konzeptionelle Darstellung Gentechnik
Was in dieser künstlerischen Darstellung ein Skalpell tut, tut bei der CRISPR/Cas-Methode eigentlich ein Enzym: Es spaltet die DNA an einer gewünschten Stelle auf. Bildrechte: IMAGO / Science Photo Library

Gen-Manipulation "Sanftes" CRISPR könnte neue Methode zur Behebung von Gendefekten sein

05. Juli 2022, 17:37 Uhr

Forscher machen Menschen, die unter Gendefekten leiden, Hoffnung. Eine sanftere Version der Genschere CRISPR/Cas könnte besser heilen als die herkömmliche. Eine neue Studie zeigt: Wenn bei der CRISPR/Cas-Methode die DNA-Stränge nur "eingekerbt" und nicht komplett zerschnitten werden, klappt die genetische Reparatur besser, und es entstehen weniger ungewünschte Mutationen.

Zehn Jahre ist die grundlegende Forschungsarbeit nun alt, für deren Autorinnen es einen Nobelpreis gab und durch die ein völlig neues Zeitalter in der Gentechnik begann. Die CRISPR/Cas-Methode ist nun längst in aller Munde – und auch in vielen Laboren Gegenstand der Forschung. Das Prinzip dieser molekularbiologischen Gen-Bearbeitungsmethode ist relativ schnell erklärt: DNA wird gezielt zerschnitten oder verändert, einzelne Gene werden eingefügt, entfernt oder ausgeschaltet, selbst Nukleotide in einem Gen können verändert werden.

Was dadurch theoretisch möglich ist, macht Hoffnung. Erbkrankheiten könnten zum Beispiel genetisch "repariert" und damit vollständig geheilt werden: krankes Gen raus, gesundes Gen rein, fertig. Aber ganz so einfach ist es nicht, denn bislang gibt es bei CRISPR/Cas noch einige Sicherheitslücken. Sogenannte Off-Target-Effekte können für ungewollte Veränderungen am Genom abseits der eigentlichen Schnittstelle sorgen. Und auch On-Target-Effekte können auftreten, Änderungen an der bearbeiteten Stelle selbst, die so nicht gewollt waren.

Studie zu "sanftem" CRISPR

In einer in der Fachzeitschrift "Science Advances" veröffentlichten Studie beschreibt nun ein Team von der University of California San Diego einen neuen, offenbar sichereren Ansatz, mit dem genetische Defekte in Zukunft korrigiert werden könnten. Diese Strategie, die sich die natürliche DNA-Reparaturmaschinerie zunutze macht, könnte die Grundlage für neuartige Gentherapien bilden, die dann das Potenzial hätten, ein breites Spektrum genetischer Krankheiten zu heilen.

In vielen Fällen tragen Menschen, die an genetischen Störungen leiden, unterschiedliche Mutationen in den beiden von ihren Eltern geerbten Genkopien. Eine Mutation auf einem Chromosom hat also oft ein funktionsfähiges, nicht mutiertes Sequenzgegenstück auf dem anderen Chromosom. Das war der Ansatzpunkt des Forschungsteams um Sitara Roy, Annabel Guichard und Professor Ethan Bier. "Die gesunde Variante kann von der Reparaturmaschinerie der Zelle verwendet werden, um die defekte Mutation zu korrigieren, nachdem die mutierte DNA durchgeschnitten wurde", so Annabel Guichard.

Die Forschungsgruppe führte ihre Versuche an Fruchtfliegen durch. Durch eine Genmutation hatten diese Fliegen weiße statt der eigentlich roten Augen. Nach Anwendung der herkömmlichen CRISPR/Cas-Methode wurden die Augen teilweise wieder rot, ein Zeichen dafür, dass die DNA-Reparaturmaschinerie der Zelle die Mutation mit Hilfe der funktionalen DNA des anderen Chromosoms erfolgreich rückgängig gemacht hatte.

Nur einkerben statt zerschneiden

Das Standard-CRISPR-Enzym Cas9 bietet die Möglichkeit, Reparaturen durchzuführen, führt aber möglicherweise auch zu unbeabsichtigten Mutationen (mutagene Ereignisse) an der Zielstelle und möglicherweise an anderer Stelle im Genom (links). Im Gegensatz dazu führt das Nickase-Enzym zu einer effizienteren Genkorrektur und zu keinen mutagenen Ereignissen (rechts).
Das Standard-CRISPR-Enzym Cas9 bietet die Möglichkeit, Reparaturen durchzuführen, führt aber möglicherweise auch zu unbeabsichtigten Mutationen (mutagene Ereignisse) an der Zielstelle und möglicherweise an anderer Stelle im Genom (links). Im Gegensatz dazu führt das Nickase-Enzym zu einer effizienteren Genkorrektur und zu keinen mutagenen Ereignissen (rechts). Bildrechte: Guichard/Bier

Aber noch besser war das Ergebnis mit Cas9-Varianten, die englisch "nickase" genannt werden. Man könnte dieses Wort am besten mit "Einschnitt" oder "Kerbe" übersetzen. Der betroffene DNA-Strang wird dabei nicht vollständig durchgeschnitten, sondern nur auf einer Seite des Doppelstrangs eingeschnitten bzw. eingekerbt. Auf diese Weise lag die Reparaturquote bei den Augen der Fruchtfliegen sogar bei 45 bis 60 Prozent und damit deutlich höher als beim herkömmlichen Doppelstrang-Schnitt (20 bis 30 Prozent). "Ich konnte nicht glauben, wie gut die Nickase funktionierte - das war völlig unerwartet", sagt Sitara Roy, Hauptautorin der Studie.

Ein weiteres wesentliches Merkmal dieses Nickase-basierten Systems ist laut Studie, dass es deutlich weniger On- und Off-Target-Mutationen verursacht, als dies bei herkömmlichen Cas9-basierten CRISPR-Anwendungen der Fall ist. Die DNA-Einschnitte seien "sanft", so Professor Ethan Bier, "im Gegensatz zu Cas9, das vollständige DNA-Brüche erzeugt, die oft mit Mutationen einhergehen."

Die Vielseitigkeit des neuen Systems könnte als Grundlage für die Behebung genetischer Mutationen bei Säugetieren und damit auch bei Menschen dienen, so die Forscher. Sie wissen allerdings noch nicht, ob und wie sich diese Art von CRISPR auf menschliche Zellen übertragen lässt und ob sie auf jedes beliebige Gen angewendet werden kann. Gut möglich, dass dafür noch Anpassungen nötig sind.

(rr)