Studie zu Ehegattensplitting und Minijobs Kombi-Reform: Mehr als 100.000 "echte" Jobs für Frauen
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03. April 2024, 15:33 Uhr
Verheiratete Frauen und besonders Mütter sind auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt. Schuld daran ist eine Kombination aus Ehegattensplitting und 450-Euro-Jobs, sagt die Bertelsmann-Stiftung und fordert eine Reform vom beidem. Denn durch diese Regelungen lohne es sich für die Frauen gar nicht, einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachzugehen. Das ifo-Institut sieht ein Potential von mehr als 100.000 Jobs für Frauen.
Frauen sind in Deutschland noch immer strukturell benachteiligt. Ein Grund ist, dass sie überwiegend noch immer die Hauptlast bei der Kinderbetreuung übernehmen. Deutlich sichtbar wird das bei den verheirateten Frauen: Von 7,6 Millionen Ehefrauen im Alter von 25 bis 60 Jahren haben mit sechs Millionen rund drei Viertel ein geringeres Einkommen als ihr Partner, schreibt die Bertelsmann-Stiftung. Sie seien damit sogenannte Zweitverdienerinnen.
Arbeit lohnt sich nicht dank Ehegattensplitting
Und für die Konstellation eines viel Geld verdienenden Mannes und der sehr wenig verdienenden Frau gibt es das Ehegattensplitting, das der Familie steuerliche Vorteile schaffen soll. Das Problem: Die Konstellation aus Familien-Ernährer und Mutter, die nur neben der Kinderbetreuung ein bisschen für Geld arbeitet, gibt es insbesondere im Osten Deutschlands kaum noch. Und dort, wo sich Ehepaare dafür entscheiden, liegt es häufig daran, dass es aufgrund der Steuer die bessere Entscheidung ist, die ganze Familie also am Ende mehr Geld im Portemonnaie hat.
Das Steuer- und Sozialversicherungssystem setze also völlig falsche Anreize, stellt die Bertelsmann-Stiftung fest. Denn die Frauen belaste bei der Aufnahme einer Teilzeit- oder Vollzeitbeschäftigung neben den Sozialversicherungsabgaben auch die Einkommensteuer, die über dem üblichen Eingangssteuersatz in Höhe von 14 Prozent liegt. Beim steuer- und abgabefreien Minijob ist das nicht der Fall. Grund für die hohe Einkommenssteuer sei das Ehegattensplitting, das dazu führe, dass die Zweitverdienerin demselben Steuersatz unterliegt wie der Erstverdiener.
Die Bertelsmann Stiftung fordert deshalb eine kombinierte Reform der Fehlanreize des Ehegattensplittings und der Minijobs. Letztere könnten so in sozialversicherungs- und steuerpflichtige Arbeitsplätze umgewandelt werden. Die Forderung beruht auf einer Untersuchung des ifo Instituts im Auftrag der Bertelsmann Stiftung.
"Richtige" Jobs vor allem für Frauen
Die Studie sieht in einer kombinierten Reform das Potential, rund 124.000 Menschen in sozialversicherungspflichtige Arbeit zu bringen – etwa 108.000 Personen davon wären Frauen. Würden die beiden Instrumente isoliert voneinander reformiert, wäre der Effekt längst nicht so groß, schreiben die Forscher.
"Realsplitting" statt Ehegattensplitting
Sie schlagen vor, das Ehegattensplitting mit einem sogenannten Realsplitting zu ersetzen. Dabei würden beide Eheleute getrennt veranlagt. Die besser verdienende Person dürfte allerdings eine Summe in Höhe von 13.805 Euro an die andere Person übertragen. Der Wert orientiere sich an den rechtlichen Vorgaben zu Unterhaltspflichten im Scheidungsrecht. Insgesamt würde sich damit ein höherer Verdienst für die zweite Person eher lohnen. Außerdem würde dadurch auch der Steuervorteil begrenzt, von dem Menschen mit besonders hohen Einkommen derzeit profitierten.
Minijobs in reguläre Beschäftigung umwandeln
Der zweite Teil des Reformvorschlags betrifft den Minijob, für den keine Steuern und Abgaben gezahlt werden müssen. Diese könnten jedoch durch einen schrittweisen Anstieg der Sozialversicherungsabgaben auch in reguläre Beschäftigungsverhältnisse umgewandelt werden. Demnach müssten ab dem ersten Euro Abgaben gezahlt werden, allerdings zunächst nur ein sehr geringer Beitragssatz. Ab 1.800 Euro müsste dann der volle Satz gezahlt werden. Das entspreche einer Vollzeitbeschäftigung im Niedriglohnbereich, so die Forscher.
Rechenbeispiel: Minijob vs. Teilzeit-Stelle
Herr Müller verdient 48.000 Euro brutto im Jahr.
Wenn Frau Müller in einem Minijob mit 10 Wochenstunden und einem Stundenlohn von 10 Euro arbeitet, verdient sie im Jahr 5.400 Euro dazu.
Wenn Frau Müller dagegen 20 Stunden mit demselben Stundenlohn in einem Teilzeitjob arbeitet, bleiben Familie Müller im Jahr nur rund 1.000 Euro mehr als im Minijob.
Entlastung für die Ärmsten
Die Forschenden bilanzieren, dass die Kombireform die unteren 40 Prozent der Einkommen entlasten würde. Für sehr viele Zweitverdienerinnen lohne es sich nämlich bisher kaum, über einen Minijob hinaus einer Arbeit nachzugehen. Das hat weitreichende Folgen für die betroffenen Frauen, denn sie sind sowohl bei Arbeitslosigkeit als auch im Alter wesentlich schlechter abgesichert als Männer. Sollte die Ehe zu Bruch gehen, droht ihnen die Altersarmut.
Wobei die Bertelsmann Stiftung bei der Forderung nach einer Kombi-Reform nicht nur an das Wohl der Frauen denkt, sondern vor allem auch an die Bedürfnisse der Wirtschaft, die mit einem Mangel an Fachkräften ringt. Und immerhin haben 63 Prozent aller Ehepaare einen gleichwertigen Bildungsabschluss.
Es muss uns gelingen, Frauen und Mütter aus der Zweitverdienerinnenfalle zu befreien. Ein erheblicher Teil des Arbeitskräftepotenzials von Frauen wird aktuell nicht voll ausgeschöpft. Im Zuge des demografischen Wandels und des Fachkräftemangels kann Deutschland sich dies nicht mehr leisten.
(kie)