Ausgründung der TU Dresden Dresdner Start-Up will Diabetes stoppen

14. September 2020, 13:30 Uhr

Mehr als sieben Millionen Menschen in Deutschland leiden an Diabetes. Ein Medikament dagegen gibt es bisher nicht – doch ein Start-Up aus Dresden könnte das jetzt ändern: "Innate Repair Saxony" geht aus der Technischen Universität Dresden hervor. Die Forscher haben einen molekularen Mechanismus entdeckt, mit dessen Hilfe sie die Insulinproduktion im Körper einfach wieder "anschalten" wollen.

Stammzellen sind die Alleskönner unseres Körpers: Sie können sich teilen und zu verschiedensten Zelltypen werden. Was sie tun sollen, sagen ihnen die Signale unseres Gehirns. Und genau so einen Signalweg hat Andreas Androutsellis-Theotokis gefunden.

Entdeckung aus der Krebsforschung

Zu diesem Zeitpunkt lebte er noch in den USA. Dort forschte der Grieche an Stammzellen im Gehirn: Er wollte wissen, warum ein Hirntumor trotz Krebsbehandlung wieder wachsen kann. Die Antwort lautet: Weil unser Gehirn den Tumor-Stammzellen das Signal zum reparieren des angegriffenen Gewebes sendet.

Wir haben einen ganzen molekularen Mechanismus gefunden. Er hilft, verletztes Gewebe wieder zu regenerieren.

PD Dr. Andreas Androutsellis-Theotokis
Ein Mann in weißem Laborkittel sitzt vor einem Mikroskop, dahinter stehen zwei weitere Männer - einer im blauen Anzug und einer mit einem kariertem Hemd.
Forscher Andreas Androutsellis-Theotokis mit seinen Investoren - sein Bruder Stefanos Androutsellis-Theotokis (links) und Dr. Nicholas Kassapakis (rechts) - ein Freund aus Studientagen. Bildrechte: MDR/Kristin Kielon

Wenn also irgendein Gewebe im Körper zerstört wird, geht eine Meldung ans Gehirn und das wiederum beauftragt die Stammzellen mit der Bildung neuer Gewebszellen – der Tumor wächst also wieder. Androutsellis-Theotokis lernte diesen Mechanismus zu kontrollieren – er kann ihn an- und ausschalten. In London hat er ein erstes Unternehmen gegründet, das gerade ein Medikament sucht, um Krebs auf diese Weise zu stoppen.

Vom Gehirn zur Bauchspeicheldrüse

Doch vor zehn Jahren wurde der Stammzellen-Experte an die TU Dresden geholt. Dort forschte er nicht mehr am Gehirn, sondern in der Diabetesforschung an der Bauchspeicheldrüse. Die Bauchspeicheldrüse sei ein sehr interessantes System, sagt Androutsellis-Theotokis. Ihre Zellen würden selbstständig große Entscheidungen treffen:

Porträtaufnahme eines Mannes mit Glatze, einer Brille mit grauem Rahmen und einem weißen Laborkittel, der in einem Labor steht.
Bildrechte: MDR/Kristin Kielon

Wenn Sie zu viel essen und an Gewicht zunehmen, benötigen Sie mehr Insulin. Dann teilen sich Ihre Inselzellen stärker und werden größer. Wenn Sie Gewicht verlieren, tun sie das Gegenteil. Und wir dachten: Weißt du was? Das machen auch die Stammzellen im Gehirn. Vielleicht funktioniert es hier genauso - und es funktionierte genauso.

PD Dr. Andreas Androutsellis-Theotokis

Die Forscher können den Effekt also einfach umdrehen: Statt den Signalweg wie beim Krebs abzuschalten, schalten sie ihn bei Diabetes an. So beginnen die Stammzellen neue Insulin-bildende Zellen zu produzieren. Doch noch fehlt ein Medikament, um diesen Vorgang zu befeuern.

Bei unserem Regenerations-Projekt hier in Dresden sind wir einen halben Schritt hinter London. Das heißt, wir haben alle Methoden. Wir haben bereits durch Veröffentlichungen bewiesen, dass unser Mechanismus für Diabetes Typ 1 und Typ 2 sehr wichtig ist. Und jetzt wollen wir noch die Medikamente finden, die unseren Mechanismus anfeuern.

PD Dr. Andreas Androutsellis-Theotokis

Um so schnell wie möglich ein Medikament zu finden, setzt der Stammzellen-Forscher auf bereits zugelassene Wirkstoffe, die eigentlich für die Behandlung anderer Krankheiten gedacht sind.

Wir wollen so viele Medikamente wie möglich testen, die schon für andere Krankheiten auf dem Markt sind. Wir wollen die finden, die den gewünschten Effekt haben – also dass sie die insulinproduzierenden Zellen unterstützen, wenn unser Mechanismus angeschaltet ist.

PD Dr. Andreas Androutsellis-Theotokis

Die Suche nach dem passenden Wirkstoff

Dafür hat sich "Innate Repair" Expertise und technische Unterstützung bei Marc Bickle vom Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik eingekauft. Dort gibt es die Gerätschaften, um zahlreiche Wirkstoffe an Zellkulturen zu testen. Bickle erläutert wie das funktioniert: Man habe eine Plastikplatte in der Größe eines normalen Smartphones. Darin seien 384 Löcher bzw. Mulden.

Porträtaufnahme eines Mannes mit Glatze, der in einem Labor steht.
Bildrechte: MDR/Kristin Kielon

Der Boden dieser Platte ist durchsichtig und zwar kann da durch mikroskopiert werden. Und in den Löchern sind Zellen. In diesem jetzigen Projekt werden wir pankreatische Zellen aussäen und die werden da drin wachsen.

Dr. Marc Bickle, Leiter des Technology Development Studios (TDS) am Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik

Anschließend würden die verschiedenen Wirkstoffe hinzu gegeben und ein wenig abgewartet. Dann werde das Ganze quasi schockgefrostet: Mit Formaldehyd würden alle Vorgänge gestoppt und konserviert, erläutert Bickle. Davon mache ein Spezialmikroskop dann abertausende Bilder. Um diese Bilddaten auszuwerten, würden Bildanalyse-Verfahren verwendet, erläutert der Max-Planck-Forscher.

Und das gibt dann quantitative Daten: Gibt es mehr Zellen? Gibt es weniger Zellen? Sind sie größer? Sind sie kleiner? Sind sie grüner? Sind sie weniger grün? All die Eigenschaften, die uns eventuell interessieren. Und dadurch sehen wir: Ah schau mal, diese eine chemische Substanz hat das so verändert, wie wir das genau wollten.

Dr. Marc Bickle, Leiter des Technology Development Studios (TDS) am Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik

Dieser Datenberg landet anschließend bei Joachim Haupt von PharmAI – ebenfalls eine Ausgründung der TU Dresden. Hier erkenne eine Künstliche Intelligenz dann, wo genau in der insulinbildenden Zelle das Medikament angreift.

Ein jüngerer Mann mit braunem Hemd und blauem Sakko sitzt in einem Labor neben einem Mikroskop.
Bildrechte: MDR/Kristin Kielon

Da ist was passiert, da ist vielleicht der Effekt eingetreten, den wir uns erhofft haben, wir wissen aber noch nicht genau, was das exakte Wirkstoffziel ist. Und genau das werden wir tun: Wir werden für Innate Repair dann diese Wirkstoff-Ziele identifizieren.

Dr. Joachim Haupt, Geschäftsführer PharmAI

Und die müssen dann weiter an den Wirkstoffen forschen – etwa um unerwünschte Nebenwirkungen auszuschließen. Doch das nächste Ziel sei jetzt erst einmal: Die Maus von Diabetes heilen, sagt Androutsellis-Theotokis. Erst dann könne man an eine Anwendung beim Menschen denken. Wenn das Team jedoch fündig wird, dann könnte es gar nicht mehr so lange dauern mit dem Medikament, das dank des molekularen Mechanismus des Dresdner Forschers Diabetes stoppen kann. Der Stammzellen-Experte schätzt, dass es in etwa fünf Jahren schon soweit sein könnte.

0 Kommentare