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Silbersalz FestivalAutorin Kübra Gümüsay: Gerechte Sprache ist nicht absolut

20. September 2021, 14:38 Uhr

Wie geht Gerechtigkeit, welche Rolle spielt dabei die Sprache? Ein Thema, mit dem sich die Journalistin und Autorin Kübra Gümüsay stark beschäftigt. Wie gelingt gerechte Sprache und was kann man von Menschen aus der Wissenschaft darüber lernen? MDR WISSEN hat auf dem Silbersalz Festival in Halle mit Gümüsay gesprochen.

von Jessica Brautzsch

Das in Namibia lebende Volk der Himba unterscheidet sprachlich nicht zwischen grün und blau. In der Sprache dort gibt es einfach keine spezifischen Bezeichnungen für diese Farbkategorien, dafür aber für das, was bei uns einfach grün ist. Und auch in Homers "Ilias" wird der Himmel nie als blau bezeichnet. Einfach, weil diese Farbe damals so nicht bewusst wahrgenommen und bezeichnet wurde.

Kübra Gümüsay in einer Talkshow 2015 Bildrechte: imago/Metodi Popow

Solche Beispiele hängen für die Autorin und Journalistin Kübra Gümüsay alle mit der Frage nach einer gerechteren Sprache zusammen. Sie sagt: "Mitunter geht es auch darum, einen Absolutheitsanspruch abzulegen, der in vielen Bereichen unseres Lebens befördert wird, auch in der Sprache. Wir werden ein bisschen zu einer Weltsicht erzogen, bei der wir glauben, dass die Farbnamen, die wir gelernt haben, den Facettenreichtum der Farbwelt abbilden. Aber wir alle wissen, dass man sich sehr gut darüber streiten kann, ob etwas orange oder gelb ist. Das zeigt, dass die Worte, die wir wählen, um etwas zu beschreiben, lediglich Werkzeuge sind."

Sprache ist kein fertiges, perfektes Werkzeug

Kübra Gümüsay will nicht dafür werben, neue Wörter in die deutsche Sprache zu pressen.

Begriffe und Kategorien bleiben in jeder Sprache wichtig, um sich zu verständigen, meint Gümüsay: "Wir brauchen die Farbkategorien, um uns über diesen Baum unterhalten zu können. Allerdings sind diese Kategorien, die wir geschaffen haben, eine Notwendigkeit, die nicht absolut ist. Über einen Menschen zu sagen, dass er geflüchtet ist, dass er weiß ist oder eine Transperson ist: Das sind alles Tatsachenbeschreibungen. Einen Menschen auf diese eine Facette seiner Identität zu reduzieren und auch noch zu glauben, man wisse, wer diese Person sei, weil alle Transpersonen so seien oder alle weißen Männer, das tut den Menschen unrecht."

Sie hören den Satz: Ein Elefant frisst einen Weihnachtsbaum. Was haben Sie vor Augen: einen geschmückten Baum, einen mit Tannennadeln, ist der Baum größer als der Elefant oder umgekehrt? Sprache zeigt immer nur einen Ausschnitt, sagt Kübra Gümüsay. Bildrechte: Zoo Dresden

Beim Sprechen sollte Gümüsay zufolge die Komplexität der Welt mitgedacht werden. Allerdings sähen wir immer nur einen Ausschnitt davon, dessen sollte man sich bewusst sein, meint die Autorin. Sie verdeutlicht das anhand eines Beispiels aus dem südasiatischen Raum über einen Elefanten: "Der öffentliche Diskurs ist ein bisschen so vorstellbar, wie ein dunkler Raum. Darin werden verschiedene Menschen gebeten, zu beschreiben, wie sich dieses Wesen Elefant anfühlt. Die einen sagen, Elefanten sind weiche, lange Wesen. Andere sagen, Elefanten sind dünne, haarige oder ledrige, schwere Wesen. Alle haben recht. In dem Moment, in dem eine Perspektive einen Absolutheits-Anspruch formuliert, und diese Perspektive zur einzig legitimen, universellen Perspektive erklärt, werden alle anderen Perspektiven negiert und unterdrückt. Und wir verpassen den Moment zu erkennen, was dort im Raum steht."

Achtsamer Umgang mit Sprache

Gümüsay plädiert für eine gewisse Demut im Umgang mit Sprache und Realität. Als ein positives Beispiel für den Umgang mit komplexen Situationen fällt ihr der Anfang der Corona-Pandemie ein: "Da haben wir in der Öffentlichkeit erlebt, wie Menschen in Verantwortungspositionen mit Demut an die Öffentlichkeit herangegangen sind: 'Wir wissen nicht, ob diese Maßnahme den gewünschten Erfolg erzielen wird, wir müssen schauen, wir die Zahlen in zwei Wochen sind. Wir probieren jetzt das. Und dann lernen wir aus unseren Fehlern.' Da haben wir das öffentliche Transparent-Machen der eigenen Begrenztheit erlebt." Allerdings sei diese Haltung schnell wieder gekippt. Eine Kultur des Absolutheitsanspruchs sei ausgebrochen, so Gümüsay: "Wir haben erlebt, wie Wissenschaftler*innen, die genau das leben, das Wissen über ihre eigene Begrenztheit, das Wissen darum, wie wenig sie wissen, plötzlich mit Hass und Häme überschüttet wurden." Dabei lebe gerade die Wissenschaft vor, wie Diskussionen funktionieren könnten, ohne den Anspruch, die Wahrheit für sich gepachtet zu haben. Einen solchen konstruktiven sprachlichen Umgang würde sich Gümüsay in der Gesellschaft wünschen und Diskussionen, in denen alle Beschreibungen und Perspektiven gelten können, um einen Konsens zu finden.

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