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Regenwürmer: Schlechter als ihr Ruf? In Nordamerika schon. Bildrechte: V. Gutekunst

Invasive ArtenRegenwürmer aus Europa verändern die Artenvielfalt in Nordamerika

30. März 2022, 09:14 Uhr

Eigentlich haben Regenwürmer kein schlechtes Image: Sie lockern die Erde auf, schichten Nährstoffe um, belüften den Boden. Jedenfalls in Europa. In Nordamerika dagegen sind sie iene invasive Art und ändern die Insektenvielfalt, zeigen Leipziger Forscher.

Gerade erst hatte eine Studie aus Kiel aufgezeigt, dass unsere moderne Zivilisation auf der Arbeit tiefgrabender Regenwürmer fußt. Ein Kieler Forschungsteam hatte Böden an einer archäologischen Fundstelle in der Ukraine analysiert. Dabei fanden sie heraus, dass tiefgrabende Regenwurm-Arten ständig organisches Material an die Bodenoberfläche geschoben hatten, wodurch über tausende Jahre Schicht für Schicht humusreiche Schwarzerde aufgebaut wurde. Das sei die fehlende Verbindung zwischen Mensch und Boden, schrieben die Forscher, ohne die Regenwürmer wäre unsere moderne Zivilisation nicht entstanden.

Regenwürmer ändern alles

Und jetzt das: Eine weitere Studie eines Leipziger Forschungsteams, die belegt, dass Regenwürmer, nun ja, auch anders können. Regenwürmer verändern nämlich auch über der Erde die Umwelt und beeinflussen so die Insektenvielfalt im Norden Nordamerikas. Das zeigt die Untersuchung eines Forschungsteams der Universität Leipzig und des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschun iDiv. Seit Jahren befasst sich Professor Dr. Nico Eisenhauer mit Regenwürmern aus Europa, die es erst seit einigen Jahrhunderten wieder in Nordamerika gibt.

Denn nach der letzten Eiszeit waren sie weitgehend ausgestorben. Siedler aus Europa haben sie vermutlich eingeschleppt. Und jetzt beackern sie genau wie bei uns emsig den Boden, und haben als invasive Art in Nordamerika gewaltige Prozesse im Ökosystem angeschoben. Bakterien und Pilze, die für die Nährstoffaufnahme der Pflanzen wichtig sind, verändern sich oder verschwinden. Regenwürmer setzen Nährstoffe um, die ausgespült werden und in Seen landen. Sie verwerten die dicke Laubschicht, die normalerweise lange in amerikanischen Wäldern liegen bleibt.

Und die jüngste Publikation der iDiv-Forscher zeigt jetzt: Europäische Regenwürmer haben in Nordamerika dafür gesorgt, dass die Artenvielfalt massiv geschrumpft. ist.

Prof. Nico Eisenhauer untersucht seit Jahren die Folgen der invasiven Regenwürmer in Nordamerika. Bildrechte: iDiv

Würmer im Boden, keine Würmer im Boden: Und oben drüber?

Wie kann man das feststellen? Am besten über einen Vergleich. Und tatsächlich gibt es in Regionen um das kanadische Calgary, in denen es europäische Regenwürmer im Boden gibt, oder eben nicht. Eisenhauer und sein Team fingen also in den verschiedenen Regionen Insekten ein, mithilfe eines Vakuum-Sammlers. Mit diesen Geräten werden Insekten aus einem Zelt im Wald in ein Behältnis eingesaugt, ohne dass sie verletzt werden. Die Auswertung zeigte, dass es einen klaren Unterschied gibt zwischen Regionen mit und solchen ohne Regenwürmer. Und zwar sowohl was Menge, Biomasse und Artenreichtum von Insekten angeht: Dort, wo es besonders viele Regenwürmer gab, sank die Zahl der Insektenindividuen um 61 Prozent, die Insektenbiomasse um 27 Prozent und der Artenreichtum um 18 Prozent. Diese deutlichen Unterschiede überraschten sogar die Wissenschaftler: "Wir hatten zwar erwartet, dass es einen Unterschied geben würde, aber nicht einen so deutlichen, und schon gar nicht in allen drei Bereichen, Biomasse, Insektenzahlen und Artenreichtum," sagt Studien-Erstautor Dr. Malte Jochum.

Forscher Malte Jochum sammelt Insekten aus einer abgeschirmten Stelle ein Bildrechte: R. Zeiss

Ungeklärt: Wie die Regenwürmer die Insektenvielfalt ändern

Wie genau die Regenwürmer für den oberirdischen Unterschied sorgen, weiß das Forschungsteam noch nicht. "Möglicherweise fressen die Regenwürmer die Nahrung und reduzieren den Lebensraum für oberirdische Insekten wie Käfer und Fliegenlarven, die abgestorbenes Pflanzenmaterial abbauen", fährt Dr. Jochum fort. Beeinflussen vielleicht die Bodenarbeiten der Regenwürmer auch die Welt der Pflanzen über der Erde? Die Artenvielfalt scheint sich zwar nicht geändert zu haben. Allerdings sind die Daten zur Artenzusammensetzung und anderen Merkmalen der Pflanzengemeinschaften noch nicht ausgewertet.

Und was macht man jetzt mit dem Wissen, dass der Regenwurm nicht nur ein genialer Bodenaufbereiter ist, sondern auch ein Erdbewohner, der die Umwelt oberirdisch massiv beeinflusst? Professor Dr. Eisenhauer zufolge zeigen die Ergebnisse, dass der Verlust der Artenvielfalt auch andere Ursachen haben kann, die bisher wenig beachtet wurden. Diese sollten angesichts der jüngsten Erkenntnisse bei der Entwicklung von Management- und Schutzstrategien für die Artenvielfalt berücksichtigt werden, rät der Forscher.

Links/Studien

Die Studie "How invasive earthworms alter aboveground arthropod communities in a northern North American forest" lesen Sie hier.

Die Kieler Studie "Earthworms, Darwin and prehistoric agriculture-Chernozem genesis reconsidered" lesen Sie hier.

(lfw)

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