Prof. Lilach Hadany nimmt mit einem Richtmikrofon die Geräusche einer sehr ausgetrockneten Tomatenpflanze auf
Prof. Lilach Hadany von der Universität Tel Aviv ist eine Pflanzenzuhörerin. Mit Richtmikrofonen hat ihre Forschungsgruppe die Geräusche aufgenommen, die Pflanzen von sich geben, wenn es ihnen nicht gut geht. Bildrechte: Universität Tel Aviv

Stille Flora? Schreiende Tomaten: Bei Stress erzeugen Pflanzen Geräusche

31. März 2023, 09:56 Uhr

Forschende der Universität Tel Aviv haben herausgefunden, dass Tomaten- und Tabakpflanzen spezifische Geräusche von sich geben, wenn sie unter Trockenstress leiden oder geschnitten werden. Sie haben somit bewiesen, dass die Pflanzenwelt nicht, wie bisher angenommen, eine schweigende Welt ist, sondern sehr wohl Geräusche produziert, die zwar nicht für Menschen, aber für viele andere Lebewesen wahrnehmbar sind, weil sie auf einer anderen Frequenz ablaufen.

Dass Pflanzen ziemlich clevere Geschöpfe sind, sie nicht nur einfach in der Natur rumstehen und sich vom Wind hin und her schaukeln lassen, wissen wir mittlerweile. Sie sind komplexe und hochspezialisierte Lebewesen, die sich, auch wenn es nicht den Anschein macht, zur Wehr setzen können, wenn sie bedroht werden. Auf Stress reagieren sie ganz unterschiedlich. Sie können zum Beispiel ihre Farbe verändern oder flüchtige organische Verbindungen (VOC) ausstoßen, wenn sie zum Beispiel Trockenheit oder Fressfeinden ausgesetzt sind. Alles in allem können sie visuelle, chemische und taktile Signale aussenden, die anzeigen, wie es ihnen geht und die andere Organismen wahrnehmen können.

Pflanzen schreien unter Stress

Und als wäre das nicht schon bemerkenswert genug, legen Forschende der Universität Tel Aviv in Israel jetzt noch eine Schippe drauf, indem sie ihre Studienergebnisse veröffentlichen, die beweisen, dass Pflanzen unter Stress schreien können. Gut, ein Schreien, wie wir uns das jetzt vorstellen, also Laute wie sie auch Tiere und Menschen von sich geben, ist das jetzt nicht. Aber Pflanzen geben spezifische Luftgeräusche von sich, wenn sie gestresst sind. Diese Geräusche werden im Inneren der Pflanzen erzeugt und ähneln dem Knallen von Popcorn oder dem ploppen von Luftpolsterfolie. Der genaue Mechanismus ist allerdings noch nicht geklärt. Für Studienautorin Prof. Lilach Hadani ist diese Fähigkeit der Pflanzen nicht sehr überraschend, denn evolutionär betrachtet, würden Pflanzen erheblich davon profitieren, Geräusche auszusenden und wahrzunehmen. Schließlich ist das auch der Fall bei anderen Lebewesen. Trotzdem wurde bisher immer angenommen, dass unsere Pflanzenwelt still ist.

Die Forschenden testen an Tomaten- und Tabakspflanzen, ob sie Geräusche von sich geben, wenn sie Gefahren ausgesetzt sind. Vorangegangene Studien hatten bereits gezeigt, dass Pflanzen Vibrationen erzeugen können. Ob diese Vibrationen allerdings Luftschallwellen – also Geräusche – erzeugen, war nicht klar. Bis jetzt. Pflanzen geben Geräusche von sich, und das tun sie sogar nicht besonders leise. Die Lautstärke der Geräusche entspricht etwa der eines sich unterhaltenden Menschen, aber die Frequenz der Pflanzengeräusche liegt im Ultraschallbereich und somit außerhalb unseres Hörbereichs. Viele Säugetiere und Insekten können diese Geräusche allerdings wahrnehmen.

Wenn Tomaten überhaupt nicht gestresst sind, sind sie sehr leise.

Prof. Lilach Hadani, Universität Tel Aviv

Für ihre Studie nahmen die Forschenden die Geräusche der Pflanzen auf, wenn sie unter Wassermangel litten und wenn sie beschnitten wurden. Zum Vergleich hörten sie Pflanzen ab, die keinem Stress ausgesetzt waren. Das Ergebnis: Gestresste Pflanzen gaben laut der Studie auffällig mehr Geräusche ab als die gesunden. Unter Stress machten sie rund 30 bis 50 Töne pro Stunde. "Wenn Tomaten überhaupt nicht gestresst sind, sind sie sehr leise", sagt Studienautorin Prof. Lilach Hadani.

Pflanzen "sagen", was genau sie stresst

Bemerkenswert ist auch, dass die Pflanzen je nach Stressart auch unterschiedliche Geräusche machen. Die Forschenden können also anhand der Geräuschmuster mit Hilfe einer KI feststellen, ob eine Pflanze zu wenig Wasser hat oder verletzt, also geschnitten, wurde. Außerdem gaben die Pflanzen mit zu wenig Wasser schon Töne von sich, bevor ihre Dehydration sichtbar war.

Die Land- und Nahrungsmittelwirtschaft könnte sich diese Erkenntnisse zu Nutze machen und durch entsprechende Sensoren eventuell frühzeitig erkennen, ab wann Pflanzen unter Trockenstress leiden. Welche Bedeutung diese Geräusche allerdings für die direkte Umwelt der Pflanzen haben, muss noch erforscht werden. Hier ergeben sich unglaublich viele Fragen. Allen voran, warum geben die Pflanzen diese Geräusche ab? Können andere Pflanzen sie "hören" und wie reagieren sie dann darauf? Welche Tiere sind in der Lage die Geräusche wahrzunehmen und wie nutzen sie diese Signale für sich?

Viele Pflanzen, viele Sprachen

Übrigens sind Tomaten- und Tabakpflanzen nicht die einzigen, die Geräusche von sich geben. Die Forschenden untersuchten auch Wein, Taubnesseln und Kakteen. Unsere Pflanzenwelt ist also gar nicht so still, wie wir immer dachten. Und wenn sie das nächste Mal mit ihren Zimmerpflanzen reden, kommen sie sich vielleicht auch nicht mehr ganz so komisch vor, weil das Gespräch so einseitig ist. Wer weiß, vielleicht antwortet der Ficus ja, sie hören es nur leider nicht.

dpa/JeS

Dieses Thema im Programm: MDR JUMP | Fakt oder Fake? | 28. Mai 2022 | 05:20 Uhr

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