Design-Professor Klaus Michel über die Zukunft des SitzensDreifache Erdbeschleunigung: Das muss ein Stuhl aushalten!
"Wenn Sie einen Tisch machen, ist die Sache viel einfacher." Warum Klaus Michel, Professor für Innenarchitektur an der Kunsthochschule Burg Giebichenstein in Halle, nun ausgerechnet so eine große Faszination für Stühle hat, ist schnell klar: Der Stuhl ist möglicherweise das kompliziertes Möbel überhaupt. Eine gute Sitzgelegenheit muss nämlich eine Menge aushalten. Mit 3 g ist das die dreifache Erdbeschleunigung und damit das dreifache Körpergewicht. Zum Vergleich: Bei einer Achterbahn können Kräfte von 4 g wirken.
Bei mir sind das 260 bis 290 Kilo, die so ein Stuhl aushalten muss. Er soll aber nur zwei Kilo wiegen, weil man mehr nicht gern herumträgt.
Prof. Klaus Michel
Zudem soll das Möbelstück einer bestimmten Zeit gerecht werden und die auch möglichst als zeitloses Schmuckstück überstehen. Und ja, bequem sein bitte auch noch: "Wenn das Design nicht bequem ist, ist es kein gutes Design", erklärt Klaus Michel. Dabei könnte ein unbequemer Sitz durchaus gesünder sein als ein hochtechnischer, ergonomischer Drehstuhl. Denn je gefälliger die Sitzgelegenheit, desto länger hält es der Sitzende aus. Doch diese körperliche Inaktivität ist ein großes Risiko.
Ich sitze am besten kurz. Mein Bürostuhl hat eine spartanische Holzsitzfläche. Da tut mir nach einer Stunde der Popo weh und ich stehe auf.
Prof. Klaus Michel
Eine gute Gelegenheit für Streckübungen oder etwas Dehnung. Ohnehin ist es ratsam, solche Übungen direkt in den Tag zu integrieren, anstelle sie auf das Workout am Abend zu legen.
Unsere Büros: Künftig nur noch eine Anekdote
Würde es nach dem Designer Philippe Starck gehen, wäre das Sitzen ohnehin in ein paar Jahren "abgeschafft". In einem Interview vermutet er, dass wir dann eher stehen und liegen werden. Zwei Haltungen, die deutlich natürlicher sind. So absolut würde es Klaus Michel nicht formulieren. Dass sich das Sitzen grundlegend ändern wird, sieht aber auch er so: "Wenn wir in zehn Jahren auf die heutigen Büros zurückblicken, werden wir lachen. Denn den klassischen Bürodrehstuhl wird es nicht mehr geben. Da wird man sagen: Das war eine bleierne Zeit."
Der Trend zur Ablösung der konventionellen Büroamtmosphäre lässt sich jetzt schon bei jungen Unternehmen erkennen. Neben Steharbeitsplätzen bieten Start-ups oftmals auch Alternativen wie Sitzsäcke an, auf denen man eher liegt als sitzt. Oder gleich eine Sitzlandschaft aus Europaletten. Und Tischfußball, für mehr Bewegung am Arbeitsplatz.
Die von Möbelhäusern beworbene "neue Freiheit" – in Studenten-WGs seit jeher alltäglich –, doch einfach verschiedene Stühle um den Esstisch zu stellen, ist inzwischen auch bei Innenarchitekten angekommen. Es mag ästhetisch sein, wenn Stuhl und Stuhl aus einem Guss kommen. Doch so unterschiedlich, wie die Menschen gebaut sind, sind auch ihre Anforderungen ans Sitzmöbel. Ansonsten: Auf den Tisch legen. Ist sowieso gesünder.