Forschung am Alfred-Wegener-Institut Plastikverschmutzung in der Arktis so hoch wie im Rest der Welt
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07. April 2022, 12:06 Uhr
Von wegen unberührte Natur: Die globale "Plastikflut" hat mittlerweile auch die arktischen Regionen erreicht. Wie eine Studie des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) in Bremerhaven ergab, ist die Verschmutzung dort ähnlich groß wie in unseren Breiten – aber mit noch drastischeren Folgen.
Die Forschenden des AWI um Dr. Melanie Bergmann kommen in ihrer internationalen Übersichtsuntersuchung zu erschreckenden Ergebnissen. So fand sich in der teilweise fast menschenleeren Arktis ähnlich viel Plastikmüll wie in dicht besiedelten Regionen der Erde – und zwar in allen Lebensräumen, von den Stränden über die Wasseroberfläche bis hin zum Meeresgrund. "Unsere Forschungsergebnisse zeigen sogar, dass die Verschmutzung immer noch ansteigt", erklärt Bergmann.
An Strand auf Spitzbergen fast 100 Prozent Plastikmüll aus Fischerei gefunden
Die Plastikverschmutzung speist sich dabei aus mehreren Quellen. Zum einen wird über die Meereesströmungen viel Müll nach Norden transportiert. Dazu kommen mächtige Flüsse, etwa in Sibirien, die Zivilisationsabfälle aus dichter besiedelten Regionen in den arktischen Ozean spülen. Ein weiteres Problem bildet Mikroplastik, das über die Luft in die Arktis gelangt. Und schließlich sorgen auch die Menschen vor Ort, vor allem über die Fischerei, für eine Menge Plastikmüll – besonders durch Netze und Seile, die teilweise einfach im Meer entsorgt werden oder verlorengehen. Im europäischen Teil der Arktis ist der Anteil dieser Art der Verschmutzung am höchsten: An einem Strand auf der Insel Spitzbergen lag er laut der Studie bei annähernd 100 Prozent.
Doch wie wirkt sich der Plastikmüll in der Arktis am Ende auf die dortige Tier- und Pflanzenwelt aus? Bisher existieren nur wenige Untersuchungen zu dieser Frage. "Viel spricht jedoch dafür, dass die Folgen ähnlich gravierend sind wie in besser untersuchten Regionen: Auch in der Arktis verheddern sich viele Tiere – Eisbären, Robben, Rentiere und Meeresvögel – im Plastik und sterben", betont Melanie Bergmann. Das dort gefundene Mikroplastik führe wohl ebenfalls zu verringertem Wachstum und verringerter Fortpflanzung, zu physiologischem Stress und Entzündungsreaktionen im Gewebe von Meerestieren. Auch die Adern der Menschen durchflössen die Teilchen.
Arktis heizt sich dreimal schneller auf als Rest der Welt
Besonders viel Forschungsbedarf herrsche zudem bei der Wechselbeziehung zwischen Plastikmüll und Klimawandel, so die AWI-Expertin. Denn erste Studien lieferten Indizien dafür, dass eingeschlossenes Mikroplastik die Eigenschaften von Meereis und Schnee verändere. Viele dunkle Partikel im Eis könnten etwa dazu führen, dass es mehr Sonnenlicht absorbiert, es dadurch schneller schmilzt und letztlich die globale Erwärmung damit verstärkt wird. Dazu bilden Plastikteilchen in der Atmosphäre Kondensationskerne für Wolken und Regen und könnten so das Wetter und langfristig das Klima beeinflussen. Über die gesamte Produktionskette trägt Plastik außerdem zu 4,5 Prozent des globalen Treibhausgasausstoßes bei.
Die Auswirkungen dieser Entwicklungen sind in der Arktis möglicherweise noch gravierender als in anderen Weltregionen. "Denn die Arktis erhitzt sich im Zuge des Klimawandels drei Mal schneller als der Rest der Welt", erläutert Melanie Bergmann. "Die Plastikflut trifft also auf Ökosysteme, die ohnehin schon extrem belastet sind." Die im Februar auf der UN-Umweltkonferenz beschlossene Resolution für ein globales Plastikmüll-Abkommen ist laut Bergmann daher nur ein erster Schritt.
Bei den Verhandlungen in den nächsten zwei Jahren müssen wirksame, rechtsverbindliche Maßnahmen festgeschrieben werden, die auch Minderungsziele in der Plastikproduktion beinhalten.
cdi/awi
Links/Studien
Die Studie Bergmann et al.: "Plastic pollution in the Arctic" ist am 05.04.2022 im Fachjournal "Nature Reviews Earth & Environment" erschienen.