Frau lauscht an großer Venusmuschel
Sie hört, was sie erwartet: Eine Frau lauscht an einer großer Venusmuschel und hört das "Meer rauschen" (Symbolbild). Bildrechte: imago images / Panthermedia

Neurowissenschaft Menschen hören, was sie zu hören erwarten

20. März 2024, 11:54 Uhr

Mit unseren Sinnen nehmen wir Menschen die Welt wahr: Unsere Augen sehen, unsere Ohren hören und unser Gehirn verarbeitet alles. Doch wie wahrheitsgetreu nehmen wir unsere Außenwelt tatsächlich wahr? Die neurowissenschaftliche Forschung hat nämlich gezeigt, dass unser Gehirn ständig Vorhersagen darüber macht, was als nächstes passieren wird. Und das ist beim Hören nicht anders, wie Forschungen aus Dresden zeigen konnten. Hören wir also in Wirklichkeit nur das, was wir erwarten?

Unser Gehirn ist unseren Sinnen immer einen Schritt voraus: In der Großhirnrinde ist es ständig dabei Hypothesen aufzustellen – auch darüber, was wir wohl als nächstes Hören oder Sehen werden. Das ist wie ein Filter, durch den wir die Welt wahrnehmen, erklärt Neurowissenschaftlerin Katharina von Kriegstein von der Technischen Universität Dresden: "Also unser Gehirn ist auf jeden Fall immer darauf aus, Hypothesen zu testen. Also sich ein bestimmtes Modell von der Welt zu machen, zu überlegen, wie die Welt sich anhört, wie die Welt aussieht. Und dann wird dieses Modell getestet anhand dessen, was reinkommt über die Augen und über die Ohren."

Hörbahn genauer angeschaut

Um diesen Mechanismus zu verstehen, hat sich das Dresdner Forschungsteam die Hörbahn genauer angeschaut – also den Bereich, der das Ohr mit der Großhirnrinde verbindet. Bisher habe man nämlich gedacht, dass das nur Leitungsbahnen sind. Aber dem ist mitnichten so, sagt die Professorin. Denn man habe festgestellt, "… dass auch die Hörbahn die auditorischen Signale nicht so darstellt, wie sie am Ohr ankommen, sondern dass sie die schon bewertet, je nachdem was die Großhirnrinde denkt, was da jetzt als nächstes reinkommt".

Mechanismus für Sprachverständnis

Menschliches Gehirn und Nervenzelle
Das Gehirn und seine Nervenzellen: Alles spielt sich im Kopf ab. Bildrechte: imago images/Science Photo Library

Die Neurowissenschaftlerin vermutet, dass erst dieser Mechanismus dafür sorgt, dass wir zum Beispiel Sprache gut verstehen können. Ob das so ist, erforscht das Team derzeit in weiteren Experimenten. Damit wollen sie Menschen mit Lese-Rechtschreib-Störung helfen. Denn die Forschenden vermuten, dass eine Funktionsstörung der Hörbahn nicht nur dazu führen könnte, dass wir schlechter hören, "… sondern, dass sie vielleicht tatsächlich einige Sachen erklären können, wie sie zum Beispiel in der Lese-Rechtschreib-Schwierigkeit vorkommen oder auch in anderen Störungen. Zum Beispiel so etwas wie, dass man Sprache in Hintergrundgeräuschen nicht gut wahrnehmen kann. Also das ist ein ganz typisches Phänomen bei Leuten mit Lese-Rechtschreib-Schwierigkeit, dass die Sprache in Hintergrundgeräuschen nicht gut verstehen können."

Mit Magnetresonanztomographen in Gehirn geschaut

Aber woher wissen die Forschenden, dass unsere Hörbahn keine reine Leitung durchs Gehirn ist? Um das herauszufinden, hat das Team seinen Probanden in einem Magnetresonanztomographen ins Gehirn geschaut: Neue Technologien hätten es erst jetzt möglich gemacht, so tief hineinschauen zu können, erläutert von Kriegstein.

Die Teilnehmenden mussten sich eine Folge von immer gleichen Tönen anhören und einen Knopf drücken, sobald ein Ton anders war. Doch schon vorab wurde ihnen gesagt, an welcher Stelle dieser andere Ton etwa auftauchen würde. Die Probanden hatten also schon eine Erwartung. Nun schauten die Forschenden was während des Experiments in zwei wichtigen Kernen der Hörbahn tatsächlich passierte: Nur, wenn der abweichende Ton an einer unerwarteten Stelle kam, wurden diese Bereiche aktiv. Das heißt, dass sie den Ton tatsächlich erst verarbeitet haben, wenn sie ihn nicht erwartet hatten. Die Probanden haben hier also ihre Erwartung anhand der Realität korrigiert.

Also das war in dieser Studie wirklich überraschend, wie eindeutig das war. Wir konnten in allen Probanden den Effekt sehen. Also das war ein sehr sehr klares Ergebnis.

Prof. Dr. Katharina von Kriegstein, TU Dresden

Abgleich mit Realität ist entscheidend

Hören wir nun also nur, was wir erwarten? Natürlich nicht nur, aber wenn wir genau das hören, was das Gehirn erwartet, dann werden diese Geräusche von unserem Gehirn gar nicht unbedingt aktiv verarbeitet. Das passiert dagegen, wenn der Abgleich mit der Realität sagt: Hier ist jetzt etwas anders. Und dann wird das akustische Signal wirklich so verarbeitet, dass die Neuronen in der Hörbahn ordentlich feuern.

Die komplette wissenschaftliche Studie, an der das Dresdner Forschungsteam von Prof. Dr. Katharina von Kriegstein mitgewirkt hat, finden Sie hier.

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