Ein Obdachloser liegt zugedeckt auf einem Fußweg.
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Britische Sozialstudie Zinsloses Darlehen kann Obdachlosigkeit verhindern

14. Juni 2019, 12:32 Uhr

Ohne Geld kein Konto, keine Wohnung, kein Kredit, im schlimmsten Fall Obdachlosigkeit. Eine Kettenreaktion, die man verhindern kann, wie eine britische Studie herausgefunden hat: mit zinslosen Krediten.

Vorbeugen ist besser als Nachsorgen: Diese alte Weisheit bestätigt eine Langzeitstudie aus England über ein Projekt in Lewisham, einem Stadteil von London. 2010 wurden dort insgesamt 300 Haushalten, die kurz vor der Obdachlosigkeit standen, zinslose Darlehen eingeräumt. Insgesamt 85.000 britische Pfund streckten die Gemeinde und eine Kreditgenossenschaft vor. Langfristig wurden so eine Million Pfund eingespart, schreibt das Magazin "Public Money & Management", in dem die Studie veröffentlicht wurde.

Dominoeffekt von finanzieller und sozialer Isolation verhindern

Professor Bill Lee lehrt an einem Management Institut in Sheffield. Er erklärt, warum zinslose Kredite den Sturz in Armut und Obdachlosigkeit verhinderten. Er sagt:

Die meisten der von Armut betroffenen Einwohner haben bei normalen Banken keine Chance. Die verleihen nur Geld an Leute, mit niedrigem Finanzrisiko und die finanziell auf sicheren Beinen stehen. Arme Mieter, die um jede Monatsrate kämpfen, geraten dann an Kreditgeber, die zwar kurzfristig Kredite ausgeben - aber nur gegen extrem hohe Zinsen.

Bill Lee, Sheffield University

Außerdem sorgten die zinslosen Kredite dafür, dass die betroffen Familien nicht der Kettenreaktion von finanzieller und sozialer Isolation ausgesetzt wurden. Verweigern Banken den Kunden das Konto und die Geldkarte, fehlen denen die wichtigsten Grundlagen für einen Arbeitsplatz: Wohin soll der Lohn überwiesen werden? Ist jemand ohne Bankverbindung ein vertrauenswürdiger Arbeitnehmer? Auf die finanzielle Isolation folgt dann die soziale Isolation: Wohnungslosigkeit, kein Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung.

Genau diesen Dominoeffekt verhinderten die zinslosen Kredite: Sie schützten die Betroffenen einerseits vor Obdachlosigkeit und halfen andererseits ihre kurzfristigen Geldprobleme zu lösen. Die Tür blieb offen für Lohnzahlungen, Sparmöglichkeiten und die Möglichkeit, Punkte für Kreditwürdigkeit zu sammeln.

Levisham - beispielhaft für das ganze Land?

Nach dem Lewisham-Schema könnte landesweit von Armut bedrohten Familien geholfen werden, hofft Professor Lee, und verweist darauf, dass sich die Gemeinden zeitgleich hohe Folgekosten ersparen, wenn Armut und Obdachlosigkeit von vornherein verhindert werden. Örtliche Behörden und Banken müssten hinter dem Programm stehen für den Fall, dass Niedriglohnarbeiter ihre Kredite nicht an die Kreditgenossenschaften zurückzahlen könnten.

Wo wurde das getestet?

London borough of Lewisham ist ein Stadteil südöstlich des Stadtzentrums von London. Er zählt laut Professor Lee zu den 20 am stärksten benachteiligten Gemeinden und rangiert in der landesweiten Obdachlosenstatistik auf Platz 12 - einer von 49 Einwohner hat nach Angaben der Wohlfartsorganisation "Shelter" keinen festen Wohnsitz. Jeder Vierte hier verdient weniger als die britische Mindestlohn-Tabelle anzeigt. Ohne das Darlehen-Programm wäre die Armut hier noch viel größer, sagt Professor Lee, und das würde sich auch bei den Vermietern niederschlagen. Landesweit sind in Großbritannien einer Studie zufolge 320.000 Menschen obdachlos. In Deutschland gibt es über die Zahl der Obdachlosen keine Zahlen.

Dieses Thema im Programm: MDR EXAKT | 12. Juni 2019 | 20:15 Uhr