Neurowissenschaften Es geht auch ohne: Bindungshormon Oxytocin wird überschätzt

28. Januar 2023, 05:00 Uhr

Jahrelang waren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler davon überzeugt, dass ohne Oxytocin gar nichts geht in Sachen Liebe. Das Hormon wurde als unverzichtbar für die Bindungen zwischen Mutter und Kind und auch für Liebesbeziehungen betrachtet. Doch das Ganze ist offenbar doch etwas komplizierter. Denn US-Forscher zeigen: Es geht auch ohne – zumindest bei Präriewühlmäusen.

Das Hormon Oxytocin wird auch als Kuschelhormon, Bindungshormon oder Mutter-Kind-Hormon bezeichnet. Es zählt zu den Glückshormonen und wirkt als Neurotransmitter direkt im Gehirn. Das heißt vor allem, es ist sehr gut für uns, wenn es ausgeschüttet wird, denn es sorgt dafür, dass wir uns wohlig und gut fühlen. Lange dachte man, dass es unverzichtbar sei für soziale Bindungen. Aber tatsächlich könnte es sein, dass es gar nicht zwingend notwendig dafür ist. Ein US-Forschungsteam meint jedenfalls, Oxytocin ist überschätzt.

Die überraschende Paarung der Gen-editierten Präriewühlmäuse

Mehr als vierzig Jahre pharmakologische und Verhaltensforschung haben zwar gezeigt, dass die Oxytocinrezeptor-Signalübertragung ein wesentlicher Weg für die Entwicklung von Sozialverhalten ist, aber die Ergebnisse einer genetischen Studie zeigen nun, dass es auch ohne geht – zumindest bei Präriewühlmäusen. Denn die können auch ohne Oxytocin-Rezeptor dauerhafte Bindungen mit ihren Partnern eingehen und elterliche Fürsorge leisten.

Diese Studie sagt uns, dass Oxytocin wahrscheinlich nur ein Teil eines viel komplexeren genetischen Programms ist.

Dr. Devanand Manoli, University of California San Francisco

Dass die Forschenden das bei Präriewühlmäusen untersucht haben, liegt daran, dass sie eine der wenigen monogamen Säugetierarten sind. Sie gehen lebenslange Paarbindungen ein und teilen sich auch die Verantwortung für den Nachwuchs. Sie bevorzugen immer die Gesellschaft ihres Partners und lehnen sogar Avancen anderer Wühlmäuse ganz aktiv ab. Frühere Studien zeigten, dass sie diese Paarbindung nicht mehr eingehen konnten, wenn Medikamente verhinderten, dass das Oxytocin an seinen Rezeptor binden konnte. Doch diese pharmakologischen Studien sind nicht präzise genug, so das Forschungsteam. Die Neurowissenschaftlerinnen und -wissenschaftler wollten deshalb mit einer genetischen Untersuchung herausfinden, ob die Paarbindung wirklich nur durch Oxytocin-Rezeptor-Signale gesteuert wird.

Ein Präriewühlmaus-Paar vor weißem Hintergrund
Ein Paar fürs Leben: Präriewühlmäuse leben streng monogam. Bildrechte: Nastacia Goodwin

Dafür verwendete das Team die Gen-Schere CRISPR, um Präriewühlmäuse zu erzeugen, die keine funktionierenden Oxytocin-Rezeptoren haben. Wie würden die sich verhalten? Doch entgegen aller Erwartungen sind die veränderten Wühlmäuse genauso leicht stabile Paarbindungen eingegangen wie ihre normalen Verwandten.

Wir waren alle schockiert, dass die Wühlmäuse eine sehr robuste soziale Bindung zu ihrem Sexualpartner zeigten.

Dr. Devanand Manoli, University of California San Francisco

Aber würden die Präriewühlmäuse auch genau so gute Eltern sein? Immerhin gilt Oxytocin nicht nur als unverzichtbar für die Mutter-Kind-Bindung, sondern auch als essentiell für Schwangerschaft und Milchbildung. Das galt auch für die Präriewühlmäuse. Doch auch mit dem Nachwuchs hat es bei den CRISPR-Tieren geklappt: "Wir fanden heraus, dass mutierte Wühlmäuse nicht nur gebären, sondern auch säugen können", sagt Neurobiologie-Professor Nirao Shah von der Stanford University. Sowohl die männlichen als auch die weiblichen Gen-veränderten Tiere zeigten demnach die üblichen elterlichen Verhaltensweisen des Kuschelns, Leckens und Pflegens.

Eine junge Mutter stillt ihr Kind
Für das Stillen galt Oxytocin bisher als unverzichtbar. Bildrechte: IMAGO/Westend61

Allerdings unterschieden sie sich trotzdem von ihren normalen Artgenossen: Sie waren zwar in der Lage, ihre Nachkommen bis zum Entwöhnungsalter aufzuziehen, die weiblichen Wühlmäuse hatten jedoch weniger Milch. Deshalb überlebten weniger Jungtiere und diejenigen, die es schafften, waren kleiner als die Nachkommen normaler Präriewühlmäuse, bilanziert das Forschungsteam. Dennoch ist vor allem die Fähigkeit der weiblichen Wühlmäuse zur Laktation – also der Milchbildung – ein Fund, der lange sicher geglaubtes Wissen infrage stellt. "Es ist ein Standard in medizinischen Lehrbüchern, dass der Milchspendereflex durch das Hormon vermittelt wird, und hier sagen wir: Moment mal, da steckt mehr dahinter", so Shah.

Soziale Bindungen sind komplizierter

Aber wie kann es sein, dass die Untersuchungen in den vergangenen Jahren andere Ergebnisse geliefert hatten? Das liege an einem wichtigen Unterschied zwischen pharmakologischen und genetischen Studien, sagt das Forschungsteam. "Medikamente können schmutzig sein in dem Sinne, dass sie an mehrere Rezeptoren binden können und man nicht weiß, welche Bindungswirkung die Wirkung verursacht", erläutert Manoli. Nun sei aber aus genetischer Sicht nachgewiesen, dass das Verhalten nicht beeinträchtigt wird, wenn der eine Rezeptor präzise gelöscht und sein Signalweg damit unterbrochen werde.

Ein junges Paar läuft durch einen sonnigen Laubwald.
Für unsere sozialen Bindungen ist mehr als nur Oxytocin notwendig. Bildrechte: Colourbox.de

Diese Erkenntnis hat Folgen für die Forschung. Denn seit einigen Jahren wird daran gearbeitet, Oxytocin als Therapeutikum für Menschen mit sozial-kognitiven Beeinträchtigungen wie zum Beispiel Schizophrenie zu nutzen. Doch die Ergebnisse des US-Teams zeigen nun, "dass es wahrscheinlich keine Wunderwaffe für etwas so Komplexes wie Sozialverhalten gibt", meint Manoli. Ihre Studie deute stark daraufhin, dass das aktuelle Modell, dass nur ein einzelner Weg oder ein einzelnes Molekül für die soziale Bindung verantwortlich ist, zu stark vereinfacht ist. Die Oxytocin-Signalübertragung spiele dabei zwar eine wichtige Rolle, aber es müssen noch mehr genetische Mechanismen beteiligt sein, so der Forscher.

Doch das Forschungsteam öffnet mit seiner Arbeit auch ganz neue Türen: Präriewühlmäuse wurden zuvor noch nicht in genetischen Studien verwendet. Alle molekularen Werkzeuge und Protokolle mussten deshalb neu entwickelt werden. Insgesamt arbeitete das Forschungsteam 15 Jahre lang an dieser Untersuchung. Doch künftig können sie und andere Forschende immer wieder darauf zurückgreifen. "Jetzt haben wir diesen Schatz, den wir abbauen können", sagt Manoli. Es gebe nämlich noch sehr viele andere Fragen, für deren Beantwortung Präriewühlmäuse interessant und nützlich sein könnten.

Link zur Studie

Berendzen, Kristen M. et. al.: Oxytocin receptor is not requiredfor social attachment in prairie voles. In: Neuron. 10.1016/j.neuron.2022.12.011.

(kie)

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | 23. Juni 2019 | 22:00 Uhr