Schlafendes Baby auf einer Decke
Bildrechte: imago images / INSADCO

Hirnforschung Schlaf und Gehirn - mit zweieinhalb wird alles anders

18. September 2020, 20:00 Uhr

Was passiert in unserem Gehirn während wir schlafen? Ein US-Forschungsteam hat darauf jetzt eine Antwort. Sie haben herausgefunden, warum wir schlafen: Bei Babys bildet sich die Hirnstruktur und ab dem Kleinkindalter wird das Gehirn nur noch repariert. Und wie viel wir schlafen müssen, hängt auch von unserer Größe ab - egal ob bei Mensch oder Tier: Wer klein ist, schläft länger!

Wenn wir länger nicht schlafen können oder dürfen, dann kann das bei uns Menschen zu schwerwiegenden Gesundheitsproblemen führen. Und auch auf Säugetiere hat Schlafentzug diesen negativen Effekt. Darüber gibt es unter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern kaum mehr eine Diskussion. Doch warum der Schlaf für unsere Gesunheit eigentlich so wichtig ist, wissen wir noch nicht so ganz genau. Eine neue Studie eines Forschungsteams aus den USA liefert jetzt neue Antworten auf diese Frage. Die Untersuchung ist im renommierten Fachmagazin Science Advances publiziert worden.

Die große Schlaf-Daten-Analyse

Das Forschungsteam bestand aus Fachleuten aus den Bereichen Neurowissenschaften, Biologie, Mathematik und Statistik. Sie führten die nach eigenen Angaben bislang umfassendste statistische Analyse von Schlaf durch. Dafür nutzten sie Daten aus mehr als 60 Schlafstudien mit Menschen und anderen Säugetieren. Sie interessierten sich neben Gesamt- und REM-Schlafzeit auch für die Zusammenhänge mit der Gehirn- und Körpergröße.

Was ist REM-Schlaf?

Als REM-Schlaf (von engl. rapid eye movement - schnelle Augenbewegung) wird eine Schlafphase bezeichnet, die gekennzeichnet ist durch schnelle Augenbewegungen des Schlafenden bei geschlossenen Augenlidern. Außerdem ist die Skelettmuskulatur wie gelähmt. Auch Blutdruck und Puls steigen an, während sie in den Non-REM-Schlafphasen abgesenkt sind. Bei Erwachsenen umfasst der REM-Schlaf bis zu einem Viertel des Schlafs. In dieser Schlafphase träumt der Mensch.

Die "magische" Grenze von zweieinhalb Jahren

Das Forschungsteam hat herausgefunden, dass Schlaf im Laufe des Lebens nicht immer denselben Zweck hat. Im Kleinkindalter - etwa im Alter von 2,4 Jahren - gebe es eine dramatische Veränderung. In Sachen REM-Schlaf wird das Kind quasi schon erwachsen.

Ein kleines Kind liegt mit einer Katze auf dem Bett und schläft.
Wichtige Bauarbeiten im Gehirn: Babys bitte nicht wecken! Bildrechte: imago images / Westend61

Aber von vorne: Vor dem Alter von etwa zweieinhalb Jahren wächst das Gehirn der Kinder sehr schnell. Die Zeit des REM-Schlafes nutzt das Gehirn in dieser Zeit, um Synapsen aufzubauen und zu stärken - also genau die Hirnstrukturen, die Neuronen miteinander verbinden und ihnen die Kommunikation untereinander ermöglichen. Im Schlaf wird hier also die Infrastruktur des Hirns aufgebaut. Und das erklärt auch eine Sache, die viele Eltern schon instinktiv machen: Babys soll man nicht wecken.

Wecken Sie Babys nicht während des REM-Schlafes auf. Im Schlaf wird wichtige Arbeit im Gehirn geleistet.

Prof. Gina Poe, University of California (UCLA)

Doch nach nur rund zweieinhalb Jahren auf der Welt ändert sich dieser Hauptzweck des Schlafes plötzlich: Statt das Gehirn aufzubauen, wird jetzt für die Aufrechterhaltung und Reparatur des Gehirns gesorgt - und das bleibt auch so für den Rest des Lebens. Dieser Übergang, so die Forschenden, korrespondiere mit Veränderungen in der Gehirnentwicklungen zu etwa derselben Zeit.

Täglich Entrümpeln bitte!

Aber warum muss unser Gehirn im Schlaf repariert werden? Das Forschungsteam erläutert, dass alle Tiere und wir Menschen auf natürliche Weise gewisse neurologische Schäden davontragen würden, wenn wir wach seien - etwa durch den Blutfluss und die tägliche Produktion von Chemikalien im Körper. Auch Gene und Proteine in den Neuronen können betroffen sein und es könnten sich Ablagerungen bilden, die in der Lage seien, Hirnkrankheiten auszulösen. Dieser "Müll" werde im Schlaf beseitigt und die Schäden würden repariert, schreiben die Forschenden. Fast die ganze Hirnreparatur findet im Schlaf statt, fasst es UCLA-Evolutionsbiologe Van Savage zusammen.

Ich war schockiert, wie groß die Veränderung in kurzer Zeit ist und dass dieser Wechsel stattfindet, wenn wir so jung sind. Es ist ein Übergang, der mit dem Gefrieren von Wasser zu Eis verglichen werden kann.

Prof. Van Savage, University of California (UCLA)

Die Daten seien bemerkenswert stabil, schreiben die Forschenden. Offenbar erlebten alle Arten einen dramatischen Rückgang des REM-Schlafs wenn sie ein Alter erreichten, das der menschlichen Entwicklungsstufe von zweieinhalb Jahren entspreche. Der Anteil des REM-Schlafes war ungefähr gleich - egal ob es sich um Kaninchen, Ratten, Schweine oder Menschen gehandelt habe.

Je größer, desto weniger REM-Schlaf

Auch die Größe des Gehirns hat offenbar einen Einfluss: Mit zunehmender Größe nimmt der REM-Schlaf ab, so das Forschungsteam. Während Neugeborene den Angaben zufolge etwa die Hälfte ihrer Schlafzeit im REM-Schlaf verbringen, sinkt diese Zeit bis zum Alter von zehn Jahren auf etwa ein Viertel der Schlafzeit und nimmt mit zunehmendem Alter weiter ab. Erwachsene, die älter als 50 Jahre sind, verbringen nur noch ungefähr 15 Porzent ihrer Schlafzeit im REM-Schlaf. Der signifikante Abfall des REM-Schlafes bei etwa zweieinhalb Jahren trete eben genau dann auf, wenn es die Hauptänderung in der Funktion des Schlafes gebe, sagte Poe.

Schlaf ist genauso wichtig wie Essen. Und es ist wunderbar, wie gut der Schlaf den Bedürfnissen unseres Nervensystems entspricht. Von Quallen über Vögel bis hin zu Walen schläft jeder. Während wir schlafen, ruht sich unser Gehirn nicht aus.

Prof. Gina Poe, University of California (UCLA)

Wenn du müde bist, dann kämpfe nicht dagegen an, appeliert die Schlafforscherin: "Geh ins Bett!"

Und auch ihr Kollege Savage erzählt, dass er selbst in seiner Zeit am College oft gegen die Müdigkeit angekämpft habe und die ganze Nacht wach geblieben sei. "Jetzt denke ich, dass das ein Fehler war", sagt Savage. "Ich wäre besser dran gewesen, wenn ich gut geschlafen hätte. Wenn ich jetzt müde bin, habe ich keine Schuldgefühle beim Schlafen." Klar, er weiß ja auch, dass es gut für seine Gesundheit ist. Chronischer Schlafmangel könne nämlich zu langfristigen Gesundheitsproblemen wie Demenz und anderen kognitiven Störungen, Diabetes und Fettleibigkeit beitragen.

7,5 Stunden für Erwachsene - Babys brauchen das Doppelte

Doch viele Menschen wissen gar nicht so richtig, wie viel Schlaf sie eigentlich bräuchten. Deshalb haben die Forschenden auch das ausgerechnet: Für die meisten Erwachsenen ist demnach eine Schlafdauer von siebeneinhalb Stunden pro Nacht normal - und die Zeit, in der man wach liegt, zählt dabei nicht, sagt UCLA-Professorin Poe. Dabei hätten sie fünf REM-Zyklen und in jedem davon könne man mehrere Träume haben.

Logo MDR 5 min
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
5 min

Sprachen lernen einfach so im Schlaf? Wissenschaftler aus Bern kamen in einer Studie zu verblüffenden Ergebnissen.

Mo 25.03.2019 14:46Uhr 04:31 min

https://www.mdr.de/wissen/videos/sprachen-lernen-im-schlaf102.html

Rechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Video

Kinder bräuchten aber mehr Schlaf und insbesondere Babys noch viel mehr. Sie müssten mit rund 15 Stunden am Tag sogar doppelt so lange schlafen wie Erwachsene. Warum das sein muss, dürfte jetzt auch klar sein: Das Gehirn muss sich ausbilden und vernetzen in einem hohen Anteil REM-Schlaf. Denn der sei eben vor allem für Reorganisation im Hirn und das Lernen verantwortlich, während der Non-REM-Schlaf die alltäglichen Reparaturen übernehme.

Wenn Sie den Schlaf betrachten und sehen, wie er sich verändert, erhalten Sie Einblick in etwas wirklich Grundlegendes in der Entwicklung des Gehirns.

Prof. Geoffrey West, Santa Fe Institute

Jetzt stellt sich den Forschenden die Frage, was die Konsequenzen aus diesen Erkenntnissen für unsere Fähigkeit, Sprachen zu lernen oder unser Gehirn an verschiedene Situationen anzupassen, sein könnten, so Savage. Denn der Übergangspunkt von zweieinhalb Jahren könnte wichtige Auswirkungen auf die Gehirnentwicklungen haben, mutmaßt der Evolutionsbiologe.

(kie)

0 Kommentare

Anatomisches Bild vom Gehirn der Patientin, aufgenommen mithilfe der Magnetresonanztomographie. Die roten Kreise kennzeichnen die Läsionen auf beiden Hirnseiten, die durch die Schlaganfälle verursacht worden (L - linke Gehirnhälfte; R - rechte Gehirnhälfte). 6 min
Bildrechte: MPI CBS