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Die Welt in unseren Händen: Dirk Gratzel will sie durch seine Existenz nicht belasten. Bildrechte: Colourbox

Projekt Green ZeroZum ersten Mal berechnet: Die Ökobilanz eines einzelnen Menschen

13. August 2020, 14:23 Uhr

CO2, Ozon, Nitrate: Wissenschaftler sind sich einig, dass diese umweltschädlichen Stoffe reduziert werden müssen - in der Industrie und im alltäglichen Leben. Doch meistens wird bei diesen Themen von großen Maßstäben geredet, von Durchschnittswerten oder besonders heftigen CO2-Schleudern. Aber wer von uns weiß denn genau, wieviel CO2 sie oder er als Individuum produziert? Ein Unternehmer aus Aachen wollte genau das für sich wissen und hat seine Ökobilanz mithilfe der TU Berlin durchgerechnet.

von Jessica Brautzsch

Es war 2016, als der Unternehmer Dirk Gratzel beschloss, er möchte, wenn er stirbt, keine ökologischen Schulden hinterlassen. Die Welt sollte also seinetwegen nicht durch ein Mehr an CO2 und Co. belastet sein. Doch schnell kam die Ernüchterung: Denn weder Google noch diverse Umweltvereine konnten ihm sagen, wie ihm das gelingen könnte.

Also schrieb Gratzel schließlich eine E-Mail an die Technische Universität Berlin. Genauer gesagt an Prof. Dr. Matthias Finkbeiner aus dem Fachgebiet Sustainable Engineering. "Ich fand das auch ein verrücktes, interessantes Anliegen", erinnert sich Finkbeiner. Er habe sich dann gedacht, das müsse er sich anhören. "Und so sind wir dann zusammengekommen."

Dokumentation eines Lebens

Der Unternehmer aus Nordrhein-Westfalen bekam zunächst die Aufgabe, sein Leben penibel zu dokumentieren. Was aß er und wo kam es her? Wie wohnt er und wie heizt er? Was besitzt er? Wo und wie wurden diese Dinge produziert? Wie lange nutzt er sie schon? Vom Auto bis zur letzten Unterhose hat er alles notiert.

Doch das war nur die halbe Arbeit. Denn schließlich hatte Gratzel zu dem Zeitpunkt schon über 50 Jahre gelebt und viele Dinge gekauft und verbraucht. Also auch "ökologische Schulden" angehäuft, sagt Professor Matthias Finkbeiner:

Und das wird natürlich schon schwierig. Bei manchen Dingen wie den Autos konnte er sich ganz gut erinnern. Aber natürlich nicht an jedes Detail. Wir haben eben versucht so gut wie möglich seine Vergangenheit zu rekonstruieren.

Prof. Dr. Matthias Finkbeiner, TU Berlin

Diese Erhebung stellte die Wissenschaftler nicht nur wegen der Masse an Daten vor besondere Herausforderungen. Denn so eine Berechnung war noch nie zuvor gemacht worden. Welche Faktoren sollten also berücksichtigt werden, welche nicht? Und so merkt Finkbeiner an: "Wenn Sie ganz in die Kindheit zurückgehen, nehmen Sie mal ihre ersten ein bis zwei Lebensjahre: Da treffen Sie ja nicht die Konsumentscheidung, sondern die treffen ja Ihre Eltern." Und da sei die Frage gewesen: "Rechnen wir ihm seine Kindheit an? Und die Umweltbelastung seiner Kinder auch ihm? Oder wird das jeweils den Eltern angelastet?"

27 Tonnen CO2 pro Jahr

Die Wissenschaftler untersuchten das Lebensinventar von Dirk Gratzel auf verschiedene Umweltparameter wie Klimawandel, Versauerung von Gewässern oder Smog. Eines der Ergebnisse: Gratzel war für jährlich 27 Tonnen CO2 verantwortlich. Ein enormer Wert. Der Weltklimarat empfiehlt eine CO2-Emission von gerade mal zwei Tonnen pro Kopf und Jahr. Gleichzeitig war Gratzels Wert dreimal so hoch wie der des Durchschnittsdeutschen.

In seinen 50 Lebensjahren waren es insgesamt 1.147 Tonnen CO2. Jetzt wusste er, wie hoch seine ökologischen Schulden sind. Der nächste Schritt war für ihn, seinen Jahreswert zu reduzieren, erklärt Finkbeiner.

Und da hat er über 60 Maßnahmen umgesetzt, also sein Leben ziemlich drastisch umgestellt. Und die meisten Umweltwirkungen konnte er um 60 Prozent reduzieren. Und das ist schon eine Menge.

Prof. Dr. Matthias Finkbeiner, TU Berlin

Doch für sein Hauptziel - die Schulden wieder abzubauen - gibt es überraschend wenige Lösungsansätze. Unter anderem an diesem Punkt setzen die nächsten Forschungen an: Wie können verursachte ökologische Schäden wiedergutgemacht werden? Wie kann Kompensation gelingen? Denn obwohl wir so viel über die Schäden wissen, die wir anrichten, ist das Thema Wiedergutmachung noch wissenschaftliches Neuland.

Aus dem Projekt ist auch ein Buch entstanden:Dirk Gratzel, mit einem Vorwort von Eckart von Hirschhausen,
Projekt Green Zero. Können wir klimaneutral leben? Mein konsequenter Weg zu einer ausgeglichenen Ökobilanz,
Verlag Ludwig, 256 Seiten, 18 Euro

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