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SaharastaubJahresrückblick März: Radioaktiver Saharastaub – die nächste Wolke ist schon unterwegs

23. Dezember 2021, 09:00 Uhr

Nicht nur Corona – auch Vulkane, Vögel, Planeten, Spinnen und Ähnliches fesselten unsere Leser in diesem Jahr. MDR WISSEN zeigt im Jahresrückblick 2021 die beliebtesten Artikel jedes Monats abseits von Corona. Im März überrascht die Meldung über radioaktiven Staub aus der Sahara. Eine NGO aus Frankreich hatte den Saharastaub aus dem Juragebirge gemessen und eine Belastung mit Cäsium-137 festgestellt. Dieses Element entsteht bei der Kernspaltung. Tatsächlich hat das Land 1960 Atomtests in der algerischen Wüste durchgeführt.

Der Saharastaub wirkt bis nach Europa. Hier verfärbt er den Himmel in Dresden abends gelb. Bildrechte: imago images/Sylvio Dittrich

Am 13. Februar 1960 zündete Frankreich in der algerischen Sahara eine Atombombe. 61 Jahre später weht der Wind Saharastaub nach Frankreich, in dem radioaktives Cäsium-137 nachgewiesen wird. Cäsium-137 ist ein Produkt, das bei einer Kernspaltung entsteht und bei Freisetzung in hohen Konzentrationen Muskelgewebe und Nieren schädigen kann. Die französische Nichtregierungs-Organisation ACRO (L'Association pour le contrôle de la radioactivité dans l'Ouest) hatte den Sahara-Sand der vergangenen Wochen, den der Wind nach Europa wehte, analysiert und auf ihrer Homepage getitelt: "Sahara–Sandwolke – Radioaktive Verschmutzung kommt wie ein Bumerang zurück". Die Sandanalyse von Staubpartikeln, die im Jura-Gebirge niedergegangen waren, hatte der NGO zufolge ergeben: "80.000 Becquerel pro Quadratkilometer an Cäsium-137 sind auf einem großen Gebiet niedergegangen." Ist der Sand also gefährlich?

80.000 Becquerel pro Quadratkilometer – was bedeutet das?

Was bedeutet das nun genau, ist das eigentlich viel oder wenig? Physiker Dr. Thomas Heinrich von der Landesmessstelle für Umweltradioaktivität in Sachsen wertet das im Gespräch mit MDR WISSEN als sehr geringen Cäsium-Niederschlag und verweist auf die Strahlenbelastung nach der Reaktorkatastrophe von 1986 in Tschernobyl: "Die Belastung in Sachsen war danach bei 1.000 Becquerel pro Quadratmeter, in Bayern sogar bei 100.000." Umgerechnet sind die 80.000 Becquerel pro Quadratkilometer in Frankreich also 0,08 Becquerel pro Quadratmeter. Becquerel ist die Einheit, in der die Aktivität angegeben wird. Über die Strahlendosis wiederum, die in Millisievert angegeben wird, macht die französische Veröffentlichung keine Angaben.

Was ist nochmal Millisievert?

Die Maßeinheit gibt die schädigende Strahlenbelastung an. Ist ein Mensch in kurzer Zeit einer hohen Strahlendosis von 500 Millisievert oder mehr ausgesetzt, sind zum Beispiel Haarausfall, Blutarmut oder Verbrennungen der Haut die Folge. Bei mehr als 1.000 Millisievert nehmen Magen-Darm- und Herz-Kreislauf-Organe Schaden. Bei niedrigen Strahlendosen kann die ionisierende Strahlung Krebs verursachen.

Um einen Millisievert-Wert für den Sahara-Sand aus Südfrankreich zu errechnen, müsste man die eingeatmete Dosis beispielsweise von einer Stunde auf die Tage mit Saharastaub-Ereignissen, und diese wiederum auf ein Jahr hochrechnen: Dann könnte man das Ergebnis mit den Strahlenwerten vergleichen, denen wir sonst durchschnittlich im Jahr ausgesetzt sind, durch Einatmen, Nahrungsmittel, natürliche Radioaktivität im Boden und Sonnenstrahlung. In der Regel liegen sie in Deutschland zwischen einem und zwei Millisievert. Für die Menge und Dauer des Saharastaub-Ereignisses in Deutschland läge das wohl unter einem Tausendstel unserer durchschnittlichen Strahlenbelastung, schätzt der Physiker.

Auch Anja Lutz, Pressesprecherin des Bundesamtes für Strahlenschutz, sieht das ähnlich. Sie sagt mit Blick auf die Ergebnisse der französischen Untersuchung auf Anfrage von MDR WISSEN: "Diese Werte haben aus Sicht des Bundesamtes für Strahlenschutz keine Auswirkungen auf Frankreich. Die Werte, die dort gemessen wurden, sind höchstens aus wissenschaftlicher Sicht interessant."

Strahlung–Messung in Deutschland

In Deutschland wurde der Sand aus der Sahara nicht untersucht. Hier messen 1.800 sogenannte Orts-Dosis-Mess-Sonden, die im ganzen Land verteilt sind, kontinuierlich die natürlichen radioaktiven Stoffe. Detektiert eine solche Messstelle über längere Zeit – einen Tag oder mehr – "radiologische Ereignisse" oder starke Änderungen, erhalten die jeweils zuständigen Messknoten-Stellen in Berlin, Bonn, Freiburg, Neuherberg bei München, Rendsburg und Salzgitter Meldung. Dann wird geprüft: Ist die Meldung plausibel, die Sonde intakt oder nicht. Auf einer Karte kann man hier die aktuellen Werte für die eigene Region anschauen. Kurzzeitige Erhöhungen treten beispielsweise auf, wenn zum Beispiel Radon, ein natürliches radioaktives Edelgas, durch Niederschläge aus der Atmosphäre gewaschen und am Boden abgelagert wird.

Der Saharasand und die Luftqualität

Dazu muss man erst mal wissen: Sahara-Staubpartikel sind zwischen einem bis zehn Mikrometer groß. Was heißt das?

Dr. Ulla Wandinger vom Leibniz-Institut für Troposphärenforschung Leipzig Bildrechte: Kristin Kielon/MDR

Zum Vergleich: Partikel aus Industrie und Verkehr sind eher kleiner, erklärt Dr. Ulla Wandinger, die am Institut für Troposphärenforschung in Leipzig arbeitet, nämlich zwischen 0,05 bis 0,5 Mikrometer, also zehn- bis hundertmal kleiner. Das wiederum sind die, die viel tiefer in die Lunge eindringen und auch in den Blutkreislauf gelangen können. Dafür ist im Umkehrschluss der Saharastaub also zu groß, auch wenn er in den Messstationen dennoch eine Rolle spielt, sagt Dr. Wandinger.

Das Staub-Ereignis in der letzten Februarwoche hat ihr zufolge erheblich zu hohen Werten an den Stationen des Luftmessnetzes beigetragen: "Während die PM10-Werte normalerweise bei zehn bis zwanzig Mikrogramm pro Kubikmeter liegen, wurden zwischen 23. und 25. Februar im Mittel um die 50 bis 100 Mikrogramm pro Kubikmeter gemessen, in Spitzenzeiten auch um die 200 Mikrogramm pro Kubikmeter." Das ist also nur scheinbar paradox: "Die hohen PM–Werte bei Staubereignissen bedeuten daher also nicht unbedingt schlechte Luftqualität im Sinne des Gesundheitsschutzes", sagt Dr. Wandinger.

Die nächste Wolke ist schon unterwegs

Übrigens ist die nächste Wolke Saharasand schon im Anmarsch, das muss aber nicht zwingend "dicke Luft" bedeuten. Das passiert nur, so Wandiger, wenn die Staubschichten aus der Sahara tatsächlich bei uns bis auf den Boden reichen. "Normalerweise wird Saharastaub eher in Höhen von zwei bis acht Kilometer über uns hinweg transportiert und gelangt dann oft nur durch Niederschlag auf den Boden." Und dann kommt es zu Phänomenen wie dem "Blutschnee" oder "Blutregen", oder zu reduzierter Sichtweite und scheinbar vernebelter Landschaft.

lfw

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