Ein Berg Styrophorabfälle, Reste von Isolier- oder Dämpfmaterial
Polystyrol - besser bekannt als Styropor - ist der am viertmeisten hergestellte Kunststoff Deutschlands. Bildrechte: IMAGO/H. Tschanz-Hofmann

Polystyrol Neue Methode ermöglicht Upcycling statt Recycling von Plastikmüll

20. August 2022, 12:00 Uhr

Ein großer Teil unseres Plastikmülls wird nicht recycelt, sondern verbrannt oder er landet sogar auf Deponien im Ausland. Dabei könnte er auch ein wertvoller Rohstoff sein. Ein US-Forschungsteam setzt deshalb auf Upcycling statt Recycling und macht mit einer neuen Methode aus dem Müll eine hochwertige Chemikalie für die Industrie. Das klingt perfekt, könnte aber im industriellen Maßstab seine Tücken haben, glauben Fachleute.

Glaubt man dem Klischee, ist die Mülltrennung den Deutschen heilig. Ganz klar dabei: Plastikmüll gehört in die gelbe Tonne, denn er wird recycelt. Doch dieser gute Glaube hat oft wenig mit der Realität zu tun. Denn tatsächlich kommt nicht annähernd so viel Plastikmüll wie viele denken auch wirklich in einen Recyclingkreislauf. Im Jahr 2019 etwa wurden laut Umweltbundesamt 52,8 Prozent des Plastikmülls verbrannt – etwas mehr als die Hälfte also.

Verwertung der Plastikabfälle 2019 in Deutschland

  • Von 6,28 Millionen Tonnen aller Kunststoffabfälle bundesweit wurden 2,93 Millionen Tonnen (46,6 Prozent) werk- und rohstofflich genutzt.
  • 3,31 Millionen Tonnen (52,8 Prozent) wurden in Müllverbrennungsanlagen für Strom und/oder Wärmeerzeugung verbrannt oder kamen als Ersatzbrennstoff für fossile Brennstoffe in Zementwerke oder Kraftwerke.
  • 40.000 Tonnen, etwa 0,6 Prozent der Kunststoffabfälle, kamen laut UBA auf Deponien.

Doch selbst mit dem Plastikmüll, der recycelt wird gibt es ein Problem. Denn der wird selten zu einem qualitativ hochwertigen Rohstoff für neue Produkte. "Recycling ist nicht das, was wir glauben", sagt etwa Helmut Maurer, der seit mehreren Jahren für die Generaldirektion Umwelt der EU-Kommission arbeitet, in der ARD-Dokumentation "Die Recyclinglüge". Das recycelte Material ersetze nämlich nur marginal sogenannte virgine Rohstoffe – also die neuen Kunststoffe, die aus frischem Öl neu hergestellt werden. Der Fachmann glaubt, dass die wirkliche Recyclingquote deshalb nur zwischen fünf und sieben Prozent liege.

Und auch, wenn auf einer Plastikverpackung steht, dass sie recyclebar ist, heißt das nicht, dass sie auch wirklich wiederverwertet wird, heißt es etwa von Greenpeace. Denn Mischungen aus verschiedenen Plastiksorten könne man entweder gar nicht recyceln oder nur mit hohem Aufwand. Und den großen Aufwand mache sich eben niemand. Das heißt: Nur weil Plastik in der Gelben Tonne landet, wird er nicht zwingend recycelt.

Der Grund dafür, dass die meisten Kunststoffe nicht recycelt werden, sind schlicht die hohen Kosten.

Prof. Dr. Johannes Gerardus de Vries
Auf einem Tisch stehen mit Christrosen bepflanzte Blumentöpfe aus Styroporkugel, die mit Naturmaterialien beklebt wurden
Andere Form von Styropor-Upcycling: Beklebt als Pflanzgefäß. Bildrechte: MDR/Teresa Herlitzius

Und wenn der Plastikmüll doch weiterverarbeitet wird, dann wird er meist geschreddert und als Granulat weiterverarbeitet. Doch das sei häufig teurer als neu hergestellte Kunststoffe, da der Müll aufwändig gesammelt, gereinigt und getrennt werden muss, erklärt Johannes Gerardus de Vries, emeritierter Professor an der Universität Rostock. Eine weitere Möglichkeit ist das Cracking – also die chemische Zerlegung des Plastiks in die Erdölkomponenten, aus denen es ursprünglich hergestellt wurde. Doch das ist teuer und lohnt sich ökonomisch nicht.

Upcycling statt Recycling!

Aber was wäre, wenn aus dem Plastikmüll kein weniger wertiges Produkt, sondern ein qualitativ hochwertigerer Rohstoff gemacht würde? Upcycling statt Recycling ist hier das Stichwort. Bisher brauchte man dazu komplexe, teure Katalysatoren und energieintensive Reaktionsbedingungen – und am Ende kamen dabei nicht selten minderwertige Produkte heraus.

Doch jetzt ist einem US-Forschungsteam offenbar ein echtes Upcycling gelungen: Sie können aus dem weit verbreiteten Polystyrol – besser bekannt als Styropor – eine hochwertige Chemikalie herstellen und das offenbar auch noch kosten- und energieeffizient. Die Forschenden von der Virginia Tech University haben eine Methode entwickelt, bei der sie den Kunststoff mit einer einfachen chemischen Reaktion zunächst zersetzen und anschließend in einen wertvollen Ausgangsstoff für weitere chemische Herstellungsverfahren umwandeln können. Ihr Ansatz verwerte den Plastikmüll nicht nur, sondern werte ihn sogar deutlich auf, schreiben sie. Und sie sehen durchaus auch Potential für die Wirtschaft: Die Polystyrol-Verwertung sei auch bei einer Skalierung auf industrielle Maßstäbe lukrativ.

Ein junger Forscher ostasiatischer Abstammung mit schwarzem, kurzen Haar und einem blauen Hemd steht in einem Labor und hält ein Reagenzglas mit einer Flüssigkeit in die Kamera.
Einer der Forscher mit dem Zwischenprodukt der Degradation. Bildrechte: Reilly Henson (Virginia Tech, Blacksburg, Virginia)

Polystyrol ist ein weit verbreiteter Kunststoff, beinahe alle Deutschen kennen ihn als Verpackungs- oder Isoliermaterial. Es ist der in Deutschland am viertmeisten hergestellte Kunststoff. Um daraus eine wertvolle Chemikalie zu machen, lösten die Forschenden das Polysterol in Benzol und setzten den gängigen Katalysator Aluminiumchlorid hinzu. Dann beobachteten sie bei Raumtemperatur und unter Bestrahlung mit UV-Licht die Zersetzung des Kunststoffs. Dieser Prozess wird Degradation genannt. Für den eigentlichen Upcycling-Prozess fügten sie ihrem entstandenen Zwischenprodukt Dichlormethan hinzu. Das Gemisch reagierte dann zu Diphenylmethan. Und das wiederum ist eine wertvolle Chemikalie, die unter anderem in der Lebensmittel-, Pharma-, Duft- und Farbstoffindustrie eingesetzt wird und einen deutlich höheren Marktwert als die eingesetzten Plastikabfälle hat. Allerdings wird sie meist nur in geringen Mengen nachgefragt.

Potential mit Einschränkungen

Die Publikation der neuen Upcycling-Methode stößt bei Fachleuten sowohl auf Interesse als auch auf Skepsis. Der ehemalige Leiter des Departments Katalyse mit nachwachsenden Rohstoffen am Leibniz-Institut für Katalyse an der Universität Rostock (LIKAT), Johannes Gerardus de Vries, sagt etwa: "Problem gelöst – sollte man meinen. Das generelle Problem beim Upcycling ist jedoch, dass teurere Produkte einen viel kleineren Markt haben. Daher könnte nur ein Bruchteil des gesamten Polystyrol-Abfalls auf diese Weise umgewandelt werden." Nichtsdestotrotz zeige die Studie aber einen guten Weg zu den einfachen Lösungen, die angesichts der großen Plastikmüllmengen gebraucht würden. "Es bleibt zu hoffen, dass wir in naher Zukunft mehr von diesen Ansätzen erwarten können", sagt de Vries.

Zwei Forschende - eine Person mit langen schwarzen Haaren und ein Mann mit kurzen schwarzen Haaren - stehen mit Laborkitteln bekleidet in einem Labor und begutachten ein technisches Gerät.
Die Forschenden haben die Methode bisher nur im Labor vollzogen. Bildrechte: Reilly Henson (Virginia Tech, Blacksburg, Virginia)

Eine Frage, die der Fachmann sich stellt, ist allerdings, ob sich der relativ einfache Prozess mit einem sogenannten photochemischen Reaktor wirklich in großem Maßstab umsetzen ließe: "Das Problem besteht darin, dass beim Übergang vom Gramm- zum Tonnenmaßstab das Verhältnis zwischen Oberfläche und Volumen viel kleiner wird. Die Oberfläche bestimmt, wie viel Licht in die Reaktionsmischung eindringen kann. Aus diesem Grund waren die industriellen photochemischen Reaktionen bisher meist auf sehr viel kleinere, feinchemische Produkte beschränkt." Auch Ina Vollmer von der Forschungsgruppe Anorganische Chemie und Katalyse an der Universität Utrecht betont dieses Problem. "Die Forscher haben nicht gezeigt, dass hierfür Sonnenlicht direkt verwendet werden soll, deshalb wird das Betreiben der UV-Lampe auch viel Strom benötigen. Auch die Aufreinigung der Produkte ist energieintensiv. Außerdem ist es im Labor mit kleinen Mengen immer sehr schwer abzuschätzen, ob sich ein Prozess im industriellen Maßstab lohnt", erklärt sie. Vollmer bezweifelt, dass die Methode im Großen wirklich so energie- und kosteneffizient ist, wie das Team schreibt.

Die Degradation unter den genannten Bedingungen ist tatsächlich interessant. Die Kaskade ist neu. Grundsätzlich ist auch eine einstufige Herstellung denkbar. Verschmutzungen machen aber immer Probleme.

Prof. Dr. Mathias Seitz

Auch zur Umweltverträglichkeit des Prozesses lasse sich keine Aussage in den Ausführungen des Forschungsteams finden, bemängelt Vollmer. Matthias Seitz, Professor für Verfahrenstechnik und Technische Reaktionsführung an der Hochschule Merseburg, bemerkt zusätzlich, dass auch die Frage nach der Entsorgung der Nebenprodukte beantwortet werden müsse. "Der Katalysator verbraucht sich, die schweren Rückstände werden als Naphtha und Asphalt bezeichnet. Hier muss man davon ausgehen, dass der Asphalt entsorgt werden muss. Da nur der aromatische Anteil des Polystyrols recycelt wird, landen die Reststoffe im Naphtha." Der hohe Preis der Chemikalie Diphenylmethan entstehe unter anderem durch diesen hohen Reinigungsaufwand bei geringen Produktionsmengen. Dennoch seien Störstoffe, das Einbringen der UV-Strahlung und die geforderten Reinheiten der Produkte die Hauptprobleme bei der Methode, so Seitz.

Mülltonne mit leicht geöffnetem Deckel: Darin Müllsack und Styropor-Reste.
Ist unser Müll zu dreckig, dass sich kein Upcycling mehr lohnt? Bildrechte: imago images/Shotshop

Der Merseburger Professor bezweifelt außerdem, dass die Zahlen, so wie sie publiziert sind, wirklich schlüssig sein können. Gemäß der Berechnungen der Stoffmengen von Ausgangsstoffen und Produkten könne die angegebene Ausbeute rechnerisch nicht nur aus einem Kilogramm Polystyrol-Abfall stammen – insbesondere weil auch Nebenprodukte entstünden. "Die Reaktionen brauchen mehrere Stunden", ergänzt Seitz. Wolle man also tatsächlich große Mengen Polystyrol-Abfall auf diese Weise upcyceln, bräuchte man sehr große Anlagen. Doch das wäre nur unter der Annahme der großen Wertschöpfung wirtschaftlich darstellbar, erläutert Seitz. "Das bedeutet, dass das Verfahren bestenfalls ein Nischenverfahren für kleinere Mengen sein kann." Zumal der Müll in der Studie sehr sauber gewesen sein muss und im großen Maßstab wohl noch eine aufwändige Reinigung hinzukommen würde. Allerdings sei die Methode der Degradation unter den genannten Bedingungen tatsächlich interessant, so Seitz. Denn diese Kaskade sei neu und grundsätzlich sei auch eine Herstellung in nur einer Stufe vorstellbar.

Links/Studien

Zhen Xu et al.: Cascade degradation and upcycling of polystyrene waste to high-value chemicals. In: Proceedings of the National Academy of Sciences. https://dx.doi.org/10.1073/pnas.2203346119.

(kie)