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MDR Wissen Podcasterin Daniela mit ihrer neuen Challenge: Ich werde Lehrerin! Bildrechte: MDR Wissen

"Meine Challenge"-PodcastSeiteneinsteiger – Rettung aus dem Lehrermangel?

13. September 2019, 16:19 Uhr

Pünktlich zum Start des neuen Schuljahres liegt das Thema wieder auf dem Tisch: Es fehlen Lehrkräfte an Deutschlands Schulen. Der Personalmangel soll in den kommenden Jahren sogar noch drastischer ausfallen als bisher angenommen. In vielen Bundesländern wird versucht, die Lücken mit Seiten- und Quereinsteigern zu füllen. Doch wie praktikabel ist dieser Lösungsansatz? Werden Schüler damit zu Versuchskaninchen einer verfehlten Planung gemacht?

Eigentlich müsste die Rechnung doch ganz einfach sein: Wird in Deutschland ein Kind geboren, dann braucht es sechs bis sieben Jahre später Schulunterricht – und für diesen Schulunterricht werden Lehrerinnen und Lehrer benötigt. Trotzdem überschlagen sich seit Jahren die Meldungen über immer größer werdende Löcher in den Personaldecken in den Lehrerzimmern. Aktuell zeigt beispielsweise eine Studie der Bertelsmann-Stiftung, dass der Mangel an Grundschul-Lehrkräften in den kommenden sechs Jahren deutlich gravierender ausfallen wird als erwartet: Der Erhebung zufolge fehlen bis 2025 an deutschen Grundschulen über 26.000 Lehrkräfte. Die Kultusministerkonferenz (KMK) ging im Oktober 2018 noch von einer Differenz von "nur" etwas über 15.000 Grundschullehrern aus.

Seiteneinsteiger: Fachpersonal ohne Lehramtsstudium

Um die Lücken im Lehrpersonal zu füllen, behelfen sich viele Bundesländer mit sogenannten Seiten- und Quereinsteigern: Menschen, die ein Nicht-Schulfach studiert oder aber einen akademischen Abschluss in einem Schulfach, jedoch kein Lehramtsstudium hinter sich haben.

Diese Menschen sollen motiviert werden, in den Schuldienst zu wechseln. In Sachsen durchlaufen sie dafür einen Vorbereitungskurs, in dem ihnen im Schnelldurchlauf pädagogische und didaktische Grundkenntnisse mitgegeben werden. Im Anschluss haben sie im Schuldienst einen Mentor an ihrer Seite und sind angehalten, parallel zum Job ein Teilzeitstudium zu absolvieren, an dessen Ende sie dann ebenfalls grundständig ausgebildete Pädagogen sind.

Seiteneinsteiger in Grundschule kaum zu verantworten

Doch reicht das? Der emeritierte Bildungsforscher Prof. Jörg Ramseger, der an der Freien Universität Berlin in der Erziehungswissenschaft gelehrt hat, glaubt: Nein. Gerade an den Grundschulen sei der Einsatz von Seiteneinsteigern nicht zu verantworten.

Es ist ein furchtbarer Notbehelf. Und man soll nicht glauben, dass wir damit die Probleme vom Tisch kriegen. Wir können damit allenfalls die Kinder staatlich bewachen lassen in der Schulzeit.

Prof. i.R. Jörg Ramseger

Ramseger befürchtet: Durch den Einsatz von Seiteneinsteigern komme es bei Grundschülern zu Defiziten im Erwerb von Lese-, Schreib- und Rechenkenntnissen, die im späteren Leben das Lernen erschwerten und um deren Behebung sich im Nachgang niemand kümmere.

"In den internationalen Leistungsvergleichsstudien werden wir weiter absinken. Und es werden insbesondere die Kinder darunter zu leiden haben, die im Elternhaus keinerlei Unterstützung bekommen."

Seiteneinsteiger-Anteil geht zurück

Beim sächsischen Landesamt für Schule und Bildung ist man sich des Notlösungs-Charakters der Seiteneinsteiger-Strategie durchaus bewusst. Allerdings, betont Sprecher Roman Schulz, ist der Anteil der Seiteneinsteiger am insgesamt neu eingestellten Lehrpersonal nach seinem Höhepunkt im Jahr 2017 – damals lag er bei rund 50 Prozent - inzwischen wieder deutlich zurückgegangen. Und er sieht in den Neuzugängen auch eine Chance: Schließlich brächten sie neue Einblicke und praktische Erfahrungen aus anderen Berufsfeldern mit ins Klassenzimmer. Auch habe man hier die Infrastruktur, um Seiteneinsteiger möglichst gut auf ihren neuen Job vorzubereiten, inzwischen deutlich verbessert.

Da der Seiteneinsteiger-Lösungsansatz noch verhältnismäßig jung ist, fehlt derzeit noch eine breite Studienlage etwa zu Auswirkungen des Einsatzes nicht grundständig ausgebildeter Pädagogen. Auch ausführliche Untersuchungen zur Frage, wie viele Seiteneinsteiger doch das Handtuch werfen und was die Gründe dafür sind, fehlen bislang. Beim sächsischen Landesamt für Schule und Bildung schätzt man, dass zwischen fünf und sechs Prozent der Seiteneinsteiger dem Lehrerpult früher oder später doch wieder den Rücken kehren.

Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL | 09. September 2019 | 08:00 Uhr

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