. Bildrechte: Uni Leipzig/Swen Reichhold

Am meisten interessiert mich, wie die Leute Wikipedia in ihren Alltag einbauen.

Prof. Christian Pentzold

Christian Pentzold, der übrigens auch selbst einen Wikipedia-Eintrag hat, hat für seine Doktorarbeit zwischen 2010 und 2013 nicht nur über vier Dutzend von ihnen interviewt, sondern ist für ein paar Jahre auch selbst zum Wikipedianer geworden. 

Pentzolds erfolgreichster Artikel war der zur Tulpenmanie. Er hatte sich im April 2011 vorgenommen, den Artikel so zu optimieren, dass er Artikel des Tages wird und das hat er dann auch geschafft. Ein Blick in die Versionsgeschichte des Artikels belegt diesen persönlichen Erfolg noch heute.

Nicht nur Artikel schreiben: Wikipedia bietet breite Auswahl an Beteiligungsmöglichkeiten

Neue Mitglieder müssen nicht direkt mit einem ganzen neuen Artikel beginnen. Der Einstieg kann ein korrigierter Rechtschreibfehler sein oder eine Bildbearbeitung. Die wenigsten sehr aktiven Wikipedianerinnen und Wikipedianer fokussieren sich rein auf das Artikelschreiben. In einer seiner Publikationen von 2018 beschreibt Pentzold die Wikipedia-Routine von Frank, einem seiner Studienteilnehmenden zum Beispiel so: Frank stöbert abends durch eine Liste von Änderungen in Wikipedia und bleibt da gerne mal zwei bis drei Stunden hängen. Am Wochenende unternimmt er Fototouren, um dann in der folgenden Woche die Fotos zu bearbeiten, hochzuladen und Artikel damit zu bestücken. 

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Dabei kümmert sich die freie Online-Enzyklopädie darum, dass ihre Mitglieder aktiv bleiben. Es gibt Erinnerungs- und Benachrichtigungsfunktionen, zum Beispiel, wenn man einen Artikel geschrieben hat. Wenn dann jemand anders etwas ändert, bekommt man das mit und wird getriggert, nachzugucken. Ein bisschen wie in Social Media. Nur dass Wikipedia laut Pentzold dennoch das Gegenteil von Social-Media ist. "Die Leute schreiben nicht kollaborativ", erklärt er. Es sei eher so, dass man selbst den Ehrgeiz entwickelt, sich ein eigenes Subprojekt zu suchen und zu verfolgen, aber nicht so sehr gemeinsam an etwas arbeitet. Obwohl man am Ende natürlich gemeinsam das Riesenprojekt Wikipedia am Laufen hält. Ein Projekt für das es kein natürliches Ende gibt, denn Wissen wächst und entwickelt sich weiter. Deswegen ist eine Enzyklopädie nie fertig. 

Geburtstagswunsch: Mehr Wikipedianerinnen, mehr Diversität

Nur etwa zehn Prozent der ehrenamtlichen Autorinnen und Autoren bei Wikipedia sind weiblich. Eine Studie der Uni Trier hat schon 2015 festgestellt, dass Wikipedia Frauen und Männer in Artikeln unterschiedlich porträtiert – abgesehen davon, dass mehr als 80 Prozent der Biografien auf Wikipedia über Männer sind. Dieses Problem sieht auch Katherine Maher, Geschäftsführerin der Wikimedia Foundation, die seit 2003 hinter dem Projekt steht. Die Wikipedianer seien meist westlich, weiß und männlich. Das spiegle sich nicht nur in Biografien von Frauen wider, sondern gehe noch weiter. Laut Maher gibt es zum Beispiel eine umfangreiche Artikelauswahl über amerikanische College-Football-Teams, aber signifikant weniger Artikel über afrikanische Marathonis, dabei sind das die besten der Welt. "Ja, Wikipedia ist voreingenommen. Unsere Gesellschaft ist das auch", sagt Maher in der gerade zum Geburtstag erschienenen Arte-Doku "Das Wikipedia Versprechen". "Jetzt ist die Gelegenheit, das zu erkennen und zu verändern."