Wir wären antriebslos und ohne Kreativität. Wahrscheinlich würde es die Menschheit gar nicht mehr geben, ohne die Hoffnung! 11 min
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Wir wären antriebslos und ohne Kreativität. Wahrscheinlich würde es die Menschheit gar nicht mehr geben, ohne die Hoffnung!

MDR Mi 30.04.2025 12:00Uhr 10:58 min

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Große Fragen in 10 Minuten Warum stirbt die Hoffnung zuletzt?

02. Mai 2025, 15:13 Uhr

"Die Hoffnung stirbt zuletzt" – eine Redensart, die uns relativ schnell über die Lippen geht. Gerade in unsicheren, ungewissen und düsteren Zeiten. Immer wieder merken wir aber, dass das eben nicht nur ein Spruch ist, sondern dass da etwas dran sein muss. Ob wir nun schwer krank sind, uns in ausweglosen Situationen befinden oder wir weder ein noch aus wissen – wir glauben daran, dass es schon irgendwie weitergehen wird. Doch ist die Hoffnung tatsächlich das Letzte, das stirbt?

MDR Wissen Redakteur Karten Möbius
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Hoffnung inmitten eines stählernen Sargs

12. August 2000: Die Kursk, eines der modernsten und größten U-Boote der Welt und der Stolz der russischen Marine sinkt nach einer Explosion rund 180 Kilometer nördlich von Murmansk auf 108 Meter Tiefe. 118 Seeleute verlieren schließlich auf dem Grund der Barentssee im Nordpolarmeer ihr Leben – wobei zunächst ein paar von ihnen, eingeschlossen in einem stählernen Sarg, in der Stille, der Dunkelheit, der Kälte und der Enge des U-Boots noch leben. So schreibt Kapitänleutnants Dimitrij Kolesnikow in einem letzten Brief:

"Es ist zu dunkel zum Schreiben, aber ich werde es nach Gefühl versuchen. Es scheint, als gäbe es keine Chance, 10 bis 20 Prozent. Hoffen wir, dass wenigstens jemand dies lesen wird. Grüße an alle, kein Grund zur Verzweiflung."

"Kein Grund zur Verzweiflung", was für ein Spruch in solch einer Situation?! Doch welche Rolle spielt Hoffnung in unserem Leben? Und warum glauben wir, dass die Hoffnung zuletzt stirbt?

Hoffnung durchdringt den ganzen Menschen

Was genau ist diese Hoffnung eigentlich? – Ist sie eine Art Gefühl? Eine Art Wunsch, eine Spielart der Illusion? Oder ist sie eine Art zu denken, eine Strategie?

"Die Hoffnung ist eine bestimmte Haltung zur Zukunft. Dass man anerkennt, dass die Zukunft offen ist, man in ihr noch Möglichkeiten erkennen kann", sagt Giovanni Maio, Philosoph und Professor für Medizinethik an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau.

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Doch wo kommt sie her, die Hoffnung? Könnte es nicht sein, dass sie in unserem Gehirn ein bestimmtes Areal hat, aus dem sie hervorkrabbelt, aus dem sie sich in unsere Gedanken schleicht und uns infiziert, ohne dass wir uns wehren können? Und dass sie Verbündete hat, beispielsweise Hormone, die ja auch Glück, Zuversicht und Traurigkeit steuern können?

"Das ist zu mechanistisch gedacht", winkt Maio ab. "Denn die Hoffnung ist etwas, was den ganzen Menschen durchdringt, ohne dass wir das genau konkretisieren könnten. Das ist das Spezifische der Hoffnung. Das ist nicht nur ein Fokus auf etwas, sondern das ist eine Gesamtbestimmtheit des Menschen, im Grunde eine Einstellung zur Welt."

Gefühl schlägt Verstand

Auch wenn wir die Hoffnung im Menschen nicht mit einem Ort im Gehirn in Verbindung bringen können, so löst sie ja vielleicht Prozesse in unserem Körper aus, deren Abläufe wir sehr wohl nachvollziehen können. Denn beim Hoffen wird beispielsweise das Belohnungssystem im Gehirn aktiviert – das Hoffen ist mit Glücksgefühlen verbunden und das Glückshormon Dopamin spielt dabei eine entscheidende Rolle.

Der hoffende Mensch ist derjenige, der im Bangen eine Gelöstheit empfindet.

Giovanni Maio, Professor für Medizinethik, Universität Freiburg i. Br.

Das würde wiederum erklären, warum Hoffnung oft stärker ist als der Verstand. Menschen mit schweren Erkrankungen klammern sich oft an jede noch so geringe Überlebenschance. Und so glaubt man, dass Hoffnung und Zuversicht die Heilungschancen beeinflussen – vielleicht, weil Hoffnung unter anderem auch das Immunsystem stärkt.

Hoffnung gibt es in klein und in groß

Dabei gibt es auch nicht DIE Hoffnung schlechthin. Hoffnung zeigt sich in unterschiedlichsten Facetten, erklärt Maio am Beispiel einer schweren Krankheit: "Wir müssen nämlich unterscheiden zwischen der ganz konkreten, der praktischen Hoffnung: Patienten hoffen, dass die Medikamente ansprechen, dass es vielleicht eine Heilung gibt. So beginnt man erst einmal zu hoffen."

Und dann gibt es die große Hoffnung, jenseits aller konkreten Wünsche. Das ist die Hoffnung, dass sich doch noch alles irgendwie hinbiegen wird, egal wie beschissen die Welt da draußen gerade auch immer ist – zwischen Krebs, Kriegen und Klimawandel. "Dort, wo die Medikamente nicht ansprechen, dann fängt man erst an richtig zu hoffen. Weil man dann hofft, dass ich dennoch eine gute Zeit haben werde, dass nicht alles vergeblich war. Dass mein Leben nicht sinnlos werden wird."

Vorsicht, Hoffnungsfalle!

Doch Hoffnung kann auch zerstörerisch sein und Menschen in die Verzweiflung treiben, so der Medizinethiker. Besonders die "kleine" Hoffnung kann dabei zur Falle für uns werden: "Menschen, die sagen 'Ich kann nur dann glücklich werden, wenn das und das passiert, wenn ich das und das bekomme, nur dann bin ich glücklich' – diese Menschen sind ganz nah an der Hoffnungslosigkeit und dadurch ganz nah an der Verzweiflung, weil sie nur etwas ganz Konkretes von der Zukunft erwarten."

Sind wir etwa unsterblich in jemanden verliebt, aber diese Person erwidert unsere Liebe nicht, kann das dazu führen, dass wenn wir diese Hoffnung nicht fahren lassen, wir niemals glücklich werden, uns niemals dazu aufmachen werden eine andere, neue Liebe zu finden und wir nicht in der Lage sein werden uns irgendwann jemand anderem hinzugeben.

Die Lösung: "Man kann lernen, sich nicht auf eine bestimmte Zukunft zu kaprizieren. Man kann lernen offen zu bleiben. Und dass, selbst wenn es nicht so wird wie ich gehofft habe, dass dadurch mein Glück nicht zerstört werden wird", rät Maio. "Das ist die innere Einstellung, die wir brauchen."

Optimismus und Hoffnung sind nicht das gleiche

Hoffnung hat also nichts mit bedingungslosem Optimismus zu tun, erklärt der Philosoph und Medizinethiker. "Der Optimist, der denkt gar nicht dran, dass es auch schlecht ausgehen könnte. Der blendet das einfach aus. Und geht davon aus, es wird schon gut."

Die Hoffnung wiederum ist in allererster Linie vernunftorientiert und der Hoffende selbst setzt einen klaren Blick auf die Zukunft: "Der Hoffende weiß um die Zukunft, die er nicht festzurren kann. Insofern rechnet er damit, dass sie auch schlecht ausgehen könnte. Aber er bleibt dabei nicht stehen und sagt sich, dass es selbst dann immer noch Möglichkeiten geben wird, daraus etwas Gutes zu machen. Der hoffende Mensch lässt Zukunft zu und ist davon überzeugt, dass es nichts Sinnloses gibt, auch in der Widrigkeit nicht."

Genau das macht die Hoffnung so wichtig und wertvoll für uns Menschen. Sie lässt uns Gefahren widerstehen, nur durch sie halten wir Dinge aus und durchstehen sie, ohne dabei zu verzweifeln.

Wenn wir keine Hoffnung hätten, würden wir uns einfach verkriechen. Wir würden uns zurückziehen und vollkommen isoliert alles liegenlassen.

Giovanni Maio, Professor für Medizinethik, Universität Freiburg i. Br.

Und wahrscheinlich gäbe es ohne Hoffnung auch die Menschheit gar nicht mehr. Vielleicht gibt es uns nur, weil unsere Vorfahren nicht aufgegeben haben, als Dürren, Seuchen, Hungersnöte und Katastrophen ganze Gemeinschaften dahinrafften.

Neugier und Hoffnung lassen uns die Welt verändern

Und die Hoffnung hat noch einen Kompagnon, mit dem sie zusammen ein sensationelles Paar abgibt: die Neugier. Denn Kolumbus wäre wahrscheinlich nie zu seinen Entdeckungsreisen aufgebrochen, wenn er einfach nur neugierig gewesen wäre, was da hinter dem Horizont ist. Er hat auch immer gehofft, dass da was ist.

"Je hoffender ein Mensch ist, desto kreativer, phantasievoller geht er auf die Zukunft zu und das ist ganz sicher das Rettende am Menschen. Sonst hätte er auch keine Technik entwickelt, auch keine Kunst, keine Literatur. Der hoffende Mensch hat einen realen Blick auf die Welt und zugleich Zukunftsvisionen", so Maio. "Und diese Zukunft sich auszumalen – und mag sie noch so ungedeckt sein – die verleiht dem Menschen Gestaltungskraft. Und dadurch verändert er die Welt."

Denkt man das zu Ende, dann ist Hoffnung letztlich das Motiv von allem. Die Kraft, die uns dazu bringt, Dinge zu tun. Kein Wunder, dass die Natur es so eingerichtet hat, dass die Hoffnung offenbar wirklich zuletzt stirbt. Sie scheint allem – egal wo und wie – noch einen Sinn zu geben, bestätigt auch Medizinethiker Giovanni Maio: "In der Tat hat Hoffnung damit zu tun, dass man eine Sinnaussicht verinnerlicht hat. Und dass man die radikale Sinnlosigkeit für sich ablehnt."

Und deshalb hat Dimitrij Kolesnikow im dunklen Bauch der Kursk, in den letzten Stunden seines Lebens und seiner Kameraden, kurz bevor er verbrannt ist, wohl auch noch einen Brief geschrieben. Offenbar hat er dabei schon nicht mehr an eine Rettung geglaubt. Auch das ist ein Beleg dafür, dass die Hoffnung tatsächlich erst ganz zum Schluss stirbt – wahrscheinlich erst, wenn wir selbst sterben.

Dieses Thema im Programm: MDR | Große Fragen in zehn Minuten | 30. April 2025 | 12:00 Uhr

1 Kommentar

roland.spaeth vor 1 Wochen

Hoffnung ist lediglich ein menschlicher Begriff für eine evolutionär angelegte Haltung aller Wesen der Erde. Es ist die Grundlage dafür, dass sich alles überhaupt "entwickeln" kann, die Triebfeder des Seins. Wenn sich bspw. die "Nahrung" verknappt, sei es durch "Überbevölkerung" oder äussere Einflüsse, sucht jedes "Leben"- auch Einzeller- Möglichkeiten der Arterhaltung. Das ist es, was wir "Hoffnung" nennen, aber am Eigentlichen vorbeigeht. Es ist religiös verbrämt, um damit manipulieren zu können, denn für die Erfüllung von "Hoffnung" ist der Mensch bereit, nahezu alles zu tun. Dabei lässt er sich gern über die Fakten hinwegtäuschen, mit "falschen Hoffnungen" erweckt man ihn zum "Roboter". Im relig. Glauben vergibt er dabei sämtliche Autonomie und macht sich zum Werkzeug der Manipulateure. Dass Religionen manipulieren, ist unbestritten, im Grunde sind sie staatszersetzend und gehören abgeschafft resp. in den rein priv. Bereich verlagert, ohne dafür werben zu dürfen, etc.

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