Totholz im Reinhardswald.
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Urwälder von morgen Überlebt Naturwald die Klimaerwärmung besser?

23. September 2019, 10:45 Uhr

Hitze, Stürme, Borkenkäfer und Pilze greifen Deutschlands Wälder an. Forstverwaltungen gehen daher neue Wege: Kommen die Wälder besser mit dem Klimawandel zurecht, wenn sie sich selbst überlassen werden?

Zwei heiße und trockene Sommer haben enorme Schäden hinterlassen, unter anderem im Waldland Thüringen. Dort beobachten die Forstexperten die inzwischen deutlich zutage tretenden Folgen der Klimaerwärmung mit großer Sorge. Auch Urwälder wie der Nationalpark Hainich mit seinen teils Jahrhunderte alten Buchen sind betroffen sind.

Noch schlimmer sieht die Lage aber dort aus, wo vor allem Fichten wachsen. Sie wurden vor allem nach dem zweiten Weltkrieg neu gepflanzt, weil sie schnell wachsen und damit viel Holz liefern können. Heute macht ihnen die Hitze schwer zu schaffen. Viele Bestände sind von Borkenkäfern oder Pilzen befallen. Auch in der Zeit zwischen Herbst und Frühling ist das Wetter für die Kiefern problematischer geworden: Stürme werden häufiger und reißen immer mehr der flach wurzelnden Nadelbäume um, wie Forscher unter anderem im Nationalpark Bayerischer Wald beobachten.

Naturwälder schützen sich vor Hitze

Überall in Deutschland experimentieren Umwelt- und Forstwissenschaftler deshalb, wie die Wälder so umgestaltet werden können, dass sie den Folgen der Klimaerwärmung besser Stand halten. Ein Ansatz ist, Wälder häufiger sich selbst zu überlassen. In sogenannten Naturwaldreservaten beobachten die Wissenschaftler, ob natürliche Walddynamiken den Lebensraum widerstandsfähiger gegen Stress durch Hitze oder Schädlinge machen. Die Wälder sollen sich zu „Urwäldern von morgen“ entwickeln.

Die Idee der Forscher: In naturnahen Wäldern in Deutschland dominieren vor allem Laubbäume wie Buchen und Eichen. Sie bilden im Sommer ein geschlossenes Blätterdach aus, das Schatten spendet. Am Waldboden wiederum verwittert totes Holz von abgestorbenen Bäumen. Das speichert einerseits selbst viel Feuchtigkeit. Andererseits deckt es den Boden ab und hält ihn so länger feucht. Dadurch ist das Klima in Naturwäldern kühler. Extreme Hitze soll so abgepuffert werden.

Eingriffe nur zum Schutz vor Waldbränden

Je nach Bundesland haben solche Gebiete unterschiedliche Namen. Sie heißen Bannwälder, Naturwaldzellen, Naturwälder, Naturwaldreservate oder Naturwaldparzellen. Bei der Auswahl haben die Behörden und Wissenschaftler darauf geachtet, möglichst vielfältige Arten von Geländetypen und Ökosystemen einzubeziehen. In allen Naturwäldern gelten dann ähnliche Regeln, beispielsweise:

  • Eingriffe durch Förster und Waldarbeiter sind nur zur Verkehrssicherung und zum Schutz vor Waldbränden erlaubt
  • Wissenschaftler forschen hier grundsätzlich nur mit Methoden, die ohne Zerstörungen auskommen. Bäume dürfen also nicht einfach gefällt und im Labor untersucht werden.
  • Die Naturwälder sollten nach Möglichkeit mindestens 20 Hektar groß sein und nicht durch Straßen oder ähnliches zerschnitten sein.

100 Jahre Erfahrung im Schwarzwald

In Sachsen und Sachsen-Anhalt gibt es solche Naturwälder erst seit dem Jahr 2000. In Thüringen wurden einige Waldstücke bereits in den 1950ern und 60ern umgewandelt. Am ältesten aber sind die Erfahrungen inzwischen im Schwarzwald in Baden-Württemberg, wo es bereits seit über 100 Jahren Gebiete gibt, in die nicht mehr forstwirtschaftlich eingegriffen wird.

In den Bannwäldern dort fühlte sich auch die Fichte rund 80 Jahre lang wohl. In Höhen von über 800 Metern war es lange Zeit zu kühl für Borkenkäfer. Doch das hat sich in den vergangenen 20 Jahren geändert. Inzwischen sind auch dort etwa 75 Prozent der Fichten vom Borkenkäfer befallen. Die bereits abgestorbenen Bäume wurden in den Wäldern zurück gelassen. Ihr totes Holz spendet Pflanzen und Tieren Nahrung.

Bislang nur 3 Prozent Naturwald

Im Jahr 2007 beschloss die damalige Bundesregierung: Bis 2020 sollen insgesamt fünf Prozent der Wälder in Deutschland zu Naturwäldern werden. Doch dieses Ziel wird wahrscheinlich verfehlt werden. Wie das Bundesamt für Naturschutz im April feststellte, werden aktuell erst 2,8 Prozent der Wälder nicht mehr forstwirtschaftlich genutzt.