Mann mit lockigem Haare sitzt an Fenster-Tresen eines Cafés, schaut auf Smartphone und greift sich sorgenvoll am Kopf. Daneben liegt dratige Brille. Ansicht von außen durch Scheibe. Leichte unscharge Spiegelungen in Scheibe, unscharfer Hintergrund.
Sorgen ja, Sucht nein: Beim Konsum der Nachrichtenlage ist Vorsicht geboten. Bildrechte: IMAGO/Westend61

Medienkompetenz Dauerhafter Nachrichtenkonsum kann Kopf und Körper krank machen

25. August 2022, 14:24 Uhr

Die Menge macht das Gift – und bei schlechten Nachrichten wird es schnell zu viel. Wer aus dem Hamsterrad der Krisenmeldungen nicht mehr rauskommt, läuft Gefahr, dass sich das auf Psyche und Körper auswirkt. Das zeigen Forschende aus Texas. Prinzipiell kann dadurch sogar unsere Demokratie und die Sicherheit gefährdet sein, denn eigentlich brauchen wir Nachrichten.

  • Nachrichtenkonsum kann zu schwerem Suchtverhalten führen, insbesondere bei Krisen- und Konfliktthemen
  • Auswirkungen wie psychisches und körperliches Unwohlsein sind dann wahrscheinlich
  • Wirtschaftlicher Druck in Nachrichtenbranche ist mitverantwortlich, da auf Klicks optimierte Themen bedenkliches Konsumverhalten fördern
  • Ausgewogener Nachrichtenkonsum für Demokratie und Sicherheit unerlässlich

Hinweis Dieser Text behandelt Symptome zu krankhaftem Suchtverhalten. Sollten Sie entsprechende Symptome bei sich feststellen, zögern Sie sich nicht, medizinische und psychologische Unterstützung einzuholen. Dabei hilft auch der kassenärztliche Bereitschaftsdienst unter 116 117.

Auch früher war die Welt schlecht, so ehrlich müssen wir sein. Davon erfuhren die geneigten Nachrichten-Interessierten aber meist nur zweimal am Tag: Beim Frühstück aus Radio und Zeitung, zum Feierabend aus den Abendnachrichten im ersten oder zweiten Programm. Zwischendurch schien zumindest in privilegierten Kreisen die Welt mehr oder weniger in Ordnung. Und das hatte schon so seine Vorteile, wie eine neue Untersuchung zeigt.

Die Art und Weise, wie Nachrichten ihre Konsumentinnen und Konsumenten erreichen, hat sich in den vergangenen Jahr(zehnt)en maßgeblich gewandelt. Erstens: Die Nachrichten kennen keinen Zwanzig-Uhr-Termin und keinen Redaktionsschluss mehr, sondern sind ständig aktuell abrufbar. Zweitens: Nachrichten sind in ihrer Menge unbegrenzt, da sie weder Sendezeit noch Papier an dieser Unbegrenztheit hindern. Und drittens: Nachrichten müssen ihre Konsumentinnen und Konsumenten finden, nicht andersrum. Was dazu führt, sie möglichst mit Tipp- und Klickanreizen zu versehen.

Klick die Krise

Zu diesen Klickanreizen zählt auch, stetig in Hülle und Fülle zu kommunizieren, wie sehr die Welt am Abgrund stünde – darauf weisen Forschende von der Texas Tech University hin. Die Auswahl an Verheerungen ist groß, spätestens seit diesem Jahrzehnt auch im globalen Norden: Klimakrise und ihre aktuellen Auswirkungen, Covid-19, russischer Angriff auf die Ukraine, Energiekrise, Inflation. Ihre Untersuchung legt im übertragenen Sinne nahe, dass Nachrichtenportale und -Apps künftig mit einem fetten Warnschild versehen sein müssten, das auf die gesundheitlichen Bedenken im Zusammenhang mit schlechten Nachrichten verweist. Als Problem haben die Forschenden aber nicht einen generellen, reflektierten Umgang mit der geopolitischen und klimatischen Situation auf unserem Heimatplaneten identifiziert. Sondern ein krankhaftes Suchtverhalten – Doomsday-Scrolling (bzw. Doomscrolling), so sagt man auch.

Nahaufnahme Tablet-Computer in Lederhülle mit geöffnetem Browser mit Nachrichtensuche der Suchmaschine DuckDuckGo zu Suchwort Klimawandel. Suchergebnisse verschiedener Medien zu Thema. Finger auf Display. Unter Tablet-Computer eine Tastatur leicht sichtbar.
Bei gewissen aktuellen Schlüsselwörtern sind Negativschlagzeilen vorprogrammiert. Auch hier macht die Menge das Gift. Aber auch die Plattformen sind in der Verantwortung. Bildrechte: MDR WISSEN

Doomsday steht für den Tag des Jüngsten Gerichts. Und Scrolling für die Aktivität, sich durch Meldungslandschaften zu bewegen, die einen nahenden Weltuntergang erahnen lassen. Und die bei Menschen mit einem besonders hohen Nachrichtenkonsum "zu einem konstanten Alarmzustand führen, ihre Überwachungsmotive in Schwung bringen und die Welt wie einen dunklen und gefährlichen Ort erscheinen lassen", sagt Studienautor Bryan McLaughlin. "Für diese Personen kann sich ein Teufelskreis entwickeln, in dem sie, anstatt sich auszuklinken, weiter hineingezogen werden, von den Nachrichten besessen sind und rund um die Uhr nach Updates suchen, um ihre emotionale Not zu lindern."

Doch das helfe nicht, sondern wirke sich negativ auf andere Lebensbereiche aus. Um das Phänomen genauer zu beschreiben, hat das Forschungsteam Umfragedaten von 1.100 US-Bürgerinnen und -Bürgern erhoben. Die mussten zu Aussagen à la "Mein Geist ist häufig mit Gedanken über die Nachrichten beschäftigt" oder "Ich bin so in die Nachrichten vertieft, dass ich die Welt um mich herum vergesse" Stellung beziehen. Hinzu kamen Fragen zu Stress- und Angstgefühlen sowie körperlichen Beschwerden wie Müdigkeit, Schmerzen, Konzentrationsschwäche und Magen-Darm-Problemen.

… und rund um die Uhr nach Updates suchen, um ihre emotionale Not zu lindern.

Bryan McLaughlin, Ph.D. Texas Tech University

Die Lage ist ernst, das kann man schon sagen: 16,5 Prozent haben Anzeichen für einen "stark problematischen" Nachrichtenkonsum gezeigt. Übersetzt heißt das: Nachrichten dominieren die Gedanken, Zeit mit Familie und in Freundeskreisen wird gestört, ebenso die Konzentration auf Schule und Arbeit, schlussendlich Unruhe und Schlaflosigkeit.

Fast schon so zu erwarten, wenngleich besorgniserregend kommt das Ergebnis daher, das fast dreiviertel aller Menschen mit problematischem Nachrichtenkonsum auch ein erhöhtes Maß an psychischen Missständen zeigten. Bei fast zwei Dritteln traf das auf körperliches Unwohlsein zu. Bei den Teilnehmenden ohne problematischen Nachrichtenkonsum zeigte nur ein kleiner Teil diese Symptome.

Während wir wollen, dass sich die Menschen weiterhin mit den Nachrichten beschäftigen, ist es wichtig, dass sie eine gesündere Beziehung zu den Nachrichten haben.

Bryan McLaughlin, Ph.D. Texas Tech University

Angesichts dieser Ergebnisse fordert Studienautor McLaughlin Maßnahmen, die eher früher als spät kommen sollten: "Während wir wollen, dass sich die Menschen weiterhin mit den Nachrichten beschäftigen, ist es wichtig, dass sie eine gesündere Beziehung zu den Nachrichten haben." Dazu seien auch aufklärende Medienkompetenz-Kampagnen notwendig.

Anders als bei anderen Suchterkrankungen sei im Falle des Doomsday-Scrollings nicht pauschal der hundertprozentige Entzug ratsam, sondern eine bewusste, starke Reduktion des Nachrichtenkonsums. Ein gesunder Bezug zur Nachrichtenlage sei unerlässlich, so McLaughlin. Das Vermeiden hingegen ginge "nicht nur auf Kosten des Zugangs eines Einzelnen zu wichtigen Informationen für seine Gesundheit und Sicherheit, sondern untergräbt auch die Existenz einer informierten Bürgerschaft, was Auswirkungen auf die Aufrechterhaltung einer gesunden Demokratie hat".

Das Forschungsteam verweist auf die Einschränkung, dass sich die Studie auf Daten stützt, die zu einem bestimmten Zeitpunkt erhoben wurden, so dass es den genauen Zusammenhang zwischen problematischem Nachrichtenkonsum und psychischem und physischem Unwohlsein nicht feststellen konnte. Fest steht jedoch, dass Negativ-Nachrichten Suchtverhalten auslösen oder begünstigen und zu Krankheitsbildern bei Menschen führen können.

Nachrichtenbranche fördert Schaden für Demokratie und Gesundheit

Gerade in der Nachrichtenbranche müsse eine ernsthafte Debatte geführt werden: Der wirtschaftliche Druck und Wunsch nach Sichtbarkeit in einer Vielzahl von Angeboten führe zu einer besonderen Charakterisierung der Inhalte, so zum Beispiel Konflikt und Drama. "Daher betonen die Ergebnisse unserer Studie, dass der kommerzielle Druck, dem Nachrichtenmedien ausgesetzt sind, nicht nur dem Ziel der Aufrechterhaltung einer gesunden Demokratie schadet, sondern auch der Gesundheit des Einzelnen schaden kann."

Bis Besserung in Sicht ist, sollten wir zumindest selbstständig vorbeugen und uns möglicherweise die Einschränkungen der Nachrichtenwelt von früher selbst zusammenbasteln: Maximal zehn Minuten am Tag, am Morgen und am Abend. Und vor allem: Nicht im Bettchen.

flo

Studie

Die Studie Caught in a Dangerous World: Problematic News Consumption and Its Relationship to Mental and Physical Ill-Being erschien im August 2022 im Journal Health Communication.

DOI: 10.1080/10410236.2022.2106086

0 Kommentare