RUNDFUNK BERLIN-BRANDENBURG ARD Themenwoche 2016 - Zukunft der Arbeit Wie die "Zukunft der Arbeit" konkret aussehen könnte, erprobt der Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) zur ARD-Themenwoche mit dem Roboter Yolandi. Eine Woche lang, vom 30. Oktober bis 5. November 2016, übernimmt der Roboter Arbeiten im rbb.
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Grosse Fragen in Zehn Minuten Wie wird die Zukunft?

26. April 2021, 11:00 Uhr

Schon heute hat der Mensch unglaubliche Erkenntnisse und Errungenschaften hervorgebracht. Doch die Zukunft verspricht noch viel mehr. Wie wird unser Alltag dann aussehen? Wie leben, arbeiten und lieben wir? MDR Wissen Reporter Karsten Möbius hat zusammen mit Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen einen Blick in die Zukunft gewagt - und das mit ziemlich konkreten Aussichten.

Es ist ein Freitag, irgendwann im Jahr 2050. Der letzte Freitag im Monat. Der Tag, an dem die Sensoren in meinem Klo sämtliche Werte aus Urin und Stuhl registrieren. Dazu noch eine kleine Atemprobe. Denn nachdem klar war, dass Hunde Krankheiten riechen können, begann man die Atemluft nach Hinweisen auf Krankheiten zu untersuchen. Die Anfänge beschreibt Dr. Michael Scholles vom Fraunhofer Institut für Photonische Mikrosysteme Dresden:

Ein weit bekanntes Beispiel ist der Diabetes. Für eine echte Krankheitsdiagnostik konzentriert man sich im Moment aber eher auf eine Krebsfrüherkennung. Was naheliegt, ist Lungenkrebs. Aber auch andere Krebserkankungen führen zu Veränderungen der Zusammensetzung der Ausatemluft.

Dr. Michael Scholles, Fraunhofer Institut für Photonische Mikrosysteme Dresden

Nachdem die Werte da sind, ist die künstliche Intelligenz an der Reihe. Sie checkt ab, ob alles okay ist. Sie kennt mein komplettes Genom, hat Milliarden von Daten mit Krankheiten und Krankheitsverläufen abgeglichen und kann mittlerweile viel besser als ein Arzt meinen gesundheitlichen Zustand anhand der Werte beurteilen.

Das Spektrum an Krankheiten, die so erkannt werden können - zum Beispiel Alzheimer - , hat sich enorm erweitert. Künstliche Intelligenz hat dabei geholfen, dass neue Biomarker zur Früherkennung gefunden wurden, hat geholfen, dass neue wirksame chemische Verbindungen - also Arzneien - erkannt und entwickelt wurden und kann vorhersagen, welche Behandlung bei mir besonders gut oder gar nicht hilft.

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Gedanken steuern alles

Und schon habe ich ein leichtes Summen im Ohr. Mein Arzt meldet sich, wie immer, wenn die Werte bei ihm eingetroffen sind. Ich sehe ihn oben in der Ecke in meiner smarten Brille und gebe das Gespräch mit einem Gedanken frei. Nichts mehr klicken - nichts mehr in der Hand halten. Im Jahr 2050 funktioniert alles nur noch über Gedankensteuerung. Bilder werden über eine smarte Brille in mein Auge projiziert. So stellt sich Julia Schnitzer, Professorin für Digitale Medien an der Technischen Hochschule Brandenburg, die Zukunft vor:

Unser ganzer Computer, unsere Hardware hat noch sehr viel Verwandschaft mit der Schreibmaschine. Mein Szenario ist, dass wir künftig gar keine Hardware mehr benötigen, dass rein über Gedanken gesteuert wird.

Prof. Julia Schnitzer, Technischen Hochschule Brandenburg

Aktuell denkt Julia Schnitzer mit ihren Studenten bereits das Licht an und aus. Theoretisch ist mit Gedanken alles steuerbar.

Mein Arzt will mich also sprechen. Ich denke: Gespräch annehmen. Damit erscheint Dr. Sommer unmittelbar vor mir im weißen T-Shirt im Badezimmer - in 3D. Hologramm Kommunikation gibt es seit etwa 20 Jahren. Mit Einführung des 6G-Netzes im Jahr 2030 - unter anderem entwickelt von Prof. Wolfgang Kellerer, Kommunikationsnetzexperte an der TU München:

Und da kommen dann schon Anforderungen: Lasst uns doch holografisch kommunizieren. Was man jetzt nur von Science Fiction wie Raumschiff Enterprise kennt, das würde man dann unterstützen.

Prof. Wolfgang Kellerer, TU München

Datenraten von 1 Terrabyte pro Sekunde machen nicht nur das möglich.

Medizinische Operationen aus der Ferne möglich

Das schnelle Netz - 100 mal schneller als 5G - schafft es auch, davon geht Prof. Kellerer aus, dass man lange vor 2050 in der Fernkommunikation fühlen und tasten kann. Dr. Sommer, der Arzt meines Vertrauens aus Aschersleben, könnte mich also - selbst wenn ich im Urlaub in Bangkok verunglücke - fernoperieren.

Das heißt: Der, der operiert, muss natürlich spüren, der muss fühlen, wenn er gegen einen Widerstand stößt. Und diese Kraftrückkopplung braucht so eine extrem geringe Verzögerung, dass das überhaupt geht, dass man durch das Netz fühlen kann.

Die Gefahr, dass jemand die Datenverbindung Aschersleben-Bangkok hackt und mir einen dritten Arm anoperiert, ist relativ gering. Quantentechnolgie, die mittlerweile im Alltag angekommen ist, macht Datenverbindungen zumindest theoretisch absolut sicher. Die Kombination aus ultraschnellem Netz, künstlicher Intelligenz und Gedankensteuerung bietet den verrücktesten Anwendungen Raum. Julia Schnitzer beschreibt, dass wir auf intelligente Technologie in bisher ungeahnten Situationen zurückgreifen können:

Extrembergsteiger, Mount Everest: Sie klettern hoch und fragen sich, ob das der richtige Weg ist. Push. Mental Command, und dann zeigt es Ihnen auf der Projektionsebene, wo Sie genau hingreifen müssen, um als Bergsteiger oder Kletterer sicherer nach oben zu kommen.

Es ist egal, wo ich bin. Im Himalaya, in einer fremden Stadt oder bei mir zu Hause. Immer ist da etwas um mich herum, was mich versteht, mit dem ich kommunizieren kann wie mit einem Menschen. Besser noch: Ich kann denken und das virtuelle Etwas, die Rechenmaschine versteht mich. Die KI versteht mich besser als alle meine Freunde und ich mich selbst. Julia Schnitzer schildert Diskussionen, die sie mit Ihrem Ehemann hat:

Wenn wir uns streiten, dann sagt der: "Du verstehst mich einfach nicht!" Dann gehe ich hin: "Wäre doch jetzt schön, wenn es mich virtuell gäbe mit einer erweiterten Intelligenz, die dich so gut kennt auf der Faktenlage Deiner gesamten analysierbaren Persönlichkeit, dass sie Dir die Antwort liefert, von der Du Dich verstanden fühlst. Da hätte ich Sorge, dass Du Dich in meinen virtuellen Zwilling mehr verliebst als in mich als unperfekten physischen Mensch, der nie wirklich mit Dir verschmelzen kann.

Virtuelle Kommunikation über den Tod hinaus

Virtuelle Zwillinge werden im Jahr 2050 wahrscheinlich keine Besonderheit mehr sein. Es wird genug Bild- und Tondateien, Kommentare, Wortmeldungen und Profile von uns geben, mit denen künstliche Intelligenz Duplikate von Persönlichkeiten erstellen kann. Entweder ruft man sich den virtuellen Zwilling des besten Freundes zum Trösten oder Lachen - falls der echte mal keine Zeit hat - oder man trifft einen Verstorbenen, dessen Verlust man nur schwer verkraftet. So nach dem Motto: Was würde jetzt mein Vater dazu sagen. Ähnlich wie in Südkorea, wo eine Mutter im Jahr 2020 ihrer toten Tochter in der virtuellen Welt begegnete und mit ihr sprach.

Es wird wahrscheinlich auch demnächst in der Traumatherapie für Kinder eingesetzt werden können, die ihre Eltern verlieren. Dass sie die virtuellen Eltern treffen und mit Ihnen noch einmal über gewisse Dinge reden können. Wir wissen, dass, wenn wir uns vor den Spiegel stellen und morgens drei Mal künstlich lachen, das Endorphine ausschüttet. Und wir können mit physischen Tricks gewisse chemische Prozesse ansteuern oder auch elektrische Prozesse im Gehirn, unter anderem Schmerzbewältigung durch den Verlust des Partners.

Wenn künstliche Intelligenz dabei hilft, Personen zum Leben zu erwecken, ihre Persönlichkeiten nachzuahmen - so gut es das Datenmaterial zulässt - dann ist der Schritt nicht mehr weit zu unserem virtuellen Helfer, der uns mit Rat und Tat zu Seite steht, der uns zur Physiotherapie oder zu Operation rät, den wir fragen können, welcher Beruf am besten zu uns passt, ob uns unser Partner wirklich liebt oder wo der sicherste Weg nachts um 3 zum Hotel langführt. Dann ist der Schritt nicht mehr weit, dass wir diesen Helfer als unseren Freund oder unsere Freundin betrachten. In Japan, sagt Prof. Julia Schnitzer, gibt es Männer, die tatsächlich schon virtuelle Partnerinnen suchen und heiraten wollen:

Liebe wird einfacher werden. Gerade für introvertierte, schüchterne Menschen, die eigentlich Probleme haben, Gefühle zu artikulieren. Die künstliche Intelligenz kann viel schneller deren Daten auswerten und sie besser zurückspiegeln als der unperfekte Mensch. Das ist alles ein bisschen verrückt. Allein der Gedanke fällt schwer, dass meine Enkel einen Algorhytmus, eine komplizierte Rechenoperation heiraten könnten.

Prof. Julia Schnitzer

Terrorbekämpfung durch KI

Damit die Welt der Zukunft funktioniert - der Verkehr, die Produktion, die Medizin, das persönliche Leben - brauchen die digitale Technik und die künstliche Intelligenz unsere Daten. Je mehr von uns auf Festplatten oder wo auch immer gespeichert ist, desto besser kann sie uns helfen, uns unterstützen - kann sie uns unsere Wünsche von den Augen ablesen. Allerdings ist es vom "Wunsch von den Augen ablesen" bis zu Terrorbekämpfung nur ein kleiner Schritt - sagt Prof. Julia Schnitzer:

Im Moment wird überlegt, ob man KI verwenden kann, um Terroraktivitäten im Vorfeld auszuschließen. Gibt es zum Beispiel gegebenenfalls eine besondere Gesichtsanspannung eines Attentäters, kurz bevor er tätig wird, und die messbar werden kann, um im Vorfeld zu sehen, ob die Person gerade einen terroristischen Anschlag plant?

Solange sich die künstliche Intelligenz dabei nicht irrt, ist das gut. In jeder Hinsicht. Falls aber die KI die Anspannung vor einem Terroanschlag mit der Gesichts-Anspannung eines Unschuldigen mit Rückenschmerzen nicht auseinanderhalten kann, wäre das nicht gut. Genauso, wie es nicht gut wäre, wenn unsere Daten bei Monoplisten wie Amazon oder Google verschwinden würden; genauso, wie es nicht gut wäre, wenn alle Daten öffentlich wären. Dann könnten sie auch von der nächsten Regierung, möglicherweise einem autoritären Regime zu meinem Nachteil missbraucht werden, warnt Schnitzer:

Wenn das im Moment zusammenpasst, ist das schön. Aber stellen wir uns mal vor, in 10 Jahren ändert sich das und die Daten sind immer noch da. Dass ich in 210 Jahren plötzlich merke, in Deutschland ist grad eine Regierung am Start und die findet das, was jetzt im Moment kein Problem war, nämlich dass ich zum Beispiel Flüchtlingen geholfen habe oder gegen Atomkraft protestiert habe. Nehmen wir an, in 10 Jahren haben wir eine autoritäre Regierung, die uns verbietet, dieses oder jenes zu machen - und plötzlich komme ich nachträglich auf eine schwarze Liste.

Wissenschaftler sind sich einig - egal wie die Zukunft wird: Es ist ein Gebot der Stunde, jetzt Regelungen zu treffen, dass unsere Daten nutzbar und sicher zugleich sind. Damit das Heiraten eines virtuellen Charakters unser kleinstes Problem bleibt.

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