Eine Person, die mit einem Kopftuch verhüllt ist, befindet sich in einem brennenden Gebäude.
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Wissen-News Materielle Missstände sind Nährboden für Extremismus

13. März 2025, 16:37 Uhr

Materielle Missstände – insbesondere hohe Jugendarbeitslosigkeit – bilden weit stärker als religiöse oder politische Überzeugungen den Nährboden für Extremismus. Zu diesem Ergebnis kommt eine großangelegte internationale Studie unter Beteiligung von Forschern aus Leipzig, die vor allem muslimisch geprägte Länder untersuchte.

Eine Forschungsgruppe unter Beteiligung des "Research Centre Global Dynamics" der Universität Leipzig hat in 17 Ländern der Balkanregion, des Nahen Ostens, Nordafrikas und in der Sahelzone lokale und strukturelle Faktoren untersucht, die extremistische Radikalisierung begünstigen.

Bei ihren Studien im Zeitraum von 2020 bis 2023 fanden die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler heraus, dass das Vertrauen in lokale Kontrollbehörden und der soziale Zusammenhalt eine entscheidende Rolle dabei spielen, extremistische Entwicklungen zu verhindern. Westliche Militärinterventionen und Eingriffe in souveräne regionale Strukturen wirkten dagegen oftmals kontraproduktiv und könnten sogar zu einer Verstärkung des extremistischen Diskurses beitragen.

Wirtschaftliche Anreize für die Zukunft schaffen

"Aus dem Projekt haben wir viel über die Rolle sozioökonomischer Faktoren gelernt, die entweder Radikalisierung begünstigen oder zu ihrer Eindämmung beitragen können. Wo es gelingt, Perspektiven zu schaffen – ob durch staatliche Strukturen, EU-Förderprogramme oder andere internationale Akteure – entstehen wirtschaftliche Anreize für die Zukunft", sagt Gilad Ben-Nun vom "Global und European Studies Institute" der Universität Leipzig, der Mitherausgeber der Open-Access-Veröffentlichung ist.

Das könnten etwa Arbeitsplätze, Infrastrukturprojekte oder umfangreiche Investitionen sein. So erhielten Menschen eine Perspektive, statt in das Gefühl abzurutschen, nichts mehr zu verlieren zu haben. Das wiederum könne durch extremistische Einflüsse, beispielsweise islamistische Gewalt, noch verstärkt werden. Auch Fortbildungen für Lehrkräfte, Sozialarbeiter und lokale Sicherheitskräfte tragen nach Ansicht der Forschungsgruppe dazu bei, Gefährdungen rechtzeitig zu erkennen.

Einbindung von Würdenträgern wichtig

Lokale Religionsführer wie Imame oder traditionelle Würdenträger wurden aktiv in die Forschungen eingebunden, da diese Vertrauen in der Gemeinschaft genießen und extremistische Einflüsse schneller erkennen. Auf diese Weise konnten tiefgehende Einblicke in lokale Lebensbedingungen, Perspektiven und Widerstandsstrategien gewonnen werden. Beobachtungen vor Ort trugen ebenso zur Erkenntnisgewinnung bei. In jedem Land waren auch lokale Forscherinnen und Forscher direkt beteiligt. So gelang es den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern nach eigener Aussage, einen tiefen Einblick in die regionalen Besonderheiten zu gewinnen.

Das Autorenteam betont, dass zukünftige Maßnahmen vor allem darauf abzielen sollten, strukturelle und wirtschaftliche Ursachen anzugehen sowie das Vertrauen in lokal verankerte Institutionen zu stärken. Insbesondere im Umgang mit muslimisch geprägten Gesellschaften sei die Kooperation mit anerkannten religiösen Autoritäten von zentraler Bedeutung, um nachhaltige Lösungen zu entwickeln.

Links / Studien

Die Open-Access-Studie "Resisting Radicalization: Exploring the Nonoccurrence of Violent Extremism" ist bei Lynne Rienner Publishers erschienen.

(rr, pm)

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Exakt | 12. März 2025 | 21:26 Uhr

8 Kommentare

MDR-Team vor 2 Tagen

Hallo @part,
die Lage in Syrien ist komplex und wird von internationalen Medien regelmäßig thematisiert. Berichte über Gewalt gegen Minderheiten sind erschreckend und verdienen Aufmerksamkeit. Auch deutsche Medien berichten über die Situation, wenn auch mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung. Eine umfassende Berichterstattung bleibt wichtig.
Herzliche Grüße

part vor 2 Tagen

Der Extremismus findet gerade wieder in Syrien statt, mit der Jagt auf Minderheiten durch ein neues Regime, das auch mit westlichen Steuergeldern und politischer durch Regierungen und Parteien alimentiert wurde, auch aus Deutschland. Die Presselandschaft in D versuch das Problem totzuschweigen oder zu verharmlosen, dabei berichtet die internationale Presse mit schrecklichen Bildern vom Geschehen. Sind über 5000 Getötete, ob Männer, Frauen und Kinder nicht ausreichend, um darüber neutral berichten zu können?

MDR-Team vor 2 Tagen

Hallo nasowasaberauch,

Fluchtbewegungen entstehen durch Krieg, politische Verfolgung und wirtschaftliche Not. Externe Eingriffe können Konflikte verschärfen, aber oft sind autokratische Regime oder Bürgerkriege die Hauptursachen. Viele Menschen fliehen nicht vor westlicher Einflussnahme, sondern vor repressiven Regimen oder terroristischen Gruppen.

Unüberlegte externe Eingriffe können negative Folgen haben, aber nicht jede internationale Einflussnahme ist ein „demokratischer Imperialismus“. Stabilität und Entwicklung erfordern eine Balance zwischen Eigenverantwortung und internationaler Unterstützung, ohne dabei die Menschenrechte zu ignorieren.

- Das MDR WISSEN Team