Badesaison Mehr Badetote wegen Corona?

Die Hitze kommt, Badeseen und Freibäder locken mit Abkühlung. Eigentlich ein großer Spaß, aber gerade in Binnengewässern ertrinken jährlich hunderte Menschen. 362 waren es 2019, gab die Deutsche Lebensrettungsgesellschaft im März bekannt. Und auch in der aktuellen Saison gab es bereits die ersten Badetoten. Wo und warum können Gefahren den Badespaß trüben und worauf man sollte man achten? Und was hat das mit Corona zu tun?

Blondes Kind mit orangfarbenen Schwimmflügel planscht im Wasser.
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Der Himmel ist blau, die Sonne strahlt und die Temperaturen klettern unaufhaltsam nach oben. Sommerzeit ist Badezeit. Bäche, Seen und Freibäder bieten die perfekte Abkühlung an diesen Tagen. Und gerade in diesem Sommer wird es mehr Urlauber als sonst an die heimischen Bäder, Nord- und Ostsee ziehen, denn in Coronazeiten ist Urlaub in Deutschland angesagt.

Eigentlich ein riesiges Vergnügen für alle, doch leider kommt es immer wieder zu tragischen Badeunfällen. 2019 endeten 417 davon tödlich. Das waren zwar knapp 20 Prozent weniger als im Vorjahr, doch für die Deutschen Lebensrettungsgesellschaft (DLRG) ist das kein Grund, sich entspannt zurückzulehnen:

Achim Wiese
Achim Wiese, DLRG-Pressesprecher Bildrechte: DLRG

Die geringere Zahl der Todesfälle ist durch das wechselhafte Wetter im Sommer 2019 zu erklären. Die Leute waren einfach weniger baden.

Achim Wiese, Pressesprecher der DLRG

Der vergangene Sommer war zwar heiß, aber auch von kühleren Tagen, Schauern und Gewittern durchzogen, weshalb die Menschen insgesamt weniger Zeit an und in Gewässern verbracht hätten, so Wiese. Am gefährlichsten ist es, in unbewachten Binnengewässern zu baden. 362 der 2019 Ertrunkenen kamen dort ums Leben.

Nur wenige Seen und Flüsse werden von Rettungsschwimmern bewacht. Das Risiko, dort zu ertrinken, ist deshalb um ein Vielfaches höher als an Küsten oder in Schwimmbädern.

Achim Haag, Präsident des DLRG

Doch wegen der vielen Deutschland-Urlauber 2020 befürchtet die DLRG, dass zum einen die Bäder bei gutem Wetter besonders voll sind und Badelustige auch noch häufiger auf unbewachte Strände oder Flussufer ausweichen. Der DLRG Bremen warnte gegenüber dem Magazin bunten und binnen vor mehr Badetoten. "Mehr Leute bedeuten für uns auch immer mehr Einsätze und mehr Unfälle", so Philipp Postulka, Vorstandsmitglied des Bremer Landesverbandes der DLRG.

Das geht beim Pflaster los, kann aber auch beim Ertrinkungsunfall enden.

Philipp Postulka, DLRG

Wer ist am stärksten gefährdet?

Laut DLRG sind es zum einen ältere Menschen, die ihre Kraftreserven überschätzen oder ihre Vorerkrankunen wie Herzprobleme oder Diabetes ignorieren. Drei Viertel der Ertrunkenen waren männlich, was Achim Wiese mit Leichtsinn, Übermut und Unterschätzung von Gefahren erklärt. In 27 Fällen waren Menschen mit Migrationshintergrund betroffen.

In den Herkunftsländern der Einwanderer ist Wasser zu kostbar, um darin zu baden. Deshalb können sie oft nicht schwimmen.

Achim Wiese, Präsident des DLRG

Diese Menschen möchten aber teilhaben und gehen dann einfach mit ins Wasser, ohne sich der Gefahr bewusst zu sein. Ein weiteres Problem, auf das die Lebensretter seit Jahren aufmerksam machen: Immer weniger Kinder können sicher schwimmen.

Deutschland - Nichtschwimmerland?

2019 ertranken 17 Kinder im Vorschulalter, 8 im Grundschulalter. Seit Jahren macht die DLRG darauf aufmerksam, dass es an ausreichenden Möglichkeiten für eine fundierte Schwimmausbildung fehlt. Zwar steht das Schwimmen in der Grundschule auf dem Lehrplan, doch haben ca. 25 Prozent der Einrichtungen gar keinen Zugang zu Schwimmhallen. Auch an Lehrern, die unterrichten dürfen, mangelt es. Denn ein Grundschullehrer, der Schwimmunterricht erteilen will, muss auch ein Rettungsschwimmerzeugnis haben. Das Ergebnis der Misere:

Schwimmkurse außerhalb der Schulen wie die der DLRG haben Wartelisten von bis zu zwei Jahren.

Achim Haag, Präsident der DLRG

Damit wird auch den Eltern der Weg erschwert, die die Schwimmausbildung ihrer Kinder außerhalb der Schule fördern möchten. Die DLRG hat mit ihrer Petition "Rettet die Bäder!" auf den Notstand aufmerksam gemacht. Anfang 2020 stellte der Sportausschuss des Bundestages ernsthafte Pläne für ein bundesweites Investitionsprogramm für Schwimmbäder in Aussicht. Dann kam Corona und der Schwimmunterricht fiel ganz aus. "In diesem Sommer laufen wir Gefahr, viele Kinder oder erwachsene Menschen zu verlieren, weil sie den Umgang mit Wasser in den letzten Monaten nicht üben konnten", sagte die frühere Weltklaseschwimmerin Franziska van Almsick Anfang Juni im NDR.

Ein Seepferdchen ist keine Überlebensgarantie

Das Schwimmabzeichen "Seepferdchen" ist zwar ein guter Anfang, ersetzt aber die Aufsicht durch einen Erwachsenen nicht. Als sicherer Schwimmer gilt ein Kind erst, wenn es mindestens das Jugendschwimmabzeichen Bronze erreicht hat, also ohne Probleme 200 Meter weit schwimmen kann. Und selbst dann sollte man sein Kind im Auge behalten, denn einen in Not geratenen Schwimmer erkennt man nicht so ohne Weiteres, wenn er von anderen Badegästen umringt ist.

Baderegeln gelten auch für Erwachsene

Die Baderegeln hat die Deutsche Lebensrettungsgesellschaft aufgestellt, um Unfälle zu vermeiden. Jeder Schwimmanfänger muss sie auswendig können, wenn er ein Schwimmabzeichen ablegen möchte. Mit der Zeit geraten sie jedoch ins Vergessen, bedauert DLRG-Pressesprecher Wiese und macht diese Tatsache mit verantwortlich für die Todesfälle im Wasser. Hier zwei der bekanntesten Regeln und ihre Begründung:

Weder mit vollem noch mit leerem Bauch ins Wasser?

Zwar konnte nie nachgewiesen werden, dass ein voller Bauch die Schwimmfähigkeit beeinträchtigt. Doch es besteht vor allem bei Kindern die Gefahr, dass ihnen schlecht wird, sie sich erbrechen und vielleicht Wasser schlucken. Mit leerem Magen kommt man aber auch nicht weit: Um sich über Wasser zu halten, braucht man viel schnell verfügbare Energie, am besten aus einer kohlehydratreichen, leichten und kleinen Mahlzeit.

Schadet ein Sprung ins kalte Wasser dem Herz?

Ja, bei Menschen mit unerkannten Herzerkrankungen oder bei Kindern kann das wirklich gefährlich sein. Denn bei warmem Wetter fließt Blut vermehrt in Arme und Beine. Bei einem Sprung ins kalte Wasser ziehen sich die Blutgefäße plötzlich zusammen und pumpen das Blut ins Herz, was zu Rhythmusstörungen führen kann. Doch in den seltensten Fällen ist so ein Ereignis tödlich.

Alle Baderegeln der DLRG wurden in 25 Sprachen und Piktogrammen veröffentlicht und stehen als kostenloser Download zur Verfügung.

Gibt es Sekundäres oder "trockenes" Ertrinken?

Ein Kind taucht im Swimmingpool.
Bildrechte: imago images/CHROMORANGE

Immer wieder werden Geschichten vom sogenannten sekundären Ertrinken öffentlich. Dabei sollen Kinder erst Stunden oder Tage nach dem Badeunfall plötzlich gestorben sein. Kinderärztin Heike Teichler aus Halle hält dieses Phänomen allerdings für einen Mythos, denn normaler Weise haben die Kinder automatisch einen Hustenreiz, der nicht zu unterdrücken ist. Dieser sollte sie von der eingeatmeten Flüssigkeit befreien.

Und nur wenn diese Wassermenge bedenklich ist, kommt es zu allgemeinen Beschwerden, wie Atemnot und Blaufärbung. Dann sollte der Notarzt gerufen werden.

Heike Teichler, Kinderärztin

Zeigt das Kind keine Symptome, gibt es zunächst keinen Grund, sich Sorgen zu machen. Sollten später nach dem Badeunfall Schmerzen oder Atemnot auftreten, ist ein Arztbesuch ratsam. So könnten eingeatmete verunreinigte Wasserpartikel eine Lungenentzündung verursachen.

Ein stiller Tod

Anders als in Filmen immer dargestellt, rudern die wenigsten in Not geratenen Schwimmer mit den Armen und rufen um Hilfe. Sie gehen eher lautlos unter, denn der Ertrinkende ist erschöpft, bewußtlos oder das Herz versagt. Und weil das Ertrinken ein so stiller Vorgang ist, wird es oft gar nicht oder zu spät bemerkt. Gerade an Badeseen und Stränden, die nicht bewacht sind, ist das eine große Gefahr.

Deshalb ist es enorm wichtig, dass Badegäste ehrlich zu sich selbst, sich über ihre eigene Schwimmfähigkeit bewusst sind und Erschöpfungsanzeichen dringend ernst nehmen. Darüberhinaus gibt es noch weitere Tipps, damit der Tag am Baggersee unbeschwert endet:

krm

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 12. Juni 2016 | 00:01 Uhr