Junge mit Fahrradhelm trinkt aus Flasche
Wer Sport reibt, hat meistens eine Trinkflasche für zwischendurch dabei. Ob die aus Plastik sein sollte, darüber kann man mal nachdenken. Bildrechte: PantherMedia/Maor Winetrob

PVC und Polyurethan Plastik-Verpackungen: Die neuen, heimlichen Dickmacher

27. Januar 2022, 15:30 Uhr

Bodenbelag oder Badeschwamm – in Alltagskunststoffen stecken zehntausende Chemikalien. Und manche von denen haben bisher unbekannte Folgen für uns. Denn sie können Einfluss darauf haben, ob unsere Körperzellen mehr Fett einlagern, und wir dadurch ungewollt dicker werden.

Millionen Menschen sind schwerer als ihnen guttut. Wie schwer es ist, die Gewichtsschraube rückwärts zu drehen, kennen alle, denen die Hose vom letzten Frühjahr in den Po kneift. Die Forschung hat den vielen Ursachen dafür nun eine neue, bisher unbekannte hinzugefügt: Auch Chemikalien aus Plastikprodukten machen uns dick.

Fettzellen
Martin Wagner: "Die blauen Punkte sind angefärbte Zellkerne, d.h., jeder Punkt gehört zu einer Zelle. Die roten Stellen markieren das Fett, das die Zellen aufgenommen haben. Man sieht sehr gut, dass Zellen, die mehr Plastikchemikalien bekommen haben, mehr Fett aufnehmen und sich auch mehr teilen." Bildrechte: MDR/Martin Wagner

Biologe und Studienleiter Martin Wagner hat zusammen mit einem Team der Norwegian University of Science and Technology (NTNU) in Trondheim die Zusammensetzung verschiedenster Alltags-Plastikartikel untersucht. Ergebnis: Produkte aus PVC und Polyurethan, also zum Beispiel Fußbodenbelag, Platzdeckchen und Badeschwämme, enthalten besonders viele Substanzen, die Bildung und Wachstum von Fettzellen anregen. Moment! Dass jemand mal gründlich einen Teller ausschleckt, gut und bei Porzellan ungefährlich (wenn auch nicht schön), aber Platzdeckchen und Fußbodenbelag?! Biologe Wagner erläutert das so: "Menschen kommen über Hautkontakt oder die Raumluft in Kontakt mit den Plastikchemikalien. Von Studien mit Flammschutzmitteln und Phthalaten wissen wir, dass sich diese im Hausstaub ansammeln und dann eingeatmet werden können." Wie sich die Substanzen konkret in Gramm und Kilogramm bei Menschen niederschlagen, zeigt die Studie nicht. Aber Aufnahmen aus dem Labor in Trondheim zeigen eindrucksvoll, dass Zellen, die mehr Plastikchemikalien bekommen haben, mehr Fett aufnehmen und sich auch mehr teilen.

Tausende Chemikalien in Alltagsplastik

Tiefkühltruhen mit verschiedensten TK-Produkten.
Plastikverpackungen: Wer sie mit Skepsis betrachtet, liegt nicht falsch Bildrechte: IMAGO / Jochen Tack

Der Forscher schreibt uns: "Allerdings haben wir auch andere Kunststoff-Arten gefunden, die derartige Schadstoffe enthalten, darunter Lebensmittelverpackungen aus Polyethylen, Polystyrol und Polypropylen." Die größte Überraschung war für ihn, wie viele unterschiedliche Chemikalien in Alltagsprodukten stecken: mehr als 55.000 Substanzen in 34 analysierten Plastikprodukten. "Diese hatten in manchen Fällen stärkere Effekte auf die Fettzellen als ein Arzneimittel, das wir zum Vergleich untersucht haben. Die Auswirkungen, die Plastikchemikalien auf Fettzellen haben können, sind sehr stark." Die können nämlich Vorläuferzellen zu Fettzellen umprogrammieren, die sich stärker vermehren und mehr Fett einlagern. Von wegen also, gesunde Vitamine naschen, oder den Jogurt selbst anrühren und mit gefrorenen Himbeeren aus dem Gefrierbeutel aufhübschen. Still und heimlich naschen wir Chemikalien mit, die unserem Körper signalisieren: los, wir setzen mal was an auf den Rippen, oder sonstwo.

Die Auswirkungen, die Plastikchemikalien auf Fettzellen haben können, sind sehr stark.

Prof. Martin Wagner, Biologe, NTNU Trondheim

Zahnbürsten & Netze zum Obsttransport wurden nicht untersucht, sagen die Forscher, aber dafür Dinge wie Müllbeutel, Gefrierbeutel, auffüllbare Trinkflaschen, Joghurt-Becher, Taschentuchverpackungen, Gummibärchen-Tüten, Badeschlappen, Shampoo-Flaschen, Fußbodenbeläge, Schwämme.

Wie weichen wir den Plastikchemikalien im Alltag aus?

Was bedeutet das konkret für unseren Alltag? Wie können wir den Kontakt zu Plastikchemikalien verringern? Wagner rät: Möglichst wenige PVC- und PU-Produkte verwenden, zum Beispiel beim Hausausbau könne man andere Materialien als Bodenbelag oder Dämmstoff einsetzen. Oder beim Einkaufen darauf achten, möglichst wenig plastikverpackte Lebensmittel zu kaufen. Und wenn überhaupt, das Produkt so kurz wie nötig in der Verpackung lassen, denn: "Je länger ein Lebensmittel Kontakt mit Plastik hat, umso mehr Chemikalien werden übergehen. Das Gleiche gilt im übrigen für höhere Temperaturen etwa in der Mikrowelle. Bei der Zubereitung sollte man Plastikverpackungen auf keinen Fall erhitzen oder in der Mikrowelle verwenden. Das beschleunigt das Auslaugen von Chemikalien."

(lfw)

Die Studie "Adipogenic Activity of Chemicals Used in Plastic Consumer Products" lesen Sie hier im Original.

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