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Teuer und aufwändig: Agri-Photovoltaik über einer Beerenobst-Plantage in Nordrhein-Westfalen. Bildrechte: IMAGO / Rüdiger Wölk

Agri-PhotovoltaikFelder als Solarparks und Solarparks als Hummelwiesen

15. Dezember 2021, 20:00 Uhr

Agri-Photovoltaik heißt die Technik, die Ackerbau und Solarstrom-Erzeugung auf ein und derselben Fläche ermöglicht. In Dresden arbeitet man nun an der Optimierung des zukunftsträchtigen Verfahrens. Dass Solaranlagen auch Tummelplätze für Hummeln sein können, zeigt eine Studie aus England.

Die Bundesregierung will bis 2030 rund 65 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energieträgern gewinnen. Statt Atom, Kohle und Erdgas sollen vor allem Wasser, Wind, Sonne und Biomasse den Strombedarf des wichtigsten Industrielandes Europas decken. Doch das kostet Land, sehr viel Land. So will die Ampel-Koalition allein zwei Prozent der Fläche Deutschlands für Windenergieanlagen ausweisen. Das entspricht einem Gebiet von etwa einem Drittel des Landes Sachsen-Anhalt. 350 Quadratmeter Boden müssen für einen einzigen 135 Meter hohen Windradturm versiegelt werden. Boden, der wiederum für die Biomasse- und Lebensmittelproduktion in der Landwirtschaft, aber auch für die Erhaltung der Artenvielfalt fehlt.

Flächenbedarf wächst stetig

Windräder in einer Windkraftanlage: Für jedes von ihnen müssen 350 Quadratmeter Boden versiegelt werden. Bildrechte: imago images/Shotshop

Auch die Sonnenenergie-Erzeugung benötigt immer größere Flächen. Laut einer in diesem Jahr veröffentlichten Studie des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme ISE müsste Deutschland zur Deckung seines u.a. durch forcierte Elektromobilität stetig wachsenden Strombedarfs sechs- bis achtmal so viel Sonnenstrom erzeugen wie bisher. Das entspricht einer installierten Photovoltaik-Leistung von bis zu 446 Gigawatt. Die ISE-Wissenschaftler halten sogar 3.000 Gigawatt Photovoltaik für möglich. Vorausgesetzt, alle in Frage kommenden Flächen wie etwa Tagebauseen, Gebäudefassaden, Schienen und Straßen, Parkplätze und Kraftfahrzeuge würden ebenfalls für Photovoltaik-Anlagen genutzt.

Hohes Potential der Landwirtschaft

Hoch und nach Süden aufgeschrägt: Agri-PV Solarmodule in Moret-sur-Loing in Frankreich. Bildrechte: imago images/IP3press

Dass höchste Potential sieht die ISE-Studie allerdings für die Landwirtschaft. Ihren Flächen wird eine potentielle Photovoltaik-Leistung von sage und schreibe 1.700 Gigawatt zugetraut. Sogenannte Agri-Photovoltaik-Anlagen (Agri-PV) sollen die Solarstrom-Erzeugung bei gleichzeitiger Nutzung der Ackerfläche ermöglichen. In den meisten Fällen bestehen diese Anlagen bislang aus nach Süden schräg aufgestellten Solarmodulen. Diese müssen allerdings weit genug auseinander- oder aber hoch genug stehen, damit die dazwischenliegenden Flächen von Landmaschinen befahren werden können. Ein solcher Aufbau ist jedoch sehr teuer und aufwändig. Außerdem wirkt er sich negativ auf die Niederschlagsverteilung auf der betroffenen Agrarfläche aus.

Vertikale und bifaziale Solarmodule

Platzsparend und geeignet für große Felder: Vertikal aufgestellte, bifaziale Solarmodule in einer Agri-PV-Anlage in Biessenhofen im Allgäu. Bildrechte: IMAGO / MiS

Eine Alternative zu schräg stehenden Agri-Photovoltaik-Anlagen sind Anlagen mit vertikal aufgestellten bifazialen Solarmodulen. Diese erzeugen den Strom sowohl über die Vorder- als auch über die Rückseite und benötigen deshalb viel weniger Ackerfläche. Wissenschaftler der Hochschule für Technik und Wirtschaft Dresden (HTW) wollen die Vor- und Nachteile dieser bifazialen Agri-Photovoltaik-Anlagen für den Ackerbau nun in einer Versuchsanlage untersuchen. Anhand selbstentwickelter Mess- und Erfassungssysteme sollen dabei verschiedene Parameter wie Bodenbeschaffenheit, Umwelteinflüsse, meteorologische Größen sowie landwirtschaftliche Produktionsdaten erfasst und ausgewertet werden.

Effektivere und kleinteiligere Bewirtschaftung

Im Rahmen des Projekts ist unter anderem der Aufbau eines "Controlled Traffic Farming"-Systems geplant. Es soll die von den Landmaschinen überfahrenen Ackerflächen möglichst geringhalten. Außerdem sollen sogenannte Precision bzw. Smart Farming-Technologien dafür sorgen, dass Felder nicht mehr im Ganzen, sondern in vielen kleinen Teilflächen bewirtschaftet werden können. Bearbeitung, Pflege und Düngung der einzelnen Abschnitte erfolgen dann individuell und an die jeweiligen Bedürfnisse angepasst. Die eingesetzten Landmaschinen sollen dabei viel mehr Daten als bisher erfassen und diese auch untereinander noch besser austauschen können.

Biotopverbundsystem für Artenschutz

Als Beitrag zum Natur- und Artenschutz soll die Dresdner Versuchsanlage außerdem ein sogenanntes Biotopverbundsystem erhalten. Dessen Aufgabe soll es sein, die verschiedenen kleinen Biotope unterhalb der Solarmodul-Reihen sowie die angrenzenden Feldränder durch Blühstreifen zu verbinden.

Solarparks als Hummel-Plätze

Wiesen-Hummel (Bombus pratorum): Wiesen in Solarparks fördern ihre Verbreitung. Bildrechte: imago images/blickwinkel

Dass Solarparks einen wertvollen Lebensraum für Insekten bieten können, zeigt eine vorläufige Untersuchung aus England. Dort haben Forscher der Universität Lancaster in einem Modell die Futtersuche von bodenbrütenden Hummeln in britischen Solarparks sowie ihrem Umland simuliert. Anhand der Ergebnisse untersuchten die Wissenschaftler anschließend, welche Bewirtschaftungsszenarien der Parks die besten Ressourcen für die Hummeln bieten können. Dabei kamen die Wissenschaftler zu dem Ergebnis, dass Solarparkflächen, die als ressourcenreiche Wiesen angelegt sind, viermal so viele Hummeln beherbergen wie Solarparkflächen, die als Grasflächen bewirtschaftet werden.

Bestäuber für die Landwirtschaft

Die britischen Forscher fanden auch heraus, dass große, langgestreckte und ressourcenreiche Solarparks die Hummeldichte auch bis zu einem Kilometer außerhalb der Parks erhöhen können. Für die Landwirtschaft im Umfeld der Parks wäre das ein riesiger Zugewinn, denn die zahlreichen Hummeln sind auch potentielle Bestäuber von Nutzpflanzen. Landwirte, die Solarparks auf oder in der Nähe ihres Landes haben, könnten sich vor diesem Hintergrund gezielt dafür entscheiden, "bestäuberabhängige Pflanzen" in der Nähe dieser "bestäuberstarken Gebiete" anzubauen, so die britische Modellstudie. Klingt nach einer klassischen Win-Win-Situation.

(dn)

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