Seitlicher Ausschnitt der Sonnenoberflächem, die einem Feuerball gleicht. Sonnenerruptionen – ähnlich lodernder Flammen – dringen nach außen.
Kernfusion: Kann die Sonne schon längst. Bildrechte: imago images/Panthermedia

Weltraumwetter Sonnensturm, oh Sonnensturm: Was ist dran an der "Gefahr" aus dem All?

09. März 2023, 14:25 Uhr

In Deutschland kann es derzeit zu vereinzelten Polarlichter-Erscheinungen kommen. Sonnenstürme sollen diese verursachen. Doch ein Sonnensturm kann auch elektronische Geräte lahmlegen – zumindest springen gerade viele Medienberichte auf den Sonnen-Zug auf. Aber was ist wirklich dran an der Gefahr aus dem Weltall? MDR WISSEN hat sich an Experten gewandt und eines vorab: Wir können Entwarnung geben.

"Passt auf: Es herrscht ein Sonnensturm. Vielleicht stürzen bald Flugzeuge und Satelliten ab." Dieser Tenor zieht gerade durch die Medienlandschaft. Klar, die Gefahr aus dem All klickt gut. Und auch Hollywood hat uns den Untergang der Welt anhand der Sonne und ihrer Stürme teilweise gut verkauft. Doch wie gefährlich sind die solaren Stürme, die auf der Erde für schöne Polarlichter sorgen sollen? 

Dass es derzeit sogar über Deutschland zu Polarlichtern kommen kann, hat uns Dirk Schlesier bereits Anfang des Jahres erzählt. Er ist der Leiter des Planetariums in Halle, das am 30. März 2023 seine Neueröffnung feiern soll, und kein Wahrsager. Schlesier stützt sich auf Daten, die wir über die letzten Jahre von der Sonne gesammelt haben – sei es von Beobachtungen von der Erde aus oder mit Raumsonden wie der Parker Solar Probe der amerikanischen Raumfahrtbehörde Nasa, der Raumsonde Solar Orbiter von der europäischen Raumfahrtagentur Esa oder anderen Satelliten.

Eine Weltraum-Kollage mit Dirk Schlesier, dem Leiter des Planetariums in Halle (Saale), im Vordergrund. 14 min
Eine Weltraum-Kollage mit Dirk Schlesier, dem Leiter des Planetariums in Halle (Saale), im Vordergrund. Bildrechte: MDR, Planetarium Halle/Dirk Schlesier, Nasa, SpaceX

"Es ist so, dass die Sonne im Moment sehr aktiv ist. Und Teleskope, die mit Finsternis-Folie ausgestattet sind, zeigen uns Flecken auf unserer Sonne: Sonnenflecken. Die sind im Moment sehr stark", erklärt der Planetariumsleiter und führt aus: "Und immer, wenn man viele Sonnenflecken auf unserem Stern sieht, dann weiß man: Da geht richtig die Post ab. Und wir sind gerade auf einem aufsteigenden Ast der Sonnenaktivität." 

Erhöhte Sonnenaktivität? Aber warum?

Tatsächlich ist die Sonne derzeit aktiver. Sonnenstürme häufen sich. Bereits am 2. Februar 2023 haben Forschende einen abfallenden Plasmastreifen von der Sonne mit hochauflösenden Kameras beobachten können. Zur selben Zeit kam es auch auf der Erde zu vermehrten Polarlichter-Sichtungen. Doch zwischen beiden Ereignissen bestand kein Zusammenhang.  

MDR WISSEN hatte den deutschen Sonnenforscher und einen der weltweit führenden Experten hinsichtlich der Physik der Sonne zu diesem Ereignis befragt: Volker Bothmer vom Institut für Astrophysik und Geophysik von der Georg-August-Universität Göttingen. Bothmer ist auch ein Teil des wissenschaftlichen Teams der Nasa-Raumsonde Parker Solar Orbiter, die erste Raumsonde, die die Sonne berührte.

Eine künstlerische Darstellung wie die NASA-Raumsonde 'Parker Solar Probe' durch die Korona der Sonne fliegt. Die Raumsonde befindet sich ganz klein in der oberen rechten Bildecke. Links unten nimmt die Sonne die Hälfte des Bildes ein und leuchtet orange-gelblich. Drum herum befindet sich ein orange-rötliches Gitternetz, dass die Alfvén-Oberfläche darstellen soll: Der Bereich, an dem Sonnenmaterie zu Sonnenwind wird.
Eine künstlerische Darstellung wie die NASA-Raumsonde 'Parker Solar Probe' durch die Korona der Sonne fliegt. Die Raumsonde befindet sich ganz klein in der oberen rechten Bildecke. Links unten nimmt die Sonne die Hälfte des Bildes ein und leuchtet orange-gelblich. Drum herum befindet sich ein orange-rötliches Gitternetz, dass die Alfvén-Oberfläche darstellen soll: Der Bereich, an dem Sonnenmaterie zu Sonnenwind wird. Bildrechte: Joy Ng, NASA Goddard Space Flight Center

Die Beobachtungen, die seine Kollegen gemacht haben, konnte Bothmer bereits oft machen. Dennoch beschreibt er es als "eine spektakuläre Beobachtung, die das Erreichen des bevorstehenden Maximums und die Umpolung" des Sonnenmagnetfeldes ankündigt. Nach dem Maximum werden quasi aus dem Südpol der Nordpol und aus dem Nordpol der Südpol. 

Sonnenmaximum und -minimum: Was sind passiert da?

"Man kann ja schlecht hellsehen und es präzise vorhersagen, aber das Minimum hatten wir so im Jahr 2020 herum und es dauert dann immer so zwei, drei Jahre bis zum ersten Maximum", so der Sonnenexperte. Zudem redet er von einem ersten Maximum, weil "es sich meistens über eine Phase von zwei, drei Jahren hinzieht. Daher gibt es nicht genau eine Spitze der Sonnenfleckenhäufigkeit, sondern praktisch eine Maximumphase. Danach geht es wieder runter zum Minimum." Da diese Phase ungefähr sechs Jahre andauert, müsste das nächste Maximum für voraussichtlich 2024 erreicht werden.

Das Magnetfeld der Sonne und die Freisetzung von Plasma wirken sich direkt auf die Erde und den Rest des Sonnensystems aus
Das Magnetfeld der Sonne und die Freisetzung von Plasma wirken sich direkt auf die Erde und den Rest des Sonnensystems aus Bildrechte: imago/UPI Photo

Wenn sich die Sonnenaktivitäten sich in der Phase des Minimums befinden, können die Forschenden meistens sehr gut von einem Bi-Pol sprechen. Die Sonne hat dann einen Nord- und Südpol. Jedoch sind es in den Maxima-Phasen viele solcher Pole, weswegen die Astronomen und Astrophysikerinnen von Multipolen sprechen. "Da gibt es dann viele, viele kleine Pole und größere Sonnenflecken-Gruppen an der Oberfläche. Dann kann man das Sonnenmagnetfeld dort nicht mehr als Nord- und Südpol beschreiben", so Bothmer. Dies hängt mit der Konzentration der Materie im Sonneninneren zusammen.

In der Phase der Maxima nehmen auch die Sonnenstürme zu: "Es ist so, dass wir Millionen Tonnen Materie in einem Sonnensturm nach außen geschleudert bekommen, auch ständig über den normalen Sonnenwind. Die abgegebene Masse ist aber minimal gegenüber der Gesamtmasse der Sonne."

Solare Sturmfront: Wann kommt es zu Polarlichtern? 

Auf der Sonne stürmt es immer, erklärt Bothmer. "Es gibt im Prinzip Tausende, Zehntausende von Sonnenstürmen, aber viele von ihnen sind wirklich klein" – von 10.000 Sonnenstürmen schaffen es vielleicht 50 Stück gen Erde. Wobei diese dann auch die kleine Kugel passieren müssen, auf dessen Weg der Sturm bereits 150 Millionen Kilometer unterwegs ist. Mit 3D-Modellen können die Forschende das sehr gut vorhersagen, da der Ausbruch nach acht Minuten für uns bereits sichtbar ist – immerhin breitet sich das Licht mit Lichtgeschwindigkeit aus –, die Stürme aber viel länger für ihren Weg gen Erde brauchen. 

"Es ist wie beim Hurrikane auch nicht egal, ob wir das Zentrum des Sonnensturms durchqueren oder ihn eher seitlich durchqueren", erklärt der Experte. Dann berechnen die Forschenden, ob "die ausgeschleuderten Sonnenmagnetfelder einen Kurzschluss mit dem Erdmagnetfeld hervorrufen", was zu einer erhöhten Polarlicht-Aktivität führen kann.

Sehr selten kann eine in der Atmosphäre aufsteigende Schwerewelle gefiltert und so gebogen werden, dass sie zwischen der Mesopause und einer Inversionsschicht, die sich intermittierend unterhalb der Mesopause bildet, hin und her wandert. Die Mesopause und die Inversionsschicht sind kälter als die anderen Schichten der Atmosphäre. In dem zwischen diesen beiden Schichten gebildeten Wellenkanal können von unten kommende Schwerewellen große Entfernungen zurücklegen, ohne sich abzuschwächen. Dünenförmige Polarlicht-Emissionen entstehen, wenn der Sonnenwind die Sauerstoffatome auflädt, die durch den Kanal strömen.
Sehr selten kann eine in der Atmosphäre aufsteigende Schwerewelle gefiltert und so gebogen werden, dass sie zwischen der Mesopause und einer Inversionsschicht, die sich intermittierend unterhalb der Mesopause bildet, hin und her wandert. Die Mesopause und die Inversionsschicht sind kälter als die anderen Schichten der Atmosphäre. In dem zwischen diesen beiden Schichten gebildeten Wellenkanal können von unten kommende Schwerewellen große Entfernungen zurücklegen, ohne sich abzuschwächen. Dünenförmige Polarlicht-Emissionen entstehen, wenn der Sonnenwind die Sauerstoffatome auflädt, die durch den Kanal strömen. Bildrechte: Jani Närhi

Die ausgeschleuderten Solarteilchen prasseln dabei nicht einfach auf die Erdatmosphäre ein, sondern werden von unserem Erdmagnetfeld abgeschirmt. Doch bei stärkeren Sonnenwinden kann das Magnetfeld auf der sonnenabgewandten Seite – dem sogenannten Magnetschweif der Erde – zusammengedrückt werden, beschreibt es Bothmer. "Bei diesem magnetischen Kurzschluss entstehen – wie auch auf der Sonne – elektrische Felder, die Elektronen, die ursprünglich aus der Erdatmosphäre stammen, beschleunigen."

Polarlichter auch über Deutschland möglich

Die derzeitige starke Sonnenaktivität kann zu einer Zunahme von Polarlicht-Sichtungen führen – auch über Deutschland. Selbst wenn es hierzulande eher selten ist. Ob es Polarlichter über Ihrer Region gab oder wie hoch die Wahrscheinlichkeit für Polarlichter über Deutschland ist, können Sie beispielsweise auf der Internetseite Polarlicht-Vorhersage für Deutschland nachschauen. Aber auch im Forum für atmosphärische Erscheinungen können Sie sich das ein oder andere Foto eines Polarlichts anschauen.

Ausfall von elektronischen Geräten: Was ist tatsächlich dran?

Wenn ein Sonnensturm auf die Erde trifft, kann es elektronische Geräte geben, die hochsensibel reagieren. Jedoch sind das Geräte, die genau darauf eingestellt wurden. Bothmer erinnert sich an die "sehr empfindliche Seeminen", die während des Vietnamkriegs in den Siebzigern im Einsatz waren. Diese waren bei einem Sonnensturm hochgegangen, "da sie so sensibel getunt worden sind", um möglichst jede Schiffsannäherung zu vermeiden. 

Bei einem magnetischen Kurzschluss mit dem äußeren Erdmagnetfeld werden elektrische Ströme bis hinunter zum Erdboden hervorgerufen. Doch "vor Ort sind diese Ströme sehr klein, da geht kein PC und nichts kaputt".  Anders sieht es bei beispielsweise Transatlantikkabeln aus: "Anhand wissenschaftlicher Analysen gehen wir davon aus, dass nennenswerte Ströme in Leitungen ab etwa 30 Kilometern Länge auftreten." Bei den eigenen Geräten braucht man jedoch keine Angst zu haben, beschwichtigt Bothmer. 

Ein Sonnensturm kann zur kurzfristigen Störung im All führen

Ein Sonnensturm kann Strahlung abrupt in Lichtblitzen – solaren Flares – freisetzten, was zu einer kurzfristigen "Ionisierung von Teilchen in einer Höhe von achtzig bis tausend Kilometern" führen kann. "Die durch den Flare erzeugten Elektronen führen kurzfristig zu einer Atmosphärenveränderung, die wiederum zu Störungen von Funkwellen und GPS-Signalen führt", doch auch das ist nur sehr kurzanhaltend. Eine mögliche Zerstörung von Satelliten ist eher unwahrscheinlich und die Angst um mehr Weltraumschrott ist daher unnötig.

Selbst Flugzeuge brauchen letztendlich nur ihre Flughöhe zu reduzieren. Es ist eher die Radiostrahlung, die bei einem Sonnensturm freigesetzt wird, die "Radarsysteme wie zur Raketenabwehr oder beim Flugverkehr" zu wenig dramatischen Vorkommnissen in den letzten Jahrzehnten führte.

"Auf der Erde selbst bekommt man also vom Weltraumwetter oft recht wenig mit. Bei jedem Raketenstart oder wenn sie auf der Space Station wären, ist hingegen das Weltraumwetter von großer Bedeutung", sagt Bothmer. Für elektronische Bauteile im All und die Astronauten und Astronautinnen stellen hochenergiereichen Teilchen durchaus eine Gefährdung dar. Deswegen gibt es in der Internationalen Raumstation ISS auch einen Schutzraum, in den sich die Raumfahrenden zurückziehen können. Für uns auf der Erde ist das irrelevant, da diese Teilchen von der Erdatmosphäre gestoppt werden.

Fazit: Sonnenstürme nur halb so schlimm

Die Sonne befindet sich kurz vor ihrer Polumkerung, weswegen auch die Aktivitäten auf der Sonne zunehmen. Das ist vollkommen normal. Doch nur wenige Sonnenstürme erreichen tatsächlich die Erde. Sonnenphysiker können anhand von Computermodellen einen solchen Sturm frühzeitig erkennen und Warnungen aussprechen. Jedoch gelten diese Warnungen eher für Aktivitäten im Weltraum. Alles andere ist Medien-Hasche. Auf der Erde sind wir durch unsere schützende Atmosphäre relativ sicher vor elektronischen Ausfällen – ihr Smartphone wird auch während eines Sonnensturms weiter funktionieren. 

Polarlicht 1 min
Bildrechte: MDR/Kari Saari

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