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UmweltPlastikmüll: Wir kippen jede Minute zwei LKW voll in die Meere

09. Februar 2022, 09:05 Uhr

Weltweit sind die Ozeane in einem katastrophalen Zustand, zeigt eine neue Studie im Auftrag der Tierschutzorganisation WWF. In den kommenden 30 Jahren wird sich der Anteil von Mikroplastik im Meer mehr als verdoppeln.

Unechte Karettschildkröte, gefangen im Netz Bildrechte: Alfred-Wegener-Institut/ NOAA

Der Umweltverband WWF hat vor dramatischen Folgen des zunehmenden Plastikmülls in den Meeren gewarnt. Die Plastikverschmutzung habe in den vergangenen Jahrzehnten exponentiell zugenommen, erklärte der WWF unter Berufung auf eine Studie des Alfred-Wegener-Instituts in Bremerhaven. Das Institut hatte im Auftrag der Umweltorganisation 2.592 Untersuchungsergebnisseen aus den 1960er-Jahren bis 2019 ausgewertet.

Plastikmüll zersetze sich im Ozean zu Mikro- und Nanoplastik, sagte die Leiterin des Fachbereichs Meeresschutz beim WWF Deutschland, Heike Vesper. Darum werde sich der Mikroplastikgehalt in den kommenden 30 Jahren mehr als verdoppeln. Bei knapp 90 Prozent der untersuchten Meeresarten seien Auswirkungen festgestellt worden, sagte die Meeresbiologin und Mitautorin der Studie, Melanie Bergmann vom Alfred-Wegener-Institut. Allerdings seien diese Zusammenhänge noch wenig erforscht, die dokumentierten Auswirkungen seien äußerst beunruhigend.

Die Folgen von Plastikmüll im Meer

In Plastikmüll könnten sich Tiere wie Robben oder Meeresschildkröten verfangen und ersticken. Ähnlich kann es Vögeln gehen, wen sie Nester aus Plastikabfall bauten, was bereits bei Basstölpeln auf Helgoland beobachtet wurde. Bedeckt Müll den Meeresboden, fehlt Korallen und Schwämmen Licht und Sauerstoff. Andere Tiere im Meer wie Schildkröten und Raubfische oder Delfine und Wale verwechselten Plastikteile mit Beutetieren.

Wissenschaftlichen Schätzungen zufolge verschlucken schon heute bis zu 90 Prozent aller Seevögel und 52 Prozent aller Meeresschildkröten Plastik. Einmal im Ozean verteilt, ist es fast unmöglich, Plastik aus den Gewässern zu entfernen. Der Abfall zersetzt sich über Jahre in immer kleinere Teile bis zu Mikro- und Nanoplastik. Selbst wenn der Plastikeintrag heute gestoppt werden würde, der Mikroplastikgehalt der Meere wird in den kommenden Jahrzehnten massiv steigen.

Müll im Magen macht nicht satt

Durch Plastikmüllverzehr entstehe ein falsches Sättigungsgefühl, es komme zu Verstopfung und innere Verletzungen. Außerdem gelangten durch den Plastikmüll Chemikalien in die Tiere, die ihre Fortpflanzung beeinträchtigen könnten. Für fast alle marinen Artengruppen sind dem WWF zufolge inzwischen negative Auswirkungen nachgewiesen.

Verschlucktes Plastik wandert in der marinen Nahrungskette nach oben und kommt schließlich wieder beim Menschen an. Im stark belasteten Mittelmeer wurden Plastikpartikel in den großen und kommerziell wichtigen Raubfischarten wie Blauflossenthun und Schwertfisch nachgewiesen, deren Bestände wegen Überfischung unter Druck stehen.

Wo besonders viel Müll im Meer schwimmt

Besonders betroffen sind der Metastudie zufolge das Mittelmeer, das Gelbe und das Ostchinesische Meer. Korallenriffe und Mangrovenwälder seien in Gefahr. Vor einigen Stellen der indonesischen Insel Java sei die Hälfte des Meeresbodens mit Plastikmüll bedeckt. Auch in der Tiefsee, die 70 Prozent der Erdoberfläche ausmache, sammele sich immer mehr Kunststoffabfall.

Wie kommt der Müll ins Meer und in welchen Mengen?

Der Studie zufolge wird der Müll häufig direkt ins Meer gekippt oder Hochwasser spült ihn von Deponien weg. 60 bis 95 Prozent des Mülls ist Einwegplastik. Pro Jahr gelangen etwa 19 bis 23 Millionen Tonnen Plastikmüll in die Gewässer der Welt. Um sich das vorzustellen: Das entspricht etwa der Menge, die entsteht, wenn zwei Lkw-Ladungen pro Minute ins Meer gekippt werden.

Zwischen 86 und 150 Millionen Tonnen Kunststoff haben sich laut WWF inzwischen im Ozean angereichert. Obwohl moderne Klärwerke 97 bis 90 Prozent der Partikel zurückhalten, bedeuten aber für Städte Berlin oder Hamburg ein Prozent immer noch eine große Menge, sagt Meeresbiologin Bergmann.

Umweg AsienWie europäischer Plastikmüll im Meer landet

In Deutschland sind die Hauptquellen für Mikroplastik-Eintragungen nach Schätzungen des Fraunhofer-Instituts für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik Abrieb von Reifen und Bitumen im Asphalt sowie die Freisetzung bei der Abfallentsorgung. Auf Platz 7 der Rangliste des Instituts steht der Abrieb von Schuhsohlen, noch vor dem häufig genannten Faserabrieb bei der Textilwäsche (Rang 10) und Partikeln in der Kosmetik (Rang 17). Auch Lacke von Windkraftanlagen, Masken und anderer Abfall von Corona-Schutzmaßnahmen verschmutzen die Meere, allerdings lässt sich die Menge derzeit noch nicht beziffern.

WWF: Globales Abkommen gegen Plastikeintrag in Meere muss kommen

Der WWF forderte die Ende Februar in Nairobi tagende Umweltversammlung der Vereinten Nationen (Unea) auf, ein rechtsverbindliches globales Abkommen gegen den Plastikeintrag in die Meere auf den Weg zu bringen. In Deutschland gebe es schon ein Bewusstsein für das Problem. Die EU habe vor einiger Zeit bestimmte Einwegplastikverpackungen verboten. Es sei nach ihrer Erfahrung "die schnellste Umweltgesetzgebung ever" gewesen, lobte Vesper.

Manche Verbesserungen brauchen jedoch Zeit, wie der Sprecher des Versorgers Hamburg Wasser, Ole Braukmann, sagte. Hamburgs rot-grüner Koalitionsvertrag sehe vor, den Einbau einer vierten Reinigungsstufe im Klärwerk zu prüfen. Es gehe dabei aber um eine hohe Investition für 50 bis 60 Jahre, deren Vor- und Nachteile genau bedacht werden müssten. Reinigungsverfahren mit Aktivkohle seien zum Beispiel sehr energieintensiv und teuer.

(dpa/wwf/lfw)

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