Was wurde aus... Leben retten mit dem Sepsis-Chip aus Jena
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17. Dezember 2020, 15:46 Uhr
Bei einem Verdacht auf Blutvergiftung, also Sepsis, wartet man in der Regel drei bis vier Tage auf das Testergebnis. Jenaer Forscher hatten 2019 einen Diagnosechip vorgestellt, der in nur wenigen Stunden Klarheit bringen könnte. Was ist daraus geworden?
Sepsis ist ein tückischer, lebensbedrohlicher Zustand. Vor allem, wenn wie bisher viel kostbare Zeit vergeht, den Krankheitserreger zu identifizieren, nämlich drei bis vier Tage. Die Uni Jena hatte vor zwei Jahren einen Chip vorgestellt, der innerhalb von drei bis vier Stunden ein Ergebnis liefern sollte. Was ist danach passiert, ist der Chip auf dem Weg zu einem zugelassenen Diagnoseverfahren, oder verstaubt er als nette Idee in den Schubladen?
Tatsächlich ist er auf dem besten Weg in den Medizinalltag, erfahren wir von zwei Vertretern des Jenaer RamanBioAssay Teams, Professor Dr. Jürgen Popp vom Leibniz-Institut für Photonische Technologien und Professor Dr. Michael Bauer, Direktor der Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin am Universitätsklinikum Jena. Bauer ist auch Sprecher des Integrierten Forschungs- und Behandlungszentrums Sepsis und Sepsisfolgen. Er und sein Kollege Popp kennen natürlich den aktuellen Stand. "Wir haben sogar ein Patentverfahren für unser Diagnoseverfahren angeschoben", sagt Popp im Gespräch mit MDR Wissen.
Der Chip funktioniert - aber die Produktion ist zu teuer
In der Klinik hat der Chip die Nagelprobe bereits bestanden, bei Parallel-Versuchen an sogenannten Patentenisolaten kam der Chip genau auf die Ergebnisse, die auch herkömmliche Sepsistests zeigten - nur eben schneller. Ein Aspekt hat den schnellen Diagnose-Chip und die Forscher dann aber wieder ausgebremst: die Finanzen. In der Massenproduktion hätte der Sepsis-Chip der Jenaer Forscher nämlich 20 bis 30 Euro pro Stück gekostet. "Für den Einsatz im Klinikalltag dürfen es dann aber nicht mehr als drei, vier Euro sein", verdeutlicht Popp das Dilemma.
Also wurde in Jena erneut getüftelt. "Wir haben den Chip komplett redesigned", sagt Popp, insgesamt wurden neun verschiedene Typen entwickelt. Einer scheint nun vielversprechend, sowohl funktionell als auch finanziell. Dieser soll jetzt in Folgeprojekten in die Messeinheit integriert und mit der Routinediagnostik verglichen werden.
Sepsis - Was ist das?
Sepsis gilt als die dritthäufigste Todesursache in Deutschland, jährlich erliegen nach Angaben der Sepsis-Stiftung in Jena bis 75.000 Menschen den Folgen einer Infektion. Wird sie nämlich zu spät erkannt, kann sie zu Schock, Multiorganversagen und zum Tode führen. Bei einer Sepsis vermehren sich Keime im Körper explosionsartig und können binnen kürzester Zeit Organe oder Gewebe stark schädigen.
Bevor der Chip in die Massenproduktion gehen darf, wird er noch durch die Mühlen der Medizin-Bürokratie gedreht. "Ein hochreguliertes Verfahren, bis der Chip als medizinisches Diagnoseverfahren zugelassen wird, da gibt es keine Kompromisse", sagt Sepsis-Spezialist Michael Bauer. Jedes Detail muss stimmen, jede nachträgliche Änderung würde nämlich ein neues Zulassungsverfahren anschieben.
Sind die Jenaer nun eigentlich die einzigen, die an einem schnelleren Sepsis-Diagnose-Verfahren tüfteln? Es gibt andere Anbieter, die an einem Chip zur Sepsis-Erkennung arbeiten, räumen die Forscher ein. "Aber schneller als unser multifunktionaler Chip mit Erreger-Identifizierung und phänotypischer Resistenztestung ist tatsächlich keiner", sind sich Popp und Bauer einig. Bis ihre Erfindung tatsächlich im medizinischen Alltag ankommen wird, werden trotzdem noch ein paar Jahre vergehen.
14 Jahre von der Idee bis zum Einsatz: Geht das nicht schneller?
14 Jahre sind es durchschnittlich bis Jürgen Popp zufolge aus einer Idee ein marktfähiges Produkt wird. Aber in Zukunft könnte es schneller gehen, 2019 wurden die Weichen gestellt für große Forschungsinfrastrukturen, die solche Umwege – etwas erfinden, dann feststellen, huch, das ist ja finanziell in der Praxis nicht konkurrenzfähig, da müssen wir unser Produkt noch mal neu denken, - ersparen.
Ein Beispiel dafür ist das Leibniz-Zentrum für Photonik in der Infektionsforschung (LPI). Hier werden Kompetenzen aus Forschung und Praxis in allen Entwicklungsprozessen gebündelt und ineinander verzahnt. In Fall des Sepsis-Chips wird in Jena nun mittels lichtbasierter, also photonischer, Verfahren erforscht, wie Mikroben den Menschen krank machen, wie sich der Körper wehrt und wie sich diese Prozesse beeinflussen lassen. Entwicklungen wie die des Jenaer Diagnosechips werden dann schneller gehen, wenn Entwicklungsprozesse schlanker sind, hoffen Popp und Bauer.