Sprache und Handeln Wann werden aus Worten Taten?
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18. September 2024, 13:02 Uhr
Wie beeinflusst Sprache unser Handeln? Wann werden aus Worten Taten? Und ist das immer beabsichtigt? Oder nur in der Politik oder der Wirtschaft? Die Antwort ist gleichzeitig einfach und kompliziert.
Wenn Worte der/des Einen zu Taten der/des Anderen werden, dann ist das kein Automatismus, kein 1:1. "Das muss man individuell anschauen", sagt der Linguistiker, also jemand, der sich mit der Wissenschaft der Sprache beschäftigt. Und das ist in diesem Fall Friedemann Vogel, Sozio- und Diskurslinguistiker und Professor an der Universität Siegen.
Manchmal zeigt sich dann – ganz individuell –, dass es sehr schnell gehen kann. Erinnern Sie sich einfach an den Abend des 9. November 1989, Günter Schabowskis legendäre Worte: "Das tritt … nach meiner Kenntnis ist das sofort, unverzüglich." Was dann folgte, ist Geschichte.
Im politischen Alltag sieht das ein wenig anders aus. Da ist zwar jedes Wort abgewogen, aber "man kann nicht automatisch sagen, dass diese und jene Rhetorik zu dem Fall geführt hat, sie kann beigetragen haben", sagt Linguistiker Vogel im Gespräch über die Folgen politscher Auseinandersetzungen, ganz konkret die Gewalt gegen Politiker wie im Landtagswahlkampf in Sachsen oder das Attentat auf Donald Trump.
Wenn verbale zu realer Gewalt wird
Um zu zeigen, wie solche Mechanismen funktionieren, verweist Vogel auf einen Fall aus der deutschen Geschichte: Rudi Dutschke, auf den erwiesenermaßen ein Anschlag verübt wurde in Folge einer öffentlichen Kampagne gegen ihn, so Vogel. "Allerdings hat nicht die Kampagne unmittelbar den Anschlag verübt, sondern sie hat die Bereitschaft für nonverbale Gewalt gegen eine bestimmte Person in den Bereich des Handlungsmöglichen verschoben."
Und obwohl es keinen Automatismus, keinen 1:1 Zusammenhang zwischen Sprache und Handeln gibt, zeigt die Menschheitsgeschichte zumindest eine verhängnisvolle Kombination von Sprache, Denken und dann auch Handeln. Es ist eine Kombination, die immer mit großen Katastrophen und Tragödien einhergeht, mit der Sklaverei, der Bartholomäusnacht, der Ausrottung indigener Völker, dem Völkermord in Ruanda, dem Holocaust, dem zweiten Weltkrieg: Alle diese Katastrophen hatten auch eine Gemeinsamkeit in der Sprache, sagt Vogel: "Wir können schon in der Tendenz sagen, wo immer wir von Individuen in pauschalisierender und abwertender Weise sprechen, umso größer wird das Risiko, diese Personengruppen zunächst verbaler und dann auch nonverbaler Gewalt auszuliefern."
Immer, wo ich Personen oder Kollektiven graduell oder komplett das Menschsein abspreche, das sind ganz explizite oder implizite Gewaltaufrufe.
Wer trägt die Verantwortung, wenn Worte zu Taten werden?
Sind sich Politiker dessen bewusst? Wenn Politiker reden, dann wird das "selten bis nie dem Zufall überlassen", sagt Vogel, wir können "von planvoller Kommunikation ausgehen". Framing in der Politik, Hate Speech im Netz, das alles hinterlässt Wirkungen. "Wenn wir heute Politiker schulen müssten", sagt Friedemann Pulvermüller, Professor für Neurowissenschaft der Sprache an der Freien Universität in Berlin, in der MDR Wissen Doku "Vom Wort zur Tat", "dann müssten wir ihnen sagen, dass sie mit ihren Worten Handlungsszenarien entwerfen!" Diejenigen, die solche Handlungsszenarien verbreiten, träfe so eine Mitschuld, wenn aus ihren Sprachbildern reale Gewalt wird.
Gilt das auch für uns alle? Für unseren täglichen Umgang mit der Sprache? Nur bedingt, so Sprachforscher Vogel. "Dem müssten wir mal eine ordentlich draufgeben! Oder: Dass die noch frei rumlaufen!", solche Sätze hören und sagen wir, das ist unstrittig. Aber "daraus entstehen keine Mordanschläge oder dergleichen. Das ist eben Alltagssprachgebrauch, der anders gemeint ist".
km