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Eine der größten und modernsten Brücken Europas: Viadukt von Millau in Frankreich. Bildrechte: IMAGO / Depositphotos

Lifecycle ManagementLebensdauer und Belastungen: Wie Brücken heute geplant werden

27. September 2024, 17:40 Uhr

Bei der Konstruktion einer neuen Brücke mussten Ingenieure schon immer sicherstellen, dass sie mindestens 100 Jahre hält. Doch die Anforderungen sind heute noch höher: Der ganze Lebenszyklus muss bedacht werden.

Stolze 186 Jahre alt ist Deutschlands älteste Eisenbahnbrücke, die heute noch genutzt wird. Sie steht in Sachsen. Die Brücke Kornheim in der Nähe von Wurzen ist Teil von Deutschlands erster Fernstrecke, der Verbindung von Leipzig und Dresden. Ist es ein Zeichen höchster Ingenieurkunst, dass solche Bauwerke heute noch stehen? Durchaus, sagt Pascal Händler, der als Ingenieur an der Planung von Brücken für den Bahnverkehr mitarbeitet und als Dozent an verschiedenen Hochschulen kommende Generationen von Brückenbauern mit ausbildet.

Das gelte besonders für Stahlkonstruktionen. Vor 200 Jahren war dieser Stahl im Vergleich zu heute sehr viel teurer. "Deswegen wurden die ersten Eisenbahnbrücken viel schlanker gebaut. Und die Berechnungen mussten noch ohne Computer durchgeführt werden", sagt Händler. Allerdings: Dass die Bauwerke so lange halten, ist nicht nur eine Leistung ihrer Planer.

Die 1851 fertiggestellte Göltzschtalbrücke Bildrechte: IMAGO / Hanke

Brücken: Lifecyclemanagement muss heute von Anfang an mitgeplant werden

Denn die alten Brücken werden genau wie neuere Bauwerke regelmäßig geprüft. Alle sechs Jahre werden sie intensiv untersucht und immer in der Mitte dieser sechs Jahre gibt es eine kleine Prüfung auf Schäden. Das Netz der Überwachung ist also eigentlich sehr dicht in Deutschland. Ein unkontrolliertes Versagen wie der Teilzusammenbruch der Carolabrücke in Dresden ist eine absolute Ausnahme.

Werden bei diesen Prüfungen Schäden festgestellt, können Brücken repariert oder saniert werden. Die Brücke Kornheim bekam zum Beispiel 1986 eine Verstärkung aus Stahlbeton. Solche regelmäßigen Erneuerungen werden heute bereits bei der Konstruktion mit eingeplant. Der Fachbegriff dazu lautet "Lifecyclemanagement."

Neue Belastungen lassen sich nicht 100 Jahre vorhersehen

Solche lebenslangen Prüfungen, Sanierungen und Verstärkungen von Brücken sind auch deshalb alternativlos, weil Brückenbauer das, was ein Bauwerk in 100 Jahren leisten soll, zum Zeitpunkt der Planung nur bedingt vorhersehen können. Ein Beispiel dafür geben Straßenbrücken für den Autoverkehr: Auf den meisten von ihnen sind heute mehr und schwerere Autos unterwegs als beim Bau prognostiziert wurde. "Der Verkehr ist heute wesentlich intensiver, als wir das vor 50 Jahren vorausgesehen haben", sagt Manfred Curbach, der an der Technischen Universität Dresden zu Brückenbau forscht und lehrt. Das wirkt sich auf die Vorschriften für neue Brücken aus. "Die Lastmodelle sind in den vergangenen 30 Jahren immer nach oben korrigiert worden."

Ältere Brücken müssen daher regelmäßig mit neuen Berechnungen überprüft und bei Bedarf mit zusätzlichen Bauteilen verstärkt werden. Bei neuen Brücken werden Traglastreserven eingeplant. Das ist zum Beispiel bei Autobahnbrücken auch deshalb wichtig, damit Schwer- und Großraumtransporte über die Brücken fahren können, erklärt ein Sprecher der bundeseigenen Autobahngesellschaft.

Eisenbahnbrücken müssen heute höhere Geschwindigkeiten aushalten

Bei Eisenbahnbrücken wiederum spielt das Gewicht der Züge heute keine größere Rolle als noch vor 100 Jahren. Im Gegenteil. Damalige Dampflokomotiven waren schwerer als heutige ICEs, zumal sie in ihren Tendern noch tonnenweise Kohle als Brennstoff mitführen mussten. Dafür müssen heutige Eisenbahnbrücken deutlich schneller fahrende Züge aushalten. Das bedeutet, sie dürfen sich kaum verformen, sich nicht durchbiegen und auch sonst das Gleisbett nicht beeinträchtigen. Deshalb müssen die Brücken selbst viel steifer sein, als früher, sagt Pascal Händler.

Ein anderes Thema ist der Klimawandel. Der wird zwar nicht explizit in den Vorschriften genannt, die sich heute in den sogenannten Eurocodes wiederfinden. Trotzdem sind die Anforderungen schon heute hoch, was Widerstandsfähugkeit der Bauwerke gegenüber größeren Temperaturschwankungen und Stürmen angeht. So müssen Brücken Unterschiede von bis zu 60 Grad innerhalb von 24 Stunden aushalten, ohne sich zu verformen, genau wie Windböen bis hin zu Orkanstärke.

Klimawandel: Für Brücken über Fließgewässer wird Hochwasser zur Gefahr

Ein größeres Problem ist vor allem Hochwasser, wenn Brücken über Fließgewässer führen. Dort werden in den Vorschriften sogenannte hundertjährige Hochwasser als Extremfall angenommen. Wie sich aber am Beispiel der Elbe in Dresden zeigt, kommen solche Spitzenpegel inzwischen viel häufiger vor als früher. Steht das Wasser hoch, drückt die Strömung mit deutlich größerer Kraft auf die im Wasser stehenden Stützpfeiler. Sind diese nicht tief genug im Boden verankert, unterspült das Wasser im schlimmsten Fall die Fundamente und gefährdet so die Stabilität der Brücke.

Grundsätzlich achten die Planer deshalb auch darauf, dass die Statik der Brücke immer sogenannte Redundanzen hat, es also Reserven gibt, die die Brücke halten, wenn ein Bauteil an bestimmten Stellen Risse oder Brüche bekommt. Im Unglücksfall, in dem ein Schaden nicht rechtzeitig entdeckt wurde, sollte sich eine Brücke dann zunächst verformen, bevor sie zusammenbricht. So kann sie rechtzeitig für den Verkehr gesperrt und Personenschäden vermieden werden.

Plötzliches Bauteilversagen lässt sich nie zu 100 Prozent ausschließen

Allerdings: Ganz ausschließen können Ingenieure plötzliches Versagen nie. "Abhängig von der Bauform gibt es immer mehrere Versagensarten", sagt Pascal Händler und bringt einen Vergleich: Ziehe man gleichmäßig an den Enden eines Strohhalms, könne der feine Halm recht hohe Lasten aushalten. Drücke man ihn dagegen von den Enden her in Richtung seiner Mitte zusammen, werde er rasch knicken. "Das ist ein Beispiel für ein mögliches Stabilitätsversagen gedrückter Bauteile."

Eine elektronische Liveüberwachung von Brücken mit Hilfe von Sensoren ist dennoch eine absolute Ausnahme. Denn die Kosten solcher Systeme sind hoch. Und die allermeisten Brücken sind klein, maximal 30 Meter lang und dürften im Alltag den wenigsten Menschen auffallen, die darüber hinwegfahren.

Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | MDR Aktuell | 25. September 2024 | 17:45 Uhr

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