Der Sonne so nah wie noch nie ESA-Sonde Solar Orbiter schickt erste Bilder
Hauptinhalt
16. Juli 2020, 17:47 Uhr
Der Solar Orbiter, eine gemeinsame Sonde von ESA und NASA, hat die ersten Bilder gesendet, die unseren Stern so nah wie noch nie und in bisher nicht dagewesener Auflösung zeigen. Unter anderem entdeckten Wissenschaftler "Lagerfeuer" auf der Sonne.
Am 10. Februar, kurz vor dem Corona-Lockdown, startete eine der wichtigsten Missionen von ESA und NASA der kommenden Jahre: der Solar Orbiter. Die Sonde umkreist unsere Sonne und soll dabei neue Daten liefern zu ihrem Magnetfeld und den Sonneneruptionen, die die elektronischen Systeme der Menschheit bedrohen können. Jetzt haben Ingenieure die wissenschaftlichen Instrumente an Bord der Sonde zum ersten Mal getestet. Und die Bilder sind spektakulärer, als es die Wissenschaftler erwartet haben.
Lagerfeuer in der Sonnenkorona
Die Sonde hat sich der Sonne auf 77 Millionen Kilometer genähert, das entspricht etwa dem halben Abstand der Erde zu unserem Stern. David Berghmans ist wissenschaftlicher Leiter für die Extrem-Ultraviolett-Kamera (EUI), die aus diesem Abstand detaillierte Aufnahmen der sogenannten ruhigen Corona gemacht hat. Er ist begeistert von der Qualität der Daten. Die erste Reaktion des Teams sei gewesen: "Was? Die Fotos können doch nicht so gut sein", sagt er bei einer virtuellen Pressekonferenz am 16. Juli.
Die Sonnenkorona ist ein Teil der oberen Atmosphäre um die Sonne, der nicht sehr dicht, aber extrem heiß ist. Während die Sonnenoberfläche lediglich etwa 5.000 Grad Celsius heiß ist, steigt die Temperatur in der Corona auf eine Millionen Grad. Die ruhige Corona heißt eigentlich so, weil man sie für eine wenig aktive Region hielt. Auf den neuen Aufnahmen der EUI sind allerdings sehr viele kleinste Sonneneruptionen zu sehen. "Wir haben ihnen jede Menge verrückte Namen gegeben, etwa Lagerfeuer oder Geister", sagt Berghmans. Nun sollen weitere Beobachtungen zeigen, wie diese kleinen Eruptionen tatsächlich beitragen zur riesigen Plasmablase, die das Sonnensystem umgibt.
Ziel: Vorhersage des Weltraumwetters
Solche Sonneneruptionen tragen schließlich zu den Sonnenwinden und damit zum Phänomen des sogenannten Weltraumwetters bei. Gelegentlich treffen größere Stürme von Partikeln die Erdatmosphäre. Während das in früheren Zeiten ohne große Folgen blieb, zeigte bereits das Carrington-Ereignis 1859 erstmals, was heute droht: Damals traf ein extrem starker Sonnensturm die Erde und setzte Teile des Telegrafensystems in Brand. Leitungen sprühten Funken. Heute könnte ein solcher Sonnenwind weite Teile der Stromversorgung lahmlegen, Satelliten beschädigen und für einen Ausfall von Telekommunikations- und Navigationssystemen sorgen.
Allerdings können die Systeme geschützt werden, wenn sie rechtzeitig vor dem Eintreffen eines Sonnensturms heruntergefahren werden. Wenn die Wissenschaftler besser verstehen, wie sich das Magnetfeld und die Atmosphäre der Sonne verändern, können sie eher berechnen, wann bestimmte Ereignisse eintreten. "Wir können das Weltraumwetter nicht verändern, aber wir hoffen, es vorhersagen zu können", sagt Sami Solanki vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung in Göttingen. Er ist wissenschaftlicher Leiter für die Polarimetrische und Helioseismische Kamera, ein weiteres von insgesamt zehn Instrumenten an Bord. Es dient vor allem der Erforschung des Magnetfelds der Sonne und soll Hinweise liefern, wie der ungefähr elf Jahre dauernde Zyklus aus aktiven und ruhigen Phasen der Sonne genau angetrieben wird.
Solar Orbiter soll erstmals Pole der Sonne beobachten
Aktuell befindet sich der Solar Orbiter noch in der Vorbereitungsphase der eigentlichen Mission. In den kommenden Jahren soll er zwei Mal die Venus und einmal die Erde passieren. Dabei wird die Sonde die Schwerkraft der Planeten nutzen, um sich in ihre Zielumlaufbahn um die Sonne zu bringen. Die soll sie unter anderem über die Polarregionen unseres Sterns führen, also die Angelpunkte der Achse, um die sich die Sonne dreht. Das Besondere: Weil sich alle Planeten in einer Bahnebene um den Äquator der Sonne bewegen, haben wir die Pole noch nie gesehen.
Zudem kann der Solar-Orbiter Wellenlängen des Lichts erfassen, die den Erdboden nie erreichen, weil sie von unserer Atmosphäre absorbiert werden. Derzeit befindet sich die Sonne in einer ruhigen Phase. Aber die Forscher erwarten, dass die Sonnenaktivität stark zunimmt und dann im Jahr 2022 deutlich zu beobachten ist, wenn der Solar Orbiter seine wissenschaftliche Zielumlaufbahn erreicht.
Goldene Jahre der Sonnenforschung
Der Solar Orbiter ist nicht das einzige Raumschiff, das derzeit die Sonne beobachtet. Auch die Parker Solar Probe (Nasa) und BepiColumbo (ESA und JAXA) umkreisen den Stern. Für die Wissenschaftler ergeben sich so interessante Möglichkeiten zur Kombination. So kann der Solar Orbiter beispielsweise das Umfeld der Parker Solar Probe beobachten, wenn diese sich der Sonne sehr eng nähert. Weil Parker deutlich enger am Stern operiert, konnten die Forscher dort keine Kameras installieren. Sie wären von der Strahlung der Sonne zerstört worden. Die Kombination verschiedener Sonden macht aber möglich, dass so umfangreiche Daten von verschiedenen Instrumenten gesammelt werden können. Die am Solar Orbiter beteiligten Wissenschaftler gehen deshalb davon aus, dass die kommenden Jahre große Fortschritte bei der Erforschung der Sonne bringen werden.