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"Zeig her, ich hab da was für Deine Wunde", würden wir Menschen sagen. Auch Schimpansen verarzten sich gegenseitig. Bildrechte: Tobias Deschner_Ozouga Chimpanzee Project

VerhaltensforschungSchimpanse als Arzt: Primaten versorgen die Wunden anderer – mit Insekten

08. Februar 2022, 14:44 Uhr

Verletzen sich Menschen, verarzten wir uns selbst oder gegenseitig, oder holen uns, je nach Schweregrad, professionelle medizinische Hilfe. Schimpansen versorgen Fleischwunden mit ausgedrückten Insekten, und zwar nicht nur ihre eigenen, sondern auch die von anderen aus der Gruppe.

Schimpansen verarzten gegenseitig ihre Wunden. Sie fangen Insekten, zerdrücken und befeuchten sie im Mund, und tragen sie dann auf die verletzte Stelle auf. Dieses Verhalten ist jetzt erstmals in einer Gruppe von 45 Schimpansen im Loango Nationalpark in Gabun nachgewiesen worden, bei denen verschiedene Tiere offene Fleischwunden anderer versorgten. Eine verblüffende Beobachtung, denn bislang war nur bekannt, dass viele Tiere, genau wie der Mensch, Pflanzenteile oder andere Substanzen nutzen, um sich gegen Krankheitserreger zu schützen.

Was wurde beobachtet?

Innerhalb von 15 Monaten im Zeitraum vom November 2019 bis zum Februar 2021 wurden 76 Wunden an 22 verschiedenen Individuen mit ausgedrückten Insekten behandelt, sowohl bei erwachsenen als auch jugendlichen Schimpansen. Dabei wurde nicht nur beobachtet, wie sich einzelne Tiere selbst behandelten, sondern auch, wie eine Schimpansenmutter eine Wunde ihrer Tochter versorgte, aber auch wie verschiedene andere Gruppenmitglieder einander versorgten.

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Verhaltensweise zum Wohl anderer offenbar nicht nur menschlich

Die gegenseitige Fürsorge bei der Wundbehandlung schien bislang eine ziemlich menschliche Angelegenheit zu sein. Verhaltensbiologin Prof. Dr. Simone Pika von der Uni Osnabrück erläutert: "Solche prosozialen Verhaltensweisen, das heißt Verhaltensweisen zum Wohle anderer, sind bis jetzt nur sehr selten in nicht-menschlichen Tieren beobachtet worden." Bislang war bekannt, dass Schimpansen und Bonobos zum Beispiel bestimmte Blätter vertilgen, um sich gegen Darmparasiten zu wehren, erläutert die Verhaltensforscherin: "Die Verwendung von Insekten – mit nachgewiesenen schmerzlindernden und entzündungshemmenden Eigenschaften – war nur vom Menschen bekannt und ist noch nicht bei Schimpansen oder anderen Tieren beobachtet worden".

Beobachtung wirft viele neue Fragen auf

Die Beobachtung dieser prosozialen Verhaltensweise wirft eine Reihe weiterer Fragen auf. Was für Insekten nutzen die Schimpansen da zur Wundversorgung? Was im Insekt sorgt für Schmerzlinderung und Entzündungshemmung? Wie lange lassen die Schimpansen die Insekten auf den Wunden blieben, oder werden sie wieder abgestreift, und wenn ja, von wem der beiden Schimpansen? Dass die verletzten Tiere es überhaupt zulassen, dass andere ihre offenen Wunden berühren, findet Simone Pika besonders spannend, das setze schließlich voraus, dass sie einander vertrauen.

Für den Direktor der Ozouga-Station in Gabun, den Primatologen Dr. Tobias Deschner, ist das ein Grund, die Forschung künftig zu intensivieren: "Es ist faszinierend, dass uns Schimpansen trotz jahrzehntelanger Forschung immer wieder mit neuen Verhaltensweisen und Fähigkeiten überraschen. Unsere Studie zeigt eindrücklich, dass es noch so vieles über unsere nächsten Verwandten zu entdecken gibt, und dass wir uns viel intensiver für ihren Schutz und den Schutz ihrer Lebensräume einsetzen müssen."

Die detaillierten Beobachtungen der einzelnen Behandlungsfälle lesen hier. Sie wurden im Fachmagazin Current Biologie veröffentlicht.

(lfw)

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