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Manganknollen: Enthalten wertvolle Metalle, sind aber auch Lebensraum für Lebewesen am Meeresgrund. Bildrechte: ROV KIEL6000/GEOMAR

Deep Sea MiningTiefseebergbau: Warum wir den Meeresboden nicht einfach "abernten" können

04. Juli 2021, 12:02 Uhr

Weltweit scharren Unternehmen mit den Hufen, Schätze am Meeresgrund zu heben: Manganknollen, kartoffelgroße Klumpen, die außer Mangan u.a. auch Eisen, Kupfer, Nickel, Kobalt und seltene Erden enthalten können. Stimmen aus der Wissenschaft, allein 317 Expertinnen und Experten aus 44 Ländern, mahnen Regierungen und Länder in einer gemeinsamen Erklärung, Pläne für den Tiefsee-Bergbau aufzuschieben, bis man mehr über die Artenvielfalt und das Ökosystem am Meeresboden weiß.

von Liane Watzel

Es klingt auf den ersten Blick verführerisch: Knollen, die neben Mangan auch andere wertvolle Metalle enthalten und in tausenden Metern Tiefe am Meeresgrund dicht an dicht herumliegen. Warum nicht einfach einsammeln, angesichts der knapper werdenden Metall-Vorkommen und der Entwicklung neuer Technologien, die genau diese Stoffe brauchen?

Woher kommen die Manganknollen?

Manganknollen wachsen um etwa fünf Millimeter in einer Million Jahren. Sie liegen auf dem Meeresboden in 4.000 und 6.000 Metern Tiefe. Sie bestehen bis zu 27 Prozent aus Mangan, einem Metall, das u.a. für rostfreien Stahl und LED benutzt wird.

Ein Drittel der Meerzeller auf dem Meeresgrund ist von der Biologie noch gar nicht erfasst. Bildrechte: Senckenberg/ Nils Brenke

Dafür muss kein Dorf abgerissen, kein Mensch umgesiedelt werden, niemand muss in Minen herumkriechen und unter gefährlichsten Bedingungen nach den begehrten Erzen schürfen. So weit, so gut, aber natürlich hat der Rohstoff-Schatz am Meeresgrund einen gewichtigen Haken: Der Abbau würde tief in ein Ökosystem eingreifen, von dem wir bis heute nur wenig wissen. Ein Team des Senckenberg Forschungsinstituts hat in einer jüngst veröffentlichten Arbeit Umwelt-DNA aus 4.000 Meter untersucht und nachgewiesen: Wir wissen nur einen Bruchteil über all das, was an Einzellern und Mehrzellern in der Tiefsee lebt. Mindestens 60 Prozent der benthischen Foraminiferen und fast ein Drittel der eukaryotischen Lebewesen, die am Meeresboden leben, sind demzufolge noch unbeschrieben.

Was sind benthische Foraminiferen und eukaryotische Lebewesen?

Benthische Foraminiferen sind schalentragende Amöben. Sie werden auch Kammerlinge genannt. Die Minilebewesen leben am Meeresboden. Eurokaryotische Lebewesen sind Organismen mit einem Zellkern, der DNA speichert und weitere Zellorganelle hat, die verschiedene Aufgaben übernehmen: Also Mehrzeller wie Pflanzen, Tiere, Menschen.

Das Senckenberg-Team um Professorin Dr. Angelika Brandt und Prof. Dr. Pedro Martínez Arbizu hatte 360 Sediment- und Wasserproben mit DNA von Unterwasser-Organismen aus der Clarion-Clipperton-Zone im Zentral Pazifik analysiert. Das ist die Region, in der die Manganknollen-Dichte am Meeresboden weltweit am größten ist.

Lebewesen auf dem Meeresboden Bildrechte: Senckenberg/ Nils Brenke

Die Analyse zeigte, dass die Vielfalt in den potentiellen Seebergbaugebieten im Vergleich zu anderen Tiefseegebieten besonders hoch ist, dass es tief unten in den Ozeanen ein fragiles Ökosystem gibt. "Erst wenn man die Zusammenhänge der Lebewesen am Meeresgrund kennt, lassen sich die Nebenwirkungen des Tiefseebergbaus verstehen", warnt Meeresbiologe Martínez Arbizu. Im Gespräch mit MDR WISSEN sagt er: "Die ersten zehn Zentimeter Sediment mit den Knollen sind vergleichbar mit einem Wald, dem man die fruchtbare Zone wegnimmt. In diesen zehn Zentimetern spielt sich das Leben ab, hier gibt es Nahrung, Sauerstoff. Ist da die Fauna weg, dauert es sehr lange, bis sich das wieder besiedelt."

Erzvorkommen im Meer: Seit wann weiß man davon?

Dass am Meeresboden Bodenschätze in Form von Krusten oder Knollen lagern, ist schon seit 1872 bekannt. Auf einer dreijährigen Expeditionsfahrt der H.M.S.Challenger durch die Weltmeere wurden Daten zu Wassertemperatur, Tiefe, Strömungen, Bodenbeschaffenheit und Lebewesen am Meeresgrund gesammelt. Dabei wurden auch erstmals Manganknollen entdeckt, die aber als kuriose Funde in Museen endeten.

Manganknollen: Ein Ozean voll Fragen

Erst knapp 100 Jahre später wies der Geochemiker John L. Mero 1965 in einer Publikation auf die wirtschaftliche Bedeutung der Manganknollen hin. Er warf die Frage auf, wem eigentlich die Schätze am Meeresgrund gehörten. Das internationale Seerechtsabkommen UNCLOS klärte das Jahre später in einer Erklärung, nämlich 1982 und zwar in Artikel 136, so: "Die Ressourcen der Tiefsee sind Erbe der gesamten Menschheit." Jedenfalls die in internationalen Gewässern. Das klingt schön, lässt aber viele Fragen offen: Darf nun jeder nach Lust, Laune und Geldbeutel die Ressourcen am Meeresboden einsammeln? Und ganz zu schweigen von Fragen nach den Auswirkungen und Folgen von massiven Eingriffen in ein Ökosystem, von dem wenig bekannt ist.

Das Seerechtsabkommen hat diese Fragen auf dem Schirm und fordert in einem weiteren Artikel "Schutz und Erhaltung der natürlichen Ressourcen des Gebietes und der Vermeidung von Schäden an Flora und Fauna der Meeresumwelt." Das klingt auch wieder schön und sinnvoll. Aber wer schaut, dass sich alle daran halten? Und wer nimmt das Geld in die Hand und guckt nach, was da unten los ist?

Professor Dr. Pedro Martínez Arbizu Bildrechte: Gritta Veit-Koehler

Und was ist mit den Ländern, die gar nicht das Geld, geschweige denn das Know-How haben, ein Ökosystem in tausenden Metern Tiefe zu erforschen, oder solche Bodenschätze zu heben und nutzen? "Das ist die große Frage," bestätigt auch Professor Martínez Arbizu. "Darüber soll die Internationale Seebodenbehörde Konzepte erarbeiten. Bisher gibt es aber noch keine. Die Länder, die einen Claim beantragt haben, haben aber nur Anspruch auf die Hälfte des Ertrags. Die andere Hälfte können Entwicklungsländer beantragen", erklärt Professor Martínez Arbizu.

Jamaica: Die internationale Meeresbodenbehörde vergibt Lizenzen

Hier soll die 1994 gegründete Internationale Meeresbodenbehörde ISA mit Sitz in Jamaica für Gerechtigkeit sorgen. Ihr Werk: Ein Mining-Codex mit Abbauregeln für die Ressourcen der Tiefsee. Zum einen für die Schürfrechte in der Nähe eines Landes bis 12 nautische Meilen (rund 22 Kilometer) vor der hauseigenen Küste. Das ist das Hoheitsgebietes des Staates, bis 200 Seemeilen reicht die sogenannte ausschließliche Wirtschaftszone. Dort hat jeweils das Land die Rechte an dem, was im Wasser ist und am Boden liegt. Oder es kann Schürfrechte an Dritte abtreten.

Ab 200 Seemeilen entscheidet weitgehend die ISA über Nutzungs-Lizenzen. Bislang wurden weltweit 17 marine Explorationslizenzen vergeben. Deutschland hält seit 2006 zwei Tiefsee-Schürflizenzen und Gebiete, und damit eine Erkundungslizenz für 600 Millionen Tonnen Manganknollen (Trockengewicht) im Pazifik in der Clarion-Clipperton-Zone zwischen Hawaii und Mexiko auf einer Fläche von über 75.000 km². Und eine zweite Lizenz zur Gewinnung von Massivsulfiden auf einem Areal von 10.000 km² im Indischen Ozean.

Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe mit Sitz in Hannover ist dafür zuständig, zu erkunden, welche Ressourcen dort liegen, und welche Folgen es hätte, sie zu heben. Eine Mining Company oder ein Konsortium, das daran arbeitet, die Ressourcen nutzbar zu machen, gibt es in Deutschland nicht.

Tiefseebergbau: Deutschland forscht schon lange mit

Im Peru-Bassin wurde 1989 das DISCOL-Experiment gestartet. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK, Datawrapper, openstreetmap

Allerdings hat Deutschland schon weit vorher zwischen 1989 und 1997 das Forschungsprojekt "Expedition SO61" angeschoben und zwar 3.000 Kilometer westlich von Peru im Ostpazifik im sogenannten DISCOL-Gebiet. DISCOL steht für Dis-turbance (Störung) and re-COL-onization experiment (Wiederbesiedlung). Ziel: Man wollte herausfinden, wie Tiefsee-Lebewesen auf Störungen durch Bergbaumaschinen reagieren. Dabei wurde mit einer Art Egge eine Fläche von 3,5 km² in 4.150 Metern Tiefe durchgepflügt. 78 Rillen wurden gezogen, zwanzig Prozent der Meeresbodensedimente wurden dabei direkt gestört.

Stoffkreislauf seit 1989 um ein Drittel verringert

Die Pflugspuren sind auch 26 Jahre nach der Störung auf dem Meeresboden des DISCOL-Gebiets immer noch deutlich zu erkennen. Bildrechte: ROV-Team/GEOMAR

Ein Forschungsteam des Max-Planck-Instituts für Marine Mikrobiologie in Bremen und des Alfred-Wegner-Institut hat die Folgen dieses Versuchs analysiert. Ergebnis: Auch 26 Jahre nach dieser Störung sind die Pflugspuren auf dem Meeresboden klar zu erkennen. Viele sesshafte Bewohner der Meeresboden-Oberfläche, die auf Manganknollen als Substrat angewiesen sind, fehlen noch Jahrzehnte nach dieser Störung des Ökosystems.

"Die biogeochemischen Bedingungen hatten sich nachhaltig verändert", sagt Studienleiterin Antje Boetius. Das könnte daran liegen, dass die oberste, aktive Sedimentschicht durch den Pflug zerstört, untergepflügt oder aufgewirbelt und von den Strömungen davongetragen wurde. Dadurch können mikrobielle Bewohner das "herabregnende" organische Material nur noch eingeschränkt verwerten. Der mikrobielle Kohlenstoffkreislauf im sogenannten 'microbial loop' war um mehr als ein Drittel reduziert." (Die "mikrobielle Schleife" beschreibt den Stoffkreislauf in einem Gewässer, bei dem aufgelöste organische Substanz über Bakterien wieder in die Nahrungskette gelangt.) In den Pflugspuren fehlte ein Drittel der ursprünglich vorhandenen Bakterien.

Probenentnahme im DISCOL-Gebiet, einer Meeresregion im Ostpazifik 3.000 Kilometer vor der Küste Perus. Einige größere Tiere erholen sich schneller als Mikroben von Grabungen am Meeresgrund. Allerdings könnten insbesondere Organismen, wie dieser gestielte Schwamm, die an Manganknollen anhaften, besonders gefährdet sein. Bildrechte: ROV-Team/GEOMAR

Meeresboden: Manganknollen Teil des Ökosystems

Die jüngste Veröffentlichung des MPI aus Bremen belegt konkret, was die Manganknollen bewohnt: Für gestielte Schwämme sind die Manganknollen der einzige griffige Untergrund, an dem sie andocken können.

Sie verankern sich mit ihrem Stiel in der Knolle und filtern mit ihrem Körper winzige Meerespartikel aus dem Wasser. Sie selbst wiederum sind Lebensraum für Würmer, Krebse oder Muscheln. Stratmann und ihr Team haben anhand der Bilder ein Modell der ökologischen Vernetzung in der Tiefsee erstellt, das zeigt, was passiert, wenn man die Knollen aus diesem Ökosystem entfernt: Werden die Knollen "geerntet", verschwinden auch die Schwämme und mit ihnen deren Bewohner: "So verringert sich die Zahl der Tierarten und Verbindungen im Nahrungsnetz. Das Nahrungsnetz in der Tiefsee wird ohne die Knollen einfacher und weniger artenreich," warnt Meeresbiologin Antje Boetius.

Manganknollenhabitat auf dem Meeresboden der Clarion-Clipperton-Bruchzone mit einer Seeanemone und einem Schlangenstern. Bildrechte: ROV KIEL6000/GEOMAR

Belgien: Robo-Prototyp sammelt erste Knollen

Seit Anfang April 2021 ist erneut ein internationales Forschungsteam aus Europa in der Clarion-Clipperton-Zone im Pazifik unterwegs und zwar mit dem Forschungsschiff ISLAND PRIDE. Das Forschungsteam an Bord des Schiffes untersucht wissenschaftlich, was die belgische Firma Global Sea Mineral Ressources, die zur DEME Group gehört, im belgischen Lizenzgebiet bereits praktisch testet: Der Prototyp eines Manganknollen-Roboters sammelte am 18. April am Meeresgrund Mangan-Knollen. Über zwei fünf Kilometer lange Kabel war das Gerät mit dem Schiff verbunden, vier Stunden dauerte es, bis das Gerät am Boden ankam. Nach zwei Tagen wurde der Robo wieder hochgezogen. Auch auf deutschem Lizenzgebiet soll er Material sammeln. Belgien erhält im Gegenzug die wissenschaftlichen Daten zum Einfluss auf die Artenvielfalt, die auf der ISLAND PRIDE gesammelt werden. "Belgien hat derzeit mit ihrem Testmining die Nase vorn, die wollen auch den Testabbau beantragen", sagt Professor Pedro Martínez Arbizu. Die BGR will für das deutsche Untersee-Gebiet die Explorations-Lizenz um fünf Jahre verlängern. "Ob ich das noch erlebe, dass mit Manganknollen der Bedarf an Metallen gedeckt wird?" Der Wissenschaftler zweifelt. "Noch ist das ein sehr abstraktes Thema." Es gibt weder Technologie zum "Ernten" der Knollen, noch die Infrastruktur zum Ausschlachten, geschweige denn einen makro-ökonomischen Plan für den Metall-Markt. Und noch weiß niemand, welche wirtschaftlichen Folgen es hat, wenn Ressourcen aus der Tiefe, zusätzlich zu den herkömmlich gewonnenen, auf den Markt der Metalle kommen.

Manganknollen aus der Tiefsee des Pazifiks Bildrechte: imago/blickwinkel

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