Chemie Aus Teppich und Regenjacke: Schädliche PFAS auch in der Atemluft
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31. August 2021, 17:50 Uhr
PFAS-Stoffe sorgen dafür, dass Dinge wasserabweisend werden. Klamotten zum Beispiel. Und sind obendrein ziemlich schädlich. Wir nehmen sie nicht nur durchs Essen auf, sondern auch durch die Luft, wie eine neue Studie zeigt. Doch glücklicherweise gibt's schon Alternativen. So halbwegs.
Die Kehrseite der Medaille ist erfahrungsgemäß ein lästiger Umstand bei einer doch eigentlich ganz praktischen Sache. Denken Sie nur an FCKW. Diese Stoffverbindungen haben Mitte des 20. Jahrhunderts ganz erfolgreich als Treibgas in Sprühdosen, als Kältemittel und auch als Lösemittel gedient. Mittlerweile hat sich das Image vom Universaltalent zum Universalschrecken gewandelt, seitdem vor einigen Jahrzehnten klar wurde, dass diese Kohlenwasserstoffe ganz erheblich dazu beitragen, dass das Ozonloch immer größer wird.
Weil wir Menschen immer schlauer werden, gibt es solche Fälle immer wieder: Schon mal was von PFAS gehört? Auch das sind organische Verbindungen. (Kommen Sie, geben Sie sich den ausgeschriebenen Namen: Per- und polyfluorierte Alkylverbindungen. Sollten Sie darüber hinaus an einer Definition interessiert sein, können Sie die gern hier durchlesen.) Eigentlich genügt es zu wissen: Diese Gruppe aus vielen verschiedenen Stoffen wird industriell erzeugt, ist praktisch und gleichermaßen gefährlich. Das liegt auch daran, dass PFAS in der Natur nicht abbaubar sind. Da kommen sie halt auch nicht her.
Skiwachs, Regenjacke, Bratpfanne
In der Vergangenheit wurden diese Stoffe auch mit PFC abgekürzt. Gerade Menschen, die dem einen oder anderen Abenteuer unter freiem Himmel zugeneigt sind, kommen PFC bzw. PFAS sehr entgegen. Sie helfen dabei, Kleidung zum einen wasserabweisend, aber auch atmungsaktiv zu machen: Trocken bleiben ohne zu schwitzen, was Draußen-Menschen halt so lieben. Da wundert es kaum, dass PFAS auch in Imprägniermitteln vorkommen oder dazu dienen, Papier wasser- und fettabweisend zu machen. Fettabweisend, das gilt auch für die Beschichtung von Bratpfannen. Und wasserabweisend ist beim Skiwachs eine gern gesehene Eigenschaft. Warum PFAS aber manchmal auch in Kosmetik vorkommen … nun ja.
Das Problem ist: Wir nehmen PFAS mit der Nahrung auf – und zwar vor allem mit tierischen Lebensmitteln, weil Fisch und Wildschwein das auch irgendwann mal getan haben. PFAS können über die Atmosphäre bis in entlegene Gebiete transportiert werden und sich in Böden, Gewässern und somit Pflanzen und Tieren anreichern. Die Stoffe gelten als gesundheitsgefährdend – je nach aufgenommener Menge, denn üblicherweise macht ja die Dosis das Gift. Sie können die Leber schädigen, sich negativ auf das Immunsystem auswirken und stehen in Verdacht, krebserregend zu sein.
Kein Fleisch ist einfach. Keine Luft nicht.
Schon klar, das Risiko PFAS dem eigenen Organismus zuzuführen, lässt sich schon allein dadurch vermindern, auf tierische Produkte, insbesondere auf Fleisch und Fisch, zu verzichten. Blöd nur: Wir können das Zeug auch atmen, eben auch als Veganer*in. Das hat eine aktuelle Untersuchung aus den Vereinigten Staaten ergeben, die jetzt im Fachjournal Environmental Science & Technology Letters veröffentlicht wurde. Die Forschenden haben dazu eigens eine neue Messtechnik entwickelt. "Es ist bekannt, dass Nahrung und Wasser wichtige Quellen für eine PFAS-Exposition sind. Unsere Studie zeigt, dass Raumluft, einschließlich Staub, eine weitere Quelle der Exposition gegenüber potenziell schädlichen Chemikalien ist", erklärt Rainer Lohmann, Studienleiter und Professor für Ozeanografie an der University of Rhode Island.
Lohmann und Team haben PFAS-Chemikalien in der Luft von Büros, Laboren, einem Zuhause und auch in Kindergartenzimmern entdeckt. Da auch Teppiche mit PFAS behandelt werden, besonders in der Vergangenheit war das so, stellen die eine besonders bemerkenswerte Quelle für die Stoffabsonderung dar. In zwei untersuchten Teppichgeschäften wurden die höchsten Konzentrationen gefunden. Bemerkenswert ist vor allem die Feststellung, dass durch die dort ausgelegten Teppiche in mehreren Kindergartenräumen eine höhere Konzentration von PFAS nachgewiesen wurde als im Lagerraum eines Outdoorgeschäfts – voll mit Jacken für die nächste Tagestour durch die Rocky Mountains (oder einen herbstlichen Strandtag in Rhode Island). Das Bundesinstitut für Risikobewertung weist darauf hin, dass PFAS gerade bei Kindern dafür sorgen können, dass nach einer Impfung weniger Antikörper als üblich gebildet werden.
Raus mit den ollen Teppichen!
Lösungen, bitte. Was die Teppiche betrifft, ist das einfach: die alten entsorgen und bei Bedarf neue, PFAS-freie Auslegware einsetzen. Darüber hinaus, gerade in Hinblick auf Kleidung, sind die Worte von Co-Studienautor Tom Bruton ernüchternd: "Solange sie weiterhin in Produkten verwendet werden, werden wir PFAS essen, trinken und atmen."
Verbote könnten helfen, dass PFAS in unserer Raumluft künftig keine Rolle mehr spielt und wir eine Sorge weniger haben. Dass diese behördlichen Prozesse mühsam sind, zeigt auch der bisherige Fortschritt in dieser Hinsicht: So ist die Verwendung der Untergruppe der PFOS seit 2006 in der Europäischen Union verboten, seit Sommer 2020 auch PFOA. An weiteren Beschränkungen und Verboten wird gearbeitet. Das ist aber gar nicht so einfach: Da zu den PFAS so viele verschiedene Stoffe zählen, gibt es zur Anwendung und potenziellen Gefahren für viele PFAS nur unzureichende Daten.
Bei Outdoormarken ist inzwischen angekommen, dass Menschen am liebsten mit einer PFAS-freien Regenjacke den Alpenhauptkamm abmarschieren. Anstrengungen, PFAS gegen unbedenkliche Alternativen zu ersetzen, sind sichtbar und kaufbar. Das Problem: Einen wirklich langanhaltenden Schutz vor Nässe und Schmutz bieten nur PFAS. Ist aber erstmal nicht so schlimm, sagen auch die Hersteller*innen: Denn bis es einen vollwertigen Ersatz gibt, muss man Jäckchen und Schühchen eben nachimprägnieren. Sollte man halt vor der nächsten Bergtour nicht vergessen.
Link zur Studie
Die Studie The Air That We Breathe: Neutral and Volatile PFAS in Indoor Air erschien am 31. August 2021 in Environmental Science & Technology Letters.
DOI: 10.1021/acs.estlett.1c00481