Hirnforschung Musik ist harte Arbeit fürs Gehirn

Hirnforschung: So entsteht Musik im Kopf

06. März 2022, 07:39 Uhr

Während wir Musik unbeschwert genießen, arbeitet unser Gehirn auf Hochtouren. Auch die Finger eines Pianisten, die scheinbar einfach über die Tasten gleiten, werden durch komplizierte Prozesse im Kopf gesteuert. Dank immer ausgefeilterer Verfahren konnten Wissenschaftler weltweit bereits viele Geheimnisse in diesem Zusammenhang lüften.

Eine der aktuellsten Studien veröffentlichte der Neurowissenschaftler Sam Norman-Haignere gemeinsam mit seinen Kollegen des Massachusetts Institute of Technology im Fachmagazin "Cell Biology". Dass Team konnte nachweisen, dass es in unserem Hörkortex Nervenzellen gibt, die einzig und allein auf Gesang spezialisiert sind. Sie reagieren weder auf gesprochene Sprache noch auf Instrumentalmusik. Das hingegen leisten Neuronen in unmittelbarer Nachbarschaft. Dieser Arbeitsteilung kamen die Forschenden erst auf die Spur, als sie feiner auflösende Untersuchungsverfahren anwenden konnten. Denn mit einer herkömmlichen Magnetresonanztomografie (MRT) konnten sie zwar sehen, dass die Areale der Hörrinde arbeiten, dass die dicht beieinanderliegenden Zellgruppen aktiv sind, jedoch nicht genau, welche bei welcher Art von Reiz.

Tiefere Einblicke dank Elektrokortikographie

Während das MRT die Gehirnaktivität anhand des Blutflusses nur von außen scannt und damit eine für die Bedürfnisse der Forscher eher grobe Abbildung des Geschehens liefert, bietet die Elektrokortikographie (ECoG) einen tieferen Einblick in die elektrische Aktivität der Nervenzellen. Dazu müssen jedoch Elektroden im Schädel angebracht werden, was einen operativen Eingriff erfordert und daher beim Menschen nicht ohne weiteres möglich ist. Bei Epilepsie-Patienten jedoch wird das Verfahren eingesetzt, um festzustellen, wo die Anfälle ihren Ursprung haben. 15 Betroffene erklärten sich bereit, darüber hinaus auch an der Musikstudie teilzunehmen. So konnten die Forscher eine detaillierte Arbeitsteilung der Hörzellen nachweisen. Sie vermuten, dass die auf Gesang spezialisierten Neuronen auf die Interaktion von Tonhöhe und Wörtern reagieren, bevor sie diese Informationen zur Verarbeitung an das Gehirn weiterleitet.

Wie kommt eine musikalische Idee aufs Klavier?

Dieser Frage gingen Forschende an den Max-Planck-Instituten für empirische Ästhetik in Frankfurt am Main (MPI EA) und für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig (MPI CBS) nach. In zwei aktuellen Studien zeigen sie, in welcher Hirnregion aus einer musikalischen Idee beim Solospiel eine Fingerbewegung wird, und dass es in Duetten auf die gemeinsame „Wellenlänge“ der Gehirne ankommt.

Für die Wissenschaft: Klavierspielen im MRT

Beim Musizieren planen PianistInnen immer zwei Dinge parallel: Sie müssen koordinieren, was gespielt wird, also welcher Ton oder Akkord folgen soll, und wie dieser gespielt wird, das heißt, welche Finger genau den Anschlag ausführen. Ein Forscherteam des MPI EA und des MPI CBS hat mithilfe einer funktionellen Magnetresonanztomografie untersucht, wo genau diese Planungsschritte im Gehirn stattfinden. Dazu beobachten sie die Hirnaktivität die StudienteilnehmerInnen in einer engen Röhre.

Das Scannen in einem der leistungsstarken Magnet-Resonanz-Tomographen
Im Magnetressonanztomografen wird die Hirnaktivität beobachtet. Bildrechte: MPI CBS

Dort Klavier zu spielen, scheint unmöglich. Deshalb wurde in Zusammenarbeit der Blüthner Pianofortemanufaktur ein Spezialklavier mit 27 Tasten entwickelt, das über eine Lichtleitung die Tastendrücke des Pianisten registriert. Als die StudienteilnehmerInnen die bildlich vorgegebenen Akkordfolgen spielten, zeigte sich, dass die beiden Planungsschritte "Was" und "Wie" auch zwei unterschiedliche Hirnnetzwerke aktivieren. Besonders auffällig war, dass sich beide Netzwerke über eine frontale Hirnregion erstrecken, die auch an der Planung sämtlicher Alltagshandlungen beteiligt ist: den linken lateralen Präfrontalkortex. Er arbeitet in Stufen, erklärt Erstautorin Roberta Bianco:

Während der vordere Teil eher abstrakte Planungsschritte umsetzt, werden die Abläufe zum hinteren Teil der Region hin immer feingliedriger. Die Planung wird also immer konkreter, es erfolgt eine Übersetzung vom Was zum Wie.

Roberta Bianco, Neurowissenschaftlerin

Im Fall dieser Studie entspricht dies der Übersetzung einer musikalischen Idee in die Fingerbewegungen auf dem Klavier. Die Wissenschaftler:innen haben damit den Präfrontalkortex als zentrale Schlüsselregion identifiziert, die musikalische Kompositionen und Fingerbewegungen bei einer Solo-Performance koordiniert.

Noch schwieriger: Musizieren im Duett

Alle Schritte, die für das Solospiel nötig sind, müssen Musiker mit ihrem Partner synchronisieren, wenn sie mit ihm im Gleichklang spielen wollen. Wie das genau funktioniert, haben die WissenschaftlerInnen in einer weiteren Studie untersucht.

Wenn Menschen ihre Handlungen aufeinander abstimmen, beispielsweise beim gemeinsamen Musizieren oder Singen, synchronisieren sich ihre Hirnwellen.

Dr. Daniela Sammler, Psychologin

erklärt Daniela Sammler, Leiterin der Forschungsteams. Ein Grund für diese Synchronisation ist, dass die Beteiligten zur gleichen Zeit ähnliche Dinge hören. Doch wie verhalten sich diese Wellen, wenn sich die Musiker miteinander abstimmen müssen, um harmonisch miteinander zu spielen?

Klavierspiel im Duett
Musizieren im Duett erfordert die gleiche Wellenlänge. Bildrechte: Colourbox.de

Um das herauszufinden, wurden 14 Pianistenpaare mittels Elektroenzephalographie (EEG) untersucht, während sie kurze Duette spielten. Alle Stücke enthielten in der Mitte eine musikalische Pause ohne Ton, danach sollten die Musiker in einem anderen Tempo weiterspielen. Jeweils ein Partner sollte schneller spielen, der andere langsamer.

Diese Manipulation machte tatsächlich einen Unterschied für die Synchronizität der beiden Gehirne. Planten beide PianistInnen dasselbe Tempo, war sie hoch. Waren die Tempi verschieden, war sie niedrig.

Diese Ergebnisse legen nahe, dass die Synchronisation der Hirnwellen zwischen MusikerInnen nicht nur ein Nebenprodukt ist, das durch gemeinsame Höreindrücke und die Musik selbst ausgelöst wird, sondern tatsächlich ein Mechanismus, durch den sie ihr Spiel miteinander koordinieren. Zusammengenommen stellen die Studien einen wichtigen Beleg für die komplexe Koordinationsleistung zwischen Hirn und Hand sowie zwischen EnsemblespielerInnen beim Musizieren dar.

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