Politische Korrektheit "Wir bedienen rassistische Denkmuster und Sprechweisen"
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22. Juni 2020, 13:33 Uhr
Es gibt derzeit eine brandaktuelle Debatte um politische Korrektheit. Das fängt mit der Frage nach der richtigen Anrede an: Sind es KollegInnen oder nur Kollegen? Aber nicht nur dieses Thema gehört zur politischen Korrektheit dazu. Sondern auch unstrittige Dinge, wie rassistische Bemerkungen und Worte.
Dieser Beitrag fing einmal ganz anders an. Da kam - zwar als Zitat, aber eben im Wortlaut - das N-Wort vor und die Frage, ob man dieses benutzen dürfte. Und allein die Frage, ob oder ob nicht, ist rassistisch. Denn das N-Wort ist ein Begriff, der Menschen schwarzer Hautfarbe beleidigt. Es ist für diejenigen, die gemeint sind, herabwürdigend. Es zu sagen, gehört sich nicht und ist rassistisch.
Doch wenn wir uns schon drauf einigen, dieses Wort nicht mehr zu sagen, was hat das für Konsequenzen - und für wen? Müssen wir Kinderbücher umschreiben? Was ist mit Pippi Langstrumpf und ihrem Papa ? Und den zehn kleinen … Na, Sie wissen schon, welches Buch gemeint ist. Und darf man da noch einen N-Kuss bestellen?
Obwohl es zur "political correctness" gehört, weder das N-Wort noch Zigeunerschnitzel zu sagen, gibt es Menschen, die sich ganz bewusst dagegen entscheiden. Sie sagen es weiter. Und einer davon ist Sebastian. Er will anonym bleiben, denn: "Das ist ein sehr zweischneidiges Thema. Man muss aufpassen, was man sagt, wie man das meint oder wen man damit wirklich verletzen könnte. Denn ich bin eben auch der, der ein Zigeunerschnitzel bestellt. Ich finde, ich beleidige damit niemanden."
"Das ist im Sprachgebrauch mit rüber gekommen"
Doch das sehen viele Menschen anders. So auch der Linguist Simon Meier-Vieracker von der TU Dresden. "Es ist ein oft angeführtes Argument, dass dann diejenigen, die solche Worte verwenden, sagen: Ich meine die ja nicht beleidigend. Dass spielt aber überhaupt keine Rolle, was jemand einzelnes damit meint. Denn es verletzt die Betroffenen."
Ist das so?
"Das hieß schon immer Zigeunerschnitzel und ich würde es trotzdem immer so bestellen. Im Sprachgebrauch ist das ja so rüber gekommen. Meine Großeltern haben früher auch in der Kneipe ein Zigeunerschnitzel bestellt. Ich denke mal, dass das die Sinti und Roma nicht so stören würde."
Aber andere würde es stören, oder?
"Also ich finde das Berufen auf Traditionen ist immer ein ganz schlechtes Argument. Denn nur weil was immer falsch gemacht wurde, wird es dadurch nicht richtiger. Man muss diejenigen fragen, die sich diskriminiert fühlen. Und sie tun es. Egal in welchem Kontext", so Meier-Vieracker.
Altagsrassismus: Wie kleine Mückenstiche
Alice Hasters hat in ihrem Buch "Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten" ihre Erfahrungen mit Alltagsrassismus als schwarze Deutsche wie folgt beschrieben:
Diese kleinen Momente, sie wirken wie Mückenstiche. Kaum sichtbar, im Einzelnen auszuhalten, doch in schierer Summe wird der Schmerz unerträglich. Das können Angriffe oder Beleidigungen sein wie die Verwendung des N-Wortes oder Aussagen wie 'Wir sind hier in Deutschland'.
Wenn ich also beim Bäcker einen N-Kuss bestelle oder im Restaurant ein Zigeunerschnitzel: Bin ich dann ein Rassist? "Sie müssen sich schon die Frage gefallen lassen, ob Sie damit nicht eine rassistische Stereotype bedienen. Das wir rassistische Denkmuster, Sprechweisen, bedienen - das ist eine Kritik, die wir uns anhören müssen, wenn wir Interesse daran haben, in einer diskriminierungsfreien Gesellschaft zu leben", erklärt Meier-Vieracker.
Rassismus ist schon lange in unserer Gesellschaft
Für den Geisteswissenschaftler fängt eine diskriminierungsfreie Gesellschaft bei der Sprache an. Schon der Philosoph Ludwig Wittgenstein sagte: Sprache und Denken sind unauflösbar miteinander verbunden. Eine Verrohung der Sprache, sie geht mit der Verrohung der Gedanken einher - und umgedreht.
Dazu schreibt Alice Hasters in ihrem Buch:
Rassismus: Er ist schon so lang und so massiv in unserer Geschichte, unserer Kultur und unserer Sprache verankert, hat unsere Weltsicht so sehr geprägt, dass wir gar nicht anders können, als in unserer heutigen Welt rassistische Denkmuster zu entwickeln.
63 Prozent: "Zu viele ungeschriebene Gesetze"
Die "politische Korrektheit" ist der Gegenentwurf zur Verrohung. Zum ersten Mal tauchte der Begriff in den 1980er-Jahren in den USA auf. Studenten forderten damals, nicht nur Bücher von "toten, weißen, europäischen Männer" zu lesen, sondern auch von weiblichen, außereuropäischen AutorInnen. Außerdem forderten sie Sprachkodizes. Konkret verbirgt sich dahinter die Einstellung, alle Ausdrucksweisen und Handlungen zu vermeiden, durch die sich jemand diskriminiert oder beleidigt fühlt.
Seit einigen Jahren wird der Begriff der "politischen Korrektheit" von seinen Gegnern als Zensur und Einschränkung der Redefreiheit zurückgewiesen. 2019 hat das Institut für Demoskopie Allensbach erhoben, dass 41 Prozent der Deutschen "political correctness" übertrieben finden. 63 Prozent meinen, es gebe "zu viele ungeschriebene Gesetze, welche Meinungen akzeptabel und welche tabu sind". 59 Prozent finden außerdem, man könnte sich eigentlich nur noch unter Freunden "frei äußern".
Politische Korrektheit bereits tief in Gesellschaft verankert
Doch die "politische Korrektheit" geht noch viel weiter - meint Sebastian. Sie sei bereits tief in unserem Alltag verankert. "Der eine schreibt 'Sehr geehrte Damen und Herren' und der andere schreibt eben das mit dem Gender-Sternchen. Und da weiß man schon: Ok, alles klar. Ich hab damit kein Problem. Aber es muss auch nicht sein", meint der junge Mann. "Oder das Thema Türe aufhalten. Darf ich's nun? Oder darf ich's nicht? Ich weiß es nicht mit Sicherheit. Darf man das nun heute noch machen? Oder darf man sich unter Kollegen sagen: 'Du siehst aber heute besser aus als gestern'. Darf man das?"
Die Diktatur hat einen neuen Namen, die Political Correctness, sie ist die Herrschaft der Minderheiten über die Mehrheit.
Schwierig, sagt Meier-Vieracker aus Dresden. "Wir alle haben den Anspruch, als Person geachtet zu werden, für das was wir tun, für das was wir sind. Und wenn diesem Anspruch nicht entsprochen wird, ist es beleidigend. Und das kann ganz unterschiedlich ausfallen. Es ist aber immer so, dass eine Beleidigung dann eine ist, wenn sie als solche wahrgenommen wird." Sebastian findet das sehr übertrieben. In Worte werde heute viel mehr Bedeutung rein interpretiert als früher. "Befremdlich finde ich daran, dass eine gewisse Bevormundung stattfindet, dass man in seinem Denken und Handeln eingeschränkt wird und man aufpassen muss, was man sagen darf."
"Wir sind nicht bereit, auf unsere Privilegien zu verzichten"
Und genau da beginnt das Problem, so der Linguist Meier-Vieracker. "Das Menschen bereit sind, genau das nicht zu sehen, hängt auch damit zusammen, dass sie nicht bereit sind, auf ihre Privilegien zu verzichten, die sie so gerne für sich in Anspruch nehmen. Einfach selber die Regeln bestimmen zu dürfen, wie was aufgeschnappt werden muss. Was ist beleidigend und was nicht. Das bestimmen wir und nicht die anderen."
Damit sind wir auch schon wieder beim Anfang: Darf man oder darf man nicht heute noch das N-Wort sagen? Für den Linguisten Meier-Vieracker nicht, denn es bedient rassistische Stereotypen. Aus Sebastians Sicht darf man es weiter sagen. Es würde niemanden beleidigen. Doch das sehen die, die betroffen sind, ganz anders. So wie Hasters:
Wer vermeidet, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, kann sich immer mit unschuldiger Unwissenheit herausreden. Nur, weil man sich nie bewusst Gedanken über Herkunft, Hautfarbe und Identität gemacht hat, läuft man nicht vorurteilsfrei durch die Gegend. Man bemerkt bloß nicht, dass man diese Vorurteile hat. All diese Verhaltensmuster tragen dazu bei, das rassistische System aufrechtzuerhalten.
Über dieses Thema berichtet der MDR auch im Radio: MDR Kultur - Das Radio | 15. Juni 2020 | 12:00 Uhr
pwsksk vor 7 Tagen
@CS, ich gebe Ihnen vollumfänglich recht.
Scheinbar will man ihr Geschriebenes nicht verstehen.
Ich hatte neulich einen Menschen mit schwarzer Hautfarbe zum Service des Flüssiggastankbehälters auf unserem Grundstück. 😁
Ich bot ihm gern Frühstück und Kaffee an. Auf die Frage "Kaffee schwarz?" mußten wir alle laut loslachen. Wir hatten genau "das Thema". Es machte ihm aber richtig Spaß, weil...
Constanzia am 02.04.2023
Mein Sohn ist 24 und leidenschaftlicher Feminist. Er und seine Freundin gehen ob ihrer "radikalen" Ansichten vielen in der Familie auf den Geist! Ich habe so viel im Gespräch mit den beiden dazugelernt und freue mich über eine kommende Generation, die mehr will als nur gut Aussehen und Statussymbole zur Schau tragen!
Ich musste lernen, mir sagen zu lassen, daß manche Dinge die ich sage nicht so gemeint aber für viele andere Menschen nicht in Ordnung sind!
Es ist nicht einfach, da sich die Welt grade sehr schnell dreht und neue Erkenntnisse plötzlich schon wieder veraltet sind aber ich bin gerne bereit zu lernen und zu versuchen diese Welt für alle lebenswerter zu machen.
Sprache ist dabei ein wichtiger Baustein!
Makna am 02.11.2021
Die meisten Menschen mögen es, wenn man ihren Ansichten zustimmt, Hinterfragung und Kritik sind selten willkommen. Das stößt leider oft ganz automatisch auf Ablehnung. Das weiss ich von mir selbst und meinem Freundeskreis.
Manchmal denkt man später noch einmal in Ruhe darüber nach, wenn man klug ist. Denn man kann auch von anderen lernen- von wem sonst?